Mehr Fehlfarben weniger Joy Division. Mit JALOUSIE gehen Messer einen großen Schritt Richtung Melodie und Pop und klingen dabei hoffnungsloser als zuvor.
Drei Jahre sind vergangen seit der der zweiten Platte DIE UNSICHTBAREN. Eine Platte, die den ursprünglichen Messersound schon fast zur Perfektion gebracht hatte. Dominierte auf der Debütplatte der Bass, trat er hier mehr in den Hintergrund und gab Raum für Melodien und die Stimme Otrembas. Eine Entwicklung, die sich auf JALOUSIE fortsetzt, auf der Bassist Pogo McCartney vermehrt Synthies spielt und damit den Sound wesentlich waviger und leichter und tanzbar macht. Drei Jahre sind vergangen, im Popbusiness eine Ewigkeit! Doch im Fall Messer scheint die Zeit, die Popularität eher befeuert zu haben. Die Band pendelt zwischen Zielgruppen und Klischees, zwischen Punk und Feuilleton, zwischen Künstlichkeit und Körperlichkeit. Auf JALOUSIE wird das Soundgewand konventioneller, doch die Grundspannung zwischen diesen Polen wird erhalten. Messer typisch dominiert auf JALOUSIEN die Rhythmussektion, verleiht dem Post–Punk Sound die Körperlichkeit und Tanzbarkeit, die aber erst durch die Lyrik Otrembas ihre Einzigartigkeit erhält. Seine Lyriks sind noch abstrakter, noch lasziver und dunkler geworden. Ein Film Noir, in welchem der Erzähler mit seiner Lust, seiner Liebe und seinem Verlangen hadert und es nicht schafft, sich wirklich aus seiner Paranoia zu befreien („Die Hölle“, „Meine Lust“). Im Zusammenspiel mit der neuen Leichtigkeit im Messer Sound, lässt es den Hörer am Ende der Platte fast noch ein wenig hoffnungsloser als zuvor zurück. Erwartet man bei Songs wie der Auskopplung „Der Mann, der zweimal lebte“ und „Der Staub der Planeten“ – eine faszinierende Symbiose zwischen Lyrik und Pop – einen positiven Fingerzeig, ein leuchten am Horizont, vergebens. Trotzdem bleibt die Energie der Songs, der Rhythmus, der weiter treibt, so dass man nicht verharren will in dieser Hoffnungslosigkeit. Messer nehmen die Herausforderung der dritten Platte mit Bravour. Sie bewahren ihre Identität, bei gleichzeitiger Weiterentwicklung. Großartig.
VÖ: 19.August 2016, Trocadero/Indigo, http://gruppemesser.blogspot.de/
Ohr d’Oeuvre: Der Staub zwischen den Planeten/ Der Mann, der zweimal lebte/ Im Jahr der Obsessionen
Gesamteindruck: 8,0/10
Tracklist: So sollte es sein/ Der Mann, der zweimal lebte/ Detektive/ Der Staub zwischen den Planeten/ Meine Lust/ Im Jahr des Obsessionen/ Niemals/ Die Hölle/ Die Echse/ Schwarzer Qualm/ Schaumbergs Vermächtnis
Beginner – Advanced Chemistry
Können Füchse in Würde altern? Nach 13 Jahren im Fuchsbau sind nicht nur die Haare ergraut, sondern jeder Fuchs hat sich mittlerweile – durchaus erfolgreich – anderweitig umgeschaut. Was aber passiert, wenn das Rudel (klar, Füchse sind gar keine Rudeltiere) plötzlich doch wieder zusammenfindet?
Überraschungen gab es schon vorab. Dass ein Gzuz die Bridge auf „Ahnma“ rappen durfte, war in der Tat eine Riesenüberraschung, wie auch immer man sie persönlich bewerten mag. Aber mit dem exzessiven Namedropping im Video zu „Es war einmal“ versöhnten Eißfeldt, Denyo und DJ Mad auch Deutschrap-Nostalgiker und setzten ihre Heimatstadt Hamburg nach vielen Jahren erstmals wieder ganz oben auf die Hiphop-Landkarte. Vorerst. Denn 48 Minuten Albumlaufzeit können eine lange Zeit sein, in der irgendwann kein Nostalgie-Bonus mehr zählt. Der Ansatz, Bewährtes mit Aktuellem zu verbinden, ist grundsätzlich keineswegs verkehrt. Ganz lässt sich das Gefühl aber nicht abschütteln, dass die Beginner entweder mit angezogener Handbremse durch ihr Album düsen – oder aber immer wieder an ihre kreativen Grenzen stoßen und deswegen Potenzial liegen lassen. Zwar versprechen Songs wie „Meine Posse“, „Schelle“ oder „Rap & fette Bässe“ einen standesgemäßen Live-Abriss, lassen aber die feine Ironie und Sarkasmus früherer Tage schmerzlich vermissen. Zu oft bleiben die Reime flach und eindimensional, während gerade die kritischen Töne immer wieder in selbst gewählter Behäbigkeit versickern. Selten entwickeln die Melodien trotz feiner Funk- oder Reggaegrooves eine Prägnanz, die diesen Titel auch verdient. Dass das Trio immer dann am meisten Druck entwickelt, wenn sie sich selbst und/oder die Hiphop-Historie zitieren, bringt zwar einige schöne Momente mit – reicht aber trotz zweifellos talentierter Gäste wie Dendemann, Samy Deluxe oder Megaloh und einem unter Wert verkauften Haftbefehl nur für einige, letztlich aber zu wenige Aha-Momente. Zugegeben, Business as usual war nach der langen Wartezeit kaum möglich. Schließlich ist ADVANCED CHEMISTRY wohl das meisterwartete Deutschrap-Album aller Zeiten und entsprechend hoch die Erwartungshaltung. Aber wenn das Gefühl überwiegt, das mitgelieferte Oldschool-Mixtape Foxy Music mache im Endeffekt sehr viel mehr Spaß als das eigentliche Album, hat das nicht nur mit ewiggestriger Deutschrap-Nostalgie zu tun. Flash 99 ist tatsächlich schon lange vorbei und gealterte Füchse machen anscheinend keine Riesensprünge mehr. Oder so ähnlich.
VÖ: 26.August, Mercury, www.beginner.de
Ohr d’oeuvre: Ahnma / Es war einmal / Rap & fette Bässe / Foxy Music (!)
Gesamteindruck: 6/10 (Sonderpunkt für „Foxy Music“)
Tracklist:Ahnma feat. Gzuz & Gentleman/ Es war einmal…/ Meine Posse feat. Samy Deluxe/ Schelle/ So schön feat. Dendemann/ Rambo No 5/ Kater/ Rap & Fette Bässe/ Spam/ Thomas Anders feat. Megaloh/ Macha Macha feat. Haftbefehl/ Nach Hause
The divine comedy – Foreverland
Mit „Becoming more like Alfie“, „Perfcet Lovesong“ und „Gin-soaked boy“ bewegten Divine Comedy Generationen pathetisch feiernder Musikliebhaber über die Tanzflächen der Stadt. Wird mit dem 11. Album von Neil Hannon und seiner Band diesem Teil der Geschichte ein neues Kapitel hinzugefügt?
Divine Comedy überzeugen seit dem Ende der 80er – Jahre Indiepophörer mit pathetischen Hymnen, wunderbaren Songs und eingängigen Popperlen und schrieben so den Soundtrack für viele unvergessliche Momente. Dazu gehört der Auftritt mit Orchester 2004 in Haldern auf dem Reitplatz, von dem immer noch Leute mit glasigen Augen erzählen. Das neue Album FOREVERLAND knüpft an das bisherige Werk der Band an. So bietet die Platte dem Hörer, was er kennt und was er erwartet, nämlich perfekt arrangierten und hervorragend produzierten Indiepop. Trotzdem überzeugt sie nur stellenweise, blitzt das Hitpotential der Band zu selten auf. Mit „How Can You Leave Me On My Own“ und „Desparate Man“ kann die Band den Ansprüchen gerecht werden, die sie selber durch ihre alten Hits definiert hat. „Catherine the Great“ zeigt uns, wo der britische, populärmusikalische Hammer hängen kann und der Song wird eines der Divine Comedy Lieder sein, die einen auf ewig begleiten werden. Leider bleibt es bei diesen wenigen Höhepunkten. Über die ganze Spielzeit wird die Band den eigenen Ansprüchen nicht gerecht.
Als Quintessenz zu diesem Album schießt der Vergleich zu Rooney, Keane oder Schweinsteiger durch den Kopf – Wir erinnern uns gerne an großartige Momente dieser exzellenten Spieler, die mit ihrem Potential immer noch 99% aller Mitspieler in die Tasche stecken können, doch leider zollt das Spielerleben seinen Tribut und sie können es immer seltener abrufen.
VÖ: 2.September 2016, DC Records, http://thedivinecomedy.com/
Ohr d’Oeuvre: Catherine the Great/ How Can You Leave Me On My Own/ A Desperate Man/
Gesamteindruck: 5,5/10
Tracklist: Napoleon Complex/ Foreverland/ Catherine the Great/ Funny Peculiar/ The Pact/ To the Rescue/ How Can You Leave Me On My Own/ I Joined the Foreign Legion (To Forget)/ My Happy Place/ A Desperate Man/ Other People/The One Who Loves You
Die Geschichte hinter den Engländern von Beach Baby und ihrem Debüt NO MIND NO MONEY ist so klischeebeladen, dass man sich lachend abwenden will. Studenten treffen sich an Kunstuniversität, bringen wenige Singles raus und die englische Musikprese hypt die Band in den siebten Himmel.
Mit Schnappatmung und feuchten Händen geht man nach den Vorschusslorbeeren an die Platte heran. Direkt der Opener „Limousine“ verbreitet mit seiner Kirmesorgel eine Leichtigkeit und Tanzbarkeit wie man sie wohl nur aus der Britpopdisco kennt, von Bands wie Soup Dragons und den Millionen anderen. Ein zeitloser Sound zwischen Sixties Garage, Gene und Top of the Pops, den Beach Baby ganz unaufgeregt zelebrieren. An manchen Stellen leider etwas zu unaufgeregt und zu routiniert. Songs wie „Sleeperhead“ oder „Ladybird“ kommen dann doch etwas zu vorhersehbar daher. Dafür wird der Hörer mit den chorusüberladenen und melancholischen Allnightern „Smoke won’t get me high“, „Hot weather“ oder der Uptempo Single „UR“ mehr als entschädigt. Songs, die diese zeitlose Sehnsucht verströmen, weg zu kommen, weiter zu kommen, die eigene, minimierte Existenz hinter sich zu lassen. Songs, die beim Hörer dazu führen, versunken von einem Fuß auf den anderen zu tippeln und irgendwann den Blick gedankenverloren an die Decke zu richten, um das Drumherum für drei Minuten auszustellen. Beach Baby machen nichts neues, aber das was sie machen, machen sie gut. Unbedingt aufnehmen in die Britpop – Playlist des Monats.
VÖ: 2.September 2016, Caroline Internantional, https://www.facebook.com/BeachBabyMusic/?fref=ts
Ohr d’Oeuvre: Smoke won’t get me high/ No mind no money/ Hot Weather
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: Limousine/ Lost Soul/ No mind no Money/ Sleeperhead/ Smoke won’t get me high/ Hot weather/ Ladybird/ UR/ Bug eyed and blonde/ Powderbaby/ How lucky you are