The Slow Show – Dream Darling
Was sich bereits beim Preview-Konzert auf dem Haldern Pop Festival angedeutet hat, findet auf dem neuen Album DREAM DARLING von The Slow Show seine Bestätigung. Auch das Zweitwerk der Mannen aus Manchester besticht durch opulent arrangierte Songs, die wundervolle sonore Baritonstimme Rob Goodwins und herzzerreißende, kleine Geschichten.
Befürchtungen, der Stil des Fünfers könnte sich abnutzen, bestätigen sich nicht, wohlgleich DREAM DARLING eine Platte ist, der man ein wenig mehr Zeit einräumen sollte als dem Vorgänger WHITE WATER. Klingen die einzelnen Titel beim ersten Hördurchgang noch alle recht ähnlich, so kristallisieren sich bei jedem weiteren Hören kleine Details heraus, die jeden einzelnen Song zu einem besonderen machen. Bereits beim ersten Titel „Strangers Now“ ahnt man, dass DREAM DARLING noch opulenter arrangiert ist als der Vorgänger. Ein Unterfangen, das leicht ins kitschige abdriften kann. Diesen schmalen Grat zwischen orchestraler Größe und opulentem Kitsch meistern die fünf Mancunians mit Bravour. Vielmehr verleiht das Orchestrale den kleinen, traurigen Geschichten Rob Goodwins eine Größe und Erhabenheit, die diesen äußerst gut zu Gesicht stehen. „Last Man Standing“ ist dafür das beste Beispiel. Der Song, der von einem Freund Goodwins handelt, den seine Zukünftige bei der Hochzeit vergeblich hat warten lassen, startet reduziert, baut sich langsam auf und erreicht dann seinen musikalischen Höhepunkt, wenn Goodwin herzzerreißend traurig singt:
„I see those tears in your eyes, see those tears in your eyes, see those tears in your eyes, oh boy don’t cry“.
Der einzige Song, der die Opulenz ein wenig aufbricht und dabei klingt wie das Pendant zu „Augustine“ vom Debutalbum WHITE WATER, ist „Ordinary Love“. Und genau an diesem Punkt tritt die einzige kleine Schwäche des Albums zu Tage. An der ein oder anderen Stelle würde man sich wünschen, daß die Band den Mut besäße die Bläser, Streicher und Chöre zu reduzieren und – ähnlich wie am Ende von „Ordinary Love“ – durch Gitarren zu ersetzen.
Gute Musik verursacht Bilder im Kopf und löst bestenfalls Emotionen aus, die den Hörer bewegen und eine Zeit lang nicht mehr loslassen. Dies schaffen The Slow Show auf DREAM DARLING auf bemerkenswerte Weise. Das Album macht es einem zunächst nicht leicht, weil es eben die Geschichten und die kleinen Details sind, die Aufmerksamkeit einfordern – genau das ist es dann jedoch auch, was dieses Album erneut zu einem ganz besonderen werden lässt. Bleibt zu hoffen, daß The Slow Show nach diesem zweiten außergewöhnlich guten Album die Aufmerksamkeit zuteil wird, die diese Band verdient und dass endlich die Vergleiche zu The National und Lambchop aufhören. Denn spätestens mit DREAM DARLING haben sich The Slow Show ihre eigene kleine Genre-Nische geschaffen.
VÖ: 30.September 2016, Haldern Pop Recordings, http://www.theslowshow.co.uk
Ohr d’Oeuvre: Ordinary Love/ Last Man Standing/ Brawling Tonight
Gesamteindruck: 8,5/10
Tracklist: Strangers Now/ Hurts/ Ordinary Lives/ Lullaby/ Dry My Bones/ This Time/ Brawling Tonight/ Last Man Standing/ Breaks Today/ Brick
Pixies – Head Carrier
Nein, mit Pixies sind hier keine kleinen Billig-Kinderbücher aus dem Wühlkorb im Supermarktkassenbereich gemeint. Gemeint sind „Die Pixies“, die als Urväter des Grunge gehandelten grauen Eminenzen aus Boston, die sich mit HEAD CARRIER, ihrem siebten Stuidoalbum zurückmelden.
Abgetaucht waren die Pixies in den letzten zwei Jahren nicht, tourten sie doch um den halben Globus. Ruhiger war es nach ziemlich heftigen Kritiken am 2014er Album INDIE CINDY und dem Ausstieg von Kim Deal 2013, mit der Übergangslösung Kim Shattuk auch nicht um die Pixies geworden. Mit Paz Lenchantin am Bass haben die Herren Black Francis, Joey Santiago und David Lovering sich jetzt aber adäquat komplettieren können. Auch Altlasten scheinen überwunden zu sein. Mit „All I Think About Now“ schreiben sie ihrer Ex-Kollegin gar einen Song, der zum einen von Lenchantin eindrucksvoll gesungen wird und zum anderen sehr deutliche Anleihen ihres Hits „Where is my Mind?“ offenbart. Erwartungen erfüllen und ihrem Einfluss auf eine ganze Stilrichtung gerecht zu werden, war nie die Triebfeder der Pixies.Vielmehr war es die musikalische Weiterentwicklung. HEAD CARRIER ist ein Pixies Album, aber keine Pixies Version von vor 20 Jahren. Die Pixies von heute zitieren und recyceln sich zwar ein ums andere mal, aber zwischendurch meint man ein mittlerweile altersweises Augenzwinkern hören zu können. Sie bleiben sich dennoch treu, mischen in gewohnter Manier Country Elemente mit Surf-Psychedelic-Grunge-Rock zu ihrem ureigenen Sound, etwas poppiger, dem ein oder anderen vielleicht etwas zu gefällig, aber HEAD CARRIER hat das Potential eines dieser Alben zu werden, das Zeit braucht, um im richtigen Kontext nachzureifen.
VÖ: 30.September 2016, Pixies Music, http://www.pixiesmusic.com/
Ohr d’Oeuvre: All I Think About Now/ Baal’s Back/ Oona
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Head Carrier/ Classic Masher/ Baal’s Back/ Might As Well Be Gone/ Oona/ Talent/ Tenement Song/ Bel Esprit/ All I Think About Now/ Um Chagga Lagga/ Plaster Of Paris/ All The Saints
LVL Up – Return to love
LVL Up aus New York gehören zu den neuen Sterne am altehrwürdigen Sub Pop-Himmel. Die musikalischen Verweise führen tief zurück in die 1990er, als das Wort „Slacker“ noch ein Kompliment war.
2016 scheint das Jahr zu sein, in dem die Slacker wieder aus ihren Höhlen an die Oberfläche drängen. So hört sich zumindest das dritte Album RETURN TO LOVE von LVL Up an. Ähnlich wie ihre New Yorker Homies Yuck spielen die Vier ein Indiepopalbum zwischen der Entspanntheit Pavements („Spirit was“), der Vielstimmigkeit Built to Spills und der Cheesyness von Weezer ein. Wobei man sagen muss eher von Weezer auf Beruhigungspille. So finden sich mit Ausnahme des mächtigen Intros von „Five Men on a ridge“ und der Single „Pain“ kaum Lärmausbrüche auf dem Album. Viel mehr schwelgt man, wie die bereits erwähnten Yuck oder The Real Estate in zurückgelehnten, zeitlosen Melodien und einem choruslastigen Gesang, der kaum Stressmomente ausstrahlt. So entstehen wundervolle Slow-Indiepopperlen wie „They sustain us“ oder das knackige „I“. Bei so viel Entspanntheit besteht auch immer die Gefahr zu kitschig und lässig zu werden. So passiert dies leider an einigen Stellen („Cut from a Vine“), wo man sich fragt, ob das Langeweile vor der eigenen Pose ist oder einfach bei den Aufnahmen ein paar Valium zu viel eingenommen wurden. Mit dem letzten Stück, dem sieben Minuten Epos „Naked in the rain“ und einer Orgelmelodie, die fast an Spiritualized erinnert, fügt die Band noch mal eine ganz neue Note ein und verhindert das drohende Einschlafen. Alles in allem bieten LVL Up über die ganze Plattenlänge betrachtet, zeitlosen Indiepop mit Melodien, die einem den Tag versüßen und vielleicht dazu beitragen, die Strickjacke mal wieder aus dem Schrank zu holen und über alle „Like“-Button Abhängigen der Welt mild-müde zu lächeln.
VÖ: 23.09.2016, Sub Pop, https://lvlup.bandcamp.com/album/return-to-love
Ohr d’Oeuvre: They sustain us / The closing door/ I
Gesamteindruck: 6,5 /10,0
Tracklist: Hidden Driver/ Blur/ They sustain us/ Spirit was/ Pain The closing door/ Five men on the ridge/ Cut from the vine/ I /Naked in the river with the creator
All diese Gewalt – Welt in Klammern
Hinter All diese Gewalt steckt Max Rieger, Mitglied von Die Nerven und Produzent von diversen Noise- und Post-Punk Projekten. Auf WELT IN KLAMMERN gibt sich Rieger textlich gewohnt traumwandlerisch, musikalisch hingegen vielschichtiger denn je.
Max Riegers Hauptband die Nerven erlangte durch ihre Schroffheit, ihren Eigensinn und ihre radikale Improvisationslust einen Alleinstellungsstatus, der den meisten Bands gegenwärtig abgeht. Live weiß man nie genau wohin sich die Stücke entwickeln, wo die Band auskommt, welche Wendungen der Song nehmen wird. Auch auf seinem nun als All diese Gewalt, erschienenem zweiten Solowerk WELT IN KLAMMERN quillt aus jeder Pore eine Experimentierlust und eine Individualität, die nur wenige Künstler gegenwärtig hierzulande ausstrahlen. Allerdings in einer komplett ungewohnten Weise. Die Physis und Extrovertiertheit seiner Hauptband, die Reduziertheit im Sound, ersetzt Rieger durch stille, introvertierte und verschachtelte Klangkunstwerke. Klangskunstwerke, weil der Begriff „Song“ nur auf die wenigsten Stücke des Albums zutrifft. Nicht schroff, nicht abgehackt kommen sie daher, sondern als pulsierende Soundexperimente, vom einem warmen Vintagesound getragen, der an den 80er Wave von beispielsweise DAF erinnert. Rieger vermischt Wavegitarren, mit monoton – mäandrierenden Drone Sounds und Synthie Beats, die sich zu vielschichtigen Soundlandschaften auftürmen. Gerade zum Ende hin verabschiedet sich das Album mit Stücken wie „Kuppel“ oder „Klang“ vollkommen von herkömmlichen Songstrukturen und geht in warmen Synthielandschaften auf, wie man sie eventuell von Bands, wie von Spar oder How too dress well? kennt. Am stärksten für das konventionelle Hörvergnügen sind die Songs, denen Rieger durch treibende Basslinien eine gewisse Dynamik verleiht, wie das verträumte „Jeder Traum ist eine Falle“ oder „Maria in Blau“. Der Rest sind Soundlandschaften, durch er mehr gleitet denn geht, so scheint er zwischen der Realität und den Traumlandschaften hin und her zu pendeln. Mit WELT IN KLAMMERN legt Rieger sein Gesellenstück ab, verlässt den gewohnt sicheren Noise Hafen und startet sein Raumschiff in neue Sphären.
VÖ: 23.09.2016, Staatsakt, https://alldiesegewalt.bandcamp.com/
Ohr d’Oeuvre: Klang/ Jeder Traum ist eine Falle/ Maria in Blau
Gesamteindruck: 7,0 /10,0
Tracklist: Wie es geht/ Maria in Blau/ Jeder Traum ist eine Falle/ Laut denken/ (Ohne Titel)/ Kuppel/ Stimmen/ Klang/Morgen alles neu/ Geister