Tigeryouth Songs sind immer ein Wagnis. Die ständige Unruhe, der Spagat zwischen Wut und Melancholie, die Direktheit der Ansprache, die Unmittelbarkeit der Gefühle und das gesamte schnoddrige Auftreten. Damit macht man sich nicht unbedingt Freunde.
Auf seinem zweiten, selbstbetitelten Album, pfeift Tilman Benning aka Tigeryouth auf mögliche Berührungsängste und erschafft bewegende Punk – Akustik Hymnen. Sie verknüpfen seine Reibeisenstimme, irgendwo zwischen Chuck Ragan und Rio Reiser, mit der Melancholie und der Beobachtungsschärfe eines Gisberts von Knyphausen oder eines Jörkk Mechenbiers von Love A. So direkt und entlarvend wie eben diese, besingt wohl zurzeit keine Band die Orientierungslosigkeit der 25 bis 40 Jährigen. Mit den Eröffnungssongs „Blumenbeete“ und „Herz schultern“ katapultiert sich Tigeryouth in die gleiche Liga. Sie geben die Marschrichtung für das Album vor. Es folgen melancholische und zwiespältige Betrachtungen zwischen Wut und Unsicherheit. Die Songs sind kurz gehalten, bleiben unmittelbar, verzichten auf ausgedehnte Arrangements, werden meist nur von der Akustikgitarre getragen. Benning wagt sich weit hinaus, wählt eine unmittelbare Sprache, um Gefühle, Kritik und Emotionen der Welt vor die Füße zu kotzen. Dass er dabei vor sich selbst nicht Halt macht und eigene Schwächen offen legt, macht das ganze so authentisch. Damit läuft man immer Gefahr ins pathetische abzudriften, meist schafft er jedoch die Kurve und schreibt großartige Hymnen auf die Selbstzweifel, das Unterwegssein und das letzte Bier, was nie das letzte sein will. Groß.
VÖ: 12.August 2016, Zeitstrafe, http://tigeryouth-punk.tumblr.com/
Ohr d’Oeuvre: Blumenbeet/ Magdeburg/ Bis zum ersten Zug
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Blumenbeete/ Herz schultern/ Angst/ Magdeburg/ Stein auf Stein/ Aufgewacht/ Lauter/ Mammon/ Bis zum ersten Zug/ Auf den Knien/ Im Taxi/ Die müden Straßen
Ironischerweise trudelt am Abend des Auftritts von Damian Rice im Tanzbrunnen die dritte Platte seiner langjährigen Begleiterin Lisa Hannigan – AT SWIM – ein. Die Irin trotzt dabei der schwächelnden Indiefolkwelle und erschafft einen dunklen und feinsinnigen Herbstsoundtrack.
Nach den großen Erfolgen der beiden ersten Alben SEA SAW und PASSENGER sowie jahrelangen Touren, folgten Jahre des Ausprobierens und Sortierens. In Aaron Desser von The National fand Hannigan letztendlich den kreativen Gegenpart, um neue musikalische Wege einzuschlagen. AT SWIM ist keine Neuerfindung der Künstlerin, jedoch fällt die Platte wesentlich dunkler als die Vorgängeralben aus. Die folkige Leichtigkeit ist einer euphorisch-melancholischen Stimmung gewichen, welche die Erhabenheit einer Cat Power oder Sharon Van Etten mit der Epik der Tindersticks verbindet. Die Songs vertrauen ganz auf die wundervolle Stimme Hannigans und ihr sicheres Gespür für einnehmendes, aber völlig unpompöses Songwriting. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern gelingt es ihr atmosphärisch-dichte Soundlandschaften zu kreieren, die sich nicht in end- und belanglosen Weiten verlieren. Pointiert untermalen Klavier und Streicher Hannigans Stimme ohne sie zu erdrücken, wie in dem wunderbar leichtlebigen „Snow“ oder dem düsteren Abschlussstück „Barton“. Mit seinen Trip – Hop Anleihen erinnert dies stark an Lamb. Im Wissen die richtige Platte für die kommenden Herbstabende zu haben, geht es nun ins Bett.
VÖ: 19.August 2016, ATO Records, http://lisahannigan.ie/
Ohr d’Oeuvre: Snow/ Lo/ Barton
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Fall/ Prayer for the Dying/ Snow/ Lo/ Undertow/ Ora/ We the Drowned/ Anahorish/ Tender/ Funeral Suit/ Barton
Moose Blood – Blush
Bald zu groß für den kleinen Club? Moose Blood schreiben auf BLUSH „Melodien für Millionen“ und dürften auch in Deutschland nicht mehr lange eine Geheimtipp bleiben.
Moose Blood ist eine dieser Bands, die es klammheimlich geschafft haben, sich vor allem im Vereinigten Königreich, aber auch auf dem europäischen Festland, eine große Fangemeinde zu erspielen, ohne irgendwas besonders Spektakuläres getan zu haben. Mit ihrem 2014’er Album I´LL KEEP YOU IN MIND, FROM TIME TO TIME noch als Geheimtipp gehandelt, stehen sie mit ihrem neuen Album BLUSH bereit für den großen Durchbruch. Was aber hat diese Band, was andere Bands nicht haben? Zunächst haben die Jungs um Sänger Eddy Breweron ein wahnsinnig gutes Gespür für Melodien. Alle, die sich nach simplen Post Emo-Melodien gesehnt haben, fanden mit I´LL KEEP YOU IN MIND, FROM TIME TO TIME das perfekte Album. Umso größer ist die Erwartungshaltung an das neue Album des englischen Vierers. BLUSH setzt konsequent fort, womit auf dem Vorgänger begonnen wurde – Gitarren, zuckersüße Melodien und die Stimme Brewerons, bei der man das Gefühl hat, dass dem jungen Herrn in seinem Leben schon viel Schlechtes wiederfahren ist. All das funktioniert trotz einer gewissen Berechenbarkeit auf Albumlänge ziemlich gut. Moose Blood reizen die eigene Catchyness zwar an der einen oder anderen Stelle ziemlich aus, streuen aber im richtigen Moment Songs wie das rauhe, postrockige „Shimmer“ ein. Im September hat man die Möglichkeit, die Band nochmal in kleinen Clubs zu bestaunen. Der Neueinstieg von BLUSH auf Platz 10 der UK Album Charts lässt erahnen, dass Moose Blood für diese bald zu groß sein werden.
VÖ: 5. August 2016, Hopeless Records, http://mooseblooduk.com/
Ohr d’Oeuvre: Shimmer/ Sway/ Freckle
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Pastel/ Honey /Knuckles/ Sulk/ Glow/ Cheek/ Sway/ Shimmer/ Spring/ Frecklee
Dinosaur Jr. – Give a glimpse of what yer not
Gitarrengott J. Mascis steigt wieder von seinem Berg hinab und beglückt seine Jünger mit dem neuen Werk GIVE A GLIMPSE OF WHAT YER NOT. Wie bei allen göttlichen Werken, erschließt sich die wahre Größe mit der Zeit.
Vier Jahre nach der Veröffentlichung von I BET ON SKY, sind die Vorfreude und die Erwartungshaltung auf das neue Werk von Masics‘ Langzeitliebe Dinosaur Jr. groß. Das traditionell bunte und abgerückte Artwork der Platte und das purpurfarbene Vinyl sorgen für ein wehmütiges Lächeln. Allerdings ist der erste Höreindruck dann etwas ernüchternd. Zwar weisen die Songs den klassischen Dinosaur Jr.-Stil auf, allerdings fallen sie gegenüber dem Vorgänger ab. Was tun? Die Platte in den Giftschrank auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen? Oder dem alten Sinnspruch vertrauen, „alte Besen kehren gut“ und ihr einen zweiten Hördurchlauf gönnen? Wer sich für Letzteres entscheidet, wird mit einem Album belohnt, welches mit jedem Durchlauf besser und besser wird und sicherlich zu den besten Platten in der langen Bandgeschichte gehört. Songs wie „I told everyone“ und „I walk for miles“ setzen sich durch ihre Intensität und Dichte, durch ihre Dinosaur Jr.- typische Sperrigkeit in den Gehörgängen fest. Besondere Stärke gewinnt die Platte an den Stellen, an denen sie nach dem Prinzip „Sebadoh meets Dinosaur Jr.“ funktioniert und die Stärken des kongenialen Partners von J. Mascis, Lou Barlow einbindet. Das Album ist eine Empfehlung des Spätsommers.
VÖ: 5.August 2016, Jagjaguwar (Cargo Records), http://www.dinosaurjr.com/
Ohr d’Oeuvre: I walk for miles/ I told everyone / Love is…
Gesamteindruck: 8,0/10
Tracklist: Goin down/ Tiny/ Be a part/ I told everyone/ Love is…/ Good to know/ I walk miles/ Lost all day/ Knocked around/ Mirror/ Left/ right