Nick Cave & The Bad Seeds – Skeleton Tree
Im Sommer 2016 wurde das neue Album von Nick Cave angekündigt. Der Zeitpunkt der Meldung überraschte aufgrund der Tragödie, die seine Familie durch den Unfalltod des Sohnes Arthur erlebt hatte. Aufgrunddessen war die Erwartungshaltung eher gering und die Skepsis groß, ob sich Cave trotz der Tragödie zu musikalischen Großtaten aufraffen kann.
Die Gänsehaut, die sich bei jedem Hördurchgang von SKELETON TREE auftut, vertreibt jeden Zweifel und zeigt, zu welchen Großtaten Cave sogar in den dunkelsten Stunden fähig ist. Die Songs des Albums entwickeln in ihrer Ruhe eine Wucht und Intensität, die vergeblich Ihresgleichen suchen. Jeder Ton und jede Zeile legen das Trauma in Caves Seelenleben offen, jedes Stück zieht dem Hörer den Boden unter den Füßen weg durch einen ungeschminkten Einblick in seine Trauer, seine Betroffenheit, seine Verzweiflung wie auch sein Unverständnis über das Geschehene. Selten wurde so ein emotionales, musikalisches Zeugnis eines Künstlers veröffentlicht. Die Stücke vertonen die Schwäche und Verletzlichkeit eines Menschen, der das Unbeschreibliche durch den Tod seines Kindes erleben musste.
Ob ein Mensch, der bisher noch keinen sehr nahe stehenden, engen Verwandten oder Freund verlieren musste, Vergleichbares mit SKELETON TREE abstrahiert, bleibt allerdings an dieser Stelle offen. Das Album stellt die zutreffendste Form an Musik dar, um für einen konsternierten Menschen mit seiner Trauer und seiner Benommenheit das emotionale Auffangnetz für sein Gefühlschaos zu spannen.
Das Album, was als Ganzes gehört werden sollte, brilliert durch die Stärke und Dichte der Songs. Diese lassen sich am ehesten mit den ruhigeren Stücken aus dem Vorgänger-Studioalbum PUSH THE SKY AWAY oder dem Mitschnitt des KCRW-Konzert der Bad Seeds vergleichen, wobei die Instrumentierung minimalistischer ist und neben dem Piano, Caves Stimme wie auch die Lyrics die zentrale Rolle einnehmen. Kein Stück auf der Platte weicht nach unten ab. Neben dem Titeltrack stechen „Anthroscene“ und „Rings of Saturn“ hervor.
Auch wenn SKELETON TREE aufgrund der Bedingungen, unter denen es entstanden sein muss, eine gesonderte Stellung in dem musikalischen Werk von Nick Cave einnehmen wird, so ist es eines DER Alben in diesem Jahr – unbedingt anhören.
VÖ: 9.September 2016, Bad Seed Ltd., http://www.nickcave.com/
Ohr d’Oeuvre: Rings of saturn/ Anthroscene/ Skeletron Tree
Gesamteindruck: 9,0 /10,0
Tracklist: Jesus Alone/ Rings of Saturn/ Girl in Amber/ Magneto/ Anthrocene/ I Need You/ Distant Sky/ Skeleton Tree
Beach Slang – A Loud Bash of Teenage Feelings
Nach der Trennung ist vor der Trennung. Im Februar diesen Jahres verkündete James Alex während eines Auftritts in Salt Lake City, die Auflösung der Band. Glücklicherweise hielt diese Entscheidung aber nicht lange an, so daß Beach Slang uns am 23. September Ihr zweites Album A LOUD BASH OF TEENAGE FEELINGS präsentieren werden.
Trotz eines erfolgreichen, turbulenten und sicher auch hoch emotionalen Jahres, in welchem Beach Slang hohe Wellen mit Ihrem Debut THE THINGS WE DO TO FIND PEOPLE LIKE US schlugen, gönnen sie sich keine Ruhepause, sondern legen ihren Zweitling nach. Es scheint als hätten James Alex, Ed McNulty und Ruben Gallego den Ausstieg von Schlagzeuger JP Flexner gut überstanden. Zwar nur noch als Trio, aber noch immer kraftvoll führt der zweite Longplayer die Geschichte des Erstlings weiter, sind doch laut Alex fast alle 10 Songs auf der zurückliegenden Tour entstanden und stark beeinflusst vom Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Band und Publikum, der Hingabe und dem jugendlichen Freiheitsdrang. So verwundert auch der Titel nicht. A LOUD BASH OF TEENAGE FEELINGS startet kraftvoll mit „Future Mixtape for the Art Kids“ im klassischen Beach Slang Stil – Play it loud, play it fast. Der zweite Track „Atom Bomb“ könnte als Reminiszenz an Lemmy herhalten und überrascht mit Tempo und Wucht. Leider fällt das Album danach etwas ab und wirkt recht gleichförmig, vermag im weiteren Verlauf auch nicht mehr so zu überraschen. James Alex rauchiger Gesang, die dreckig verzerrten Gitarren, etwas Nineties- und ganz viel Teenage Feelings machen es dann aber doch zu einem gelungenen Post – Debut Album mit dem Beach Slang eigenen Understatement. Let´s get lost in this feeling.
VÖ: 23. September, Big Scary Monsters, http://www.beachslang.com
Ohr d’oeuvre: Atom Bomb / Future Mixtape For The Art Kids/ Punks In A Disco Bar
Gesamteindruck 6,5/10
Tracklist: Future Mixtape For The Art Kids/ Atom Bomb/ Spin The Dial/ Art Damage/ Hot Tramps/ Punks In A Disco Bar/ Wasted Daze Of Youth/ Young Hearts/ The Perfect High/ Warpaint
Microwave – Much Love
Die ersten Takte von Microwave´s zweitem Langspieler MUCH LOVE erklingen und man denkt unweigerlich an den Beginn der 90’er Jahre zurück, als man so aussehen wollte wie die Grunge Helden um Eddie Vedder und Konsorten. Nur, dass man nicht aus Seattle kam, sondern vom linken Niederrhein und die Akzeptanz für den Grunge Style dort noch nicht einmal gleich null war.
Der zweite Gedanke, der einen ereilt, ist die Befürchtung, dass Microwave mit MUCH LOVE ein weiteres Neo Grunge Punk Album vorlegen, welches wie die Alben einiger Genrekollegen durch 40 Minuten gepflegte Langeweile besticht. Der Gedanke ist jedoch noch nicht ganz zu Ende gedacht, da setzt eine Catchyness ein, die Weezer seit Pinkerton in dieser Form nicht mehr auf Platte gebracht haben. Hört man bei den Songs etwas genauer hin, so wird klar, dass die ganzen „Uhhs und Ahhs“ und die zuckersüßen Gitarrensoli nicht wirklich zu den Texten von Sänger Nathan Hardy passen. Dieser hinterfragt auf MUCH LOVE den massiven Einfluss, den die Kirche auf seine Kindheit und Jugend hatte und scheint mit all dem zu brechen, was er selbst einst als Mormonen-Missionar gepredigt hat. Im Erwachsenenalter erkennen zu müssen, dass man sich seit Kindestagen auf seinem Lebensweg einer Sache verschrieben hat, mit der man sich fortan nicht mehr identifizieren kann, zieht einem zunächst den Boden unter den Füßen weg. Doch statt zu resignieren, packen Microwave ihre Resignation in 10 großartig rotzige Neo-Grunge Perlen, die Reminiszenzen an Silverchair zu Frogstomp-Zeiten, Weezer – als sie noch gut waren – und den wunderbar kauzigen Grandaddy enthalten. Mit MUCH LOVE legen Microwave völlig überraschend eins der besten Gitarrenalben des bisherigen Jahres vor. Zwar wird ihnen das nicht den verdienten Durchbruch bescheren, aber alle die, denen PUP oder Superheaven zu wenig eingängig sind, sollten diesem kleinen Meisterwerk ihre Aufmerksamkeit schenken.
VÖ: 30.09.2016, SideOneDummy, https://www.facebook.com/microwavetheband/
Ohr d’Oeuvre: Vomit/ Neighbors/ Homeboy/ Wrong
Gesamteindruck: 8,5/10
Tracklist: Roaches/ Lighterless/ Dull/ Neighbors/ Busy/ Drown/ Vomit/ Whimper/ Homebody/ Wrong
Preoccupations – Preoccupations
Aus Viet Cong wurden Preoccupations! Aus Scham über die Namensgebung und um den Fragen danach zu entgehen, nahmen die Kanadier eine Umbenennung vor. Auch musikalisch schleift die Band aus Calgary die Kanten auf PREOCCUPATIONS ab, allerdings ohne den schwermütigen Post – Punk Pfad zu verlassen.
Viet Cong gehört zu den Bands, die als Vorreiter für das gefühlt hundertste Post – Punk Revival galten und sich wild im Hype Karussell der letzten Jahre drehten. Neben ihrem ungeschliffenen Lo-Fi Sound auf dem letztjährigen Debüt VIET CONG und den genreübergreifenden repetitiven Strukturen, die auch Freunde der elektronischen Musik begeisterten, unterstrichen die außergewöhnlichen Umstände der Bandgründung den besonderen Status des Quintetts. So starb ein Mitglied der Vorgängerband Women und läutete somit deren endgültiges Ende ein. Sicherlich eine Erklärung, warum man Viet Cong den Schwermut in der Musik abnahm. Der neue Bandname scheint auch zu einer neuen musikalischen Fokussierung geführt zu haben. Standen die Songs auf dem Debüt relativ alleine für sich und gingen viele gute Ideen in einem Klangdurcheinander unter, ist der Sound auf PREOCCUPATIONS ein Stück konventioneller, die Strukturen wesentlich aufgeräumter geworden. Bereits die beiden Auftaktstücke „Anxiety“ und „Monotony“ geben die Richtung vor. Der Basssound kommt wesentlich entschlackter und strukturierter rüber, die Synthiemelodien hängen nicht mehr irgendwo in der Luft, sondern bauen sich schichtartig auf, entlasten die Songs etwas von ihrer Schwere und Trauer, wirken fast wie vereinzelte Sonnenstrahlen am Wolkenhimmel. Am meisten befreit wirkt jedoch der Gesang von Matt Flegel. Hatte man auf VIET CONG oft das Gefühl als müsse er gegen den Lärm anschreien, sich seinen Platz erkämpfen, wird seine Stimme jetzt zum tragenden Element. Zwar kratzt und wütet er sich immer noch durch die Songs, aber alles wirkt viel souveräner als auf dem Debüt. Die Songs geben ihm Platz eine gesangliche Wucht zu entfalten, die teilweise an Bands wie Balthazar oder aus dem andere Genre an Touché Amoré erinnert. An einigen Stellen wie „Zodiac“ wird allerdings zu viel gewollt, erinnern die Synthiewände fast ein wenig an Sisters of Mercy, wünscht man sich den Lo – Fi zurück. Insgesamt erinnert die Platte angenehm an die Spätphase von Joy Divison, in der es die Band schaffte ihren Schwermut in ein poppigers Äußeres zu gießen und somit die wahre Stärke der Stücke und ihres Sängers erst ans Tageslicht zu fördern. Dieses gelingt Preoccupations auf ihrer zweiten Platte ebenfalls. Klingt nicht neu, aber verdammt gut.
VÖ: VÖ 16.09., Jagjaguwar / Cargo Records, http://preoccupationsband.com/
Ohr d’Oeuvre: Monotony / Memory / Stimulation
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Anxiety / Monotony/ Zodiac/ Degraded/ Sense/ Forbidden/ Stimulation/ Fever