Warpaint – Heads Up
Wahrscheinlich könnte man den Damen von Warpaint auch Blechbüchsen, Rasseln und Maultrommeln in die Hände drücken, die Songs würden trotzdem so gut klingen, wie einige auf ihrem aktuellen Album HEADS UP. Sprengen sie doch permanent den Rahmen, den ihre Instrumentierung ihnen vorgibt.
HEADS UP ist das dritte Album der Band aus Los Angeles nach WARPAINT 2014 und THE FOOL 2010. Stark hörbare Einflüsse aus diversen Nebenprojekten einzelner BandmitgliederInnen haben den Weg auf das neue Album gefunden. Schon beim Opener „Whiteout“ mit seinem treibenden Trip-Pop Beat und einem stark RnB – lastigen Gesang bemerkt man, dass die Band sich zwar nicht neu erfunden, aber doch stark weiterentwickelt hat. „By Your Side“ klingt nach Industrial, untermalt von nicht genauer identifizierbaren Klangteppichen verschiedenster Instrumente. „New Song“ wirkt dagegen fast wie der Wunsch der Plattenfirma nach einem radio- und tanztauglichem Hit. Die folgenden „The Stall“ und „So Good“ haben dann wieder den Warpaint-typischen New Wave Touch, mit an Robert Smith erinnernden Gitarrenklängen. Die psychedelisch angehauchte sixties-offbeat Nummer „Don´t Let Go“ ist das erste echte Highlight des Albums und der Albumtiteltrack „Heads Up“ der heimliche Hit. Balladenhaft mit Piano und gehauchtem Gesang startend, holt einen der Song nach einer knappen Minute mit einem grandiosen Basslauf ab und bittet zum Tanz. Die Vier schaffen es auch auf HEADS UP fast jedem Song einen eigenen Spannungsbogen und eine Entwicklung zu verpassen, die es auf jeden Fall erforderlich machen das Album im ganzen und mehrmals zu hören, bevor sich das gesamte Potential und der Ideenreichtum vollends entfalten können.
VÖ: 23. September 2016, Rough Trade, http://warpaintwarpaint.com/
Ohr d’Oeuvre: Don´t Let Go/ Heads Up
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Whiteout/ By Your Side/ New Song/ The Stall/ So Good/ Don´t Wanna/ Don´t Let Go/ Dre/ Heads Up/ Above Control /Today Dear
Sportfreunde Stiller – Sturm und Stille
Mit ihrem siebten Studioalbum STURM UND STILLE gelingt den Sportfreunden Stiller eine kurzweilige Betrachtung des Lebens als Verliebte und Mittvierziger. Zum Glück legen sie es dabei nicht mit Gewalt darauf an die Konsensband für alle zu sein, auch wenn leider wieder einige textliche Ausfälle und Reisen in stumpfe Mitgrölniederungen zu beklagen sind.
20 Jahre Sportfreunde Stiller – wohl kaum hätte man nach den ersten Schritten der Band Ende der 1990er als Epigonen in der nachlassenden „Hamburger Schule“-Euphorie gedacht, dass das Trio es so lange macht. Auf ihrem neuen Album gelingt Ihnen keine Neuerfindung, aber ein modernes Gitarrenalbum zwischen neuer deutscher Welle, Folkpop und Indierock. Gerade der Anfang mit den Gitarrenpopkrachern „Raus in den Rausch“ und „Viel zu schön“ machen Lust auf mehr. Um in Fussballvokabeln zu bleiben: Über einfaches Spiel und eingängigen Text, mit der Unbekümmertheit der Anfangstage, kommen sie zum Erfolg. Auch wenn es danach etwas schnörkeliger wird, macht das Album auch weiterhin durchaus Spaß, sofern man keine großen Wendungen in Arrangements oder dramatische Wendungen in den Songs erwartet. Nein, die Songs laufen mit einer gehörigen Portion Elektronik versehen, gefällig vor sich her. Manchmal denkt man an die Shout Out Louds, manchmal an Bands wie Virgina Jetzt!, die ähnlich, wie die Sportfreunde Stiller im Graubereich zwischen Mainstream und eigener Note wandeln. Man hätte nur auf die mit der Schrotflinte eingestreuten „Ohhhhhooo“ – Chöre verzichten können, die aber scheinbar bei jeder größeren deutschen Produktion seit Andreas Bourani Pflicht zu sein scheinen. Man wünscht sich wirklich mal ein Werk ohne diese stumpfe Gefühlsduselei. Dummerweise spielen bei deutscher Musik auch immer die Texte eine Rolle und hier liegt bei einigen Songs die Problemzone des Trios. Damit sind gar nicht mal die Inhalte gemeint, die ein großes Abfeiern der Liebe und manchmal eine relativ zurückgelehnte Reflektion des Älterwerdens („Keith & Lemmy“) sind. Das Problem ist dieser Zwang zum Endreim. So wirken die Lieder teilweise so naiv und stumpf („Das Geschenk“), dass sie besser auf einer Kinder CD aufgehoben wären. Oder die Reime tun einfach nur weh wie in „Rotweinflaschengrün“. Gerade an diesem Lied tut sich die Schizophrenie der Platte auf. Die Melodie und der Song könnten auch von Of Mice and Men stammen und zeigen, dass die Sportis eine Hand für Melodien und Stimmungen haben, aber bei Reimen wie „heißer Shit“ auf der „neuste Hit“ rollen sich einfach die Nägel auf. Trotzdem muss man ihnen irgendwie auch wieder Repsekt zollen, dass die drei ihrer Linie treu bleiben. Kein Verständnis gibt es aber für so drittklassige Deichkindanbiedereien wie „L.U.M.P.I.“ Na ja, nicht die Platte für die dritte Halbzeit, eher die Platte für die Halbzeitkonferenz.
VÖ: 7.Oktober 2016, Vertigo Berlin/Universal Music, http://www.sportfreunde-stiller.de/
Ohr d’Oeuvre: Ich nehm’s wie’s kommt/ Raus in den Rausch/ Zwischen den Welten
Gesamteindruck: 6,0/10
Tracklist: Raus in den Rausch/ Viel zu schön/ Sturm & Stille/Zwischen den Welten/Das Geschenk/ Disko4000/ Brett vorm Herz/ Keith&Lemmy/ Rotweinflaschengrün/ Ich nehm’s wie’s kommt/Lumpi (L.U.M.P.I)/ Auf Jubel gebaut
The Lion and The wolf – The Cardiac Hotel
Mit THE CARDIAC HOTEL legt The Lion and The Wolf dieser Tage sein zweites Album in hiesigen Gefilden vor. Hinter The Lion And The Wolf verbirgt sich der Singer-/ Songwriter Thomas George von der kleinen englischen Isle of Wight.
Musikalisch kommt das neue Album wunderbar unaufgeregt daher. George hat anscheinend auf seinen mehr als 300 Live-Auftritten ein äußerst gutes Gespür für die perfekte Instrumentierung seiner kleinen Geschichten entwickelt. Nie übertrieben, immer auf den Punkt und vor allem nie in den Vordergrund drängend streut er neben seiner Gitarre Streicher, Klavier und Bläser ein. Manchmal erinnert der Sound an John K. Samson und seine Weakerthans. Selbst die momentan im Singer-/Songwriter-Kosmos recht inflationär eingesetzte Kopfstimme stört bei The Lion And The Wolf nicht im Geringsten. Gibt man den Songs etwas Zeit, wird man am Ende fast immer mit wunderschönen kleinen Wendungen oder hymnischen Steigerungen belohnt.
Beste Beispiele hierfür sind „Don’t Fail Me Now“ und „The Hospital Floor“. Ersteres startet behäbig und baut sich durch den geschickten Einsatz der Bläser zu einem großartigen hymnischen Ende auf. „The Hospital Floor“ beginnt mit einem leicht rumpelnden Schlagzeug und zieht den Hörer im Verlauf des Songs durch die wundervoll einsetzende Gitarre und den traurigen Text in seinen Bann.
Im Mittelpunkt der meisten Lieder auf THE CARDIAC HOTEL steht die Auseinandersetzung Georges mit der schweren Krankheit seines Vaters, die diesem fast das Leben gekostet hätte. Dabei wirkt Thomas George trotz des ernsten Themas nie resigniert. Seine Auseinandersetzung mit der Krankheit fußt auf dem unzerstörbaren Optimismus, diese zu besiegen.
Mit THE CARDIAC HOTEL legt The Lion and The Wolf ein wundervoll entspanntes Album vor, das wie geschaffen ist für ruhige Herbstabende vor dem warmen Kamin.
VÖ: 07.10.2016, Grand Hotel van Cleef, Xtramile Recordings, https://www.facebook.com/thelionandthewolf
Ohr d’Oeuvre: Don’t Fail Me Now/ The Hospital Floor/ December
Gesamteindruck: 7,5/ 10
Tracklist: Don’t Fail Me Now/ Heaven Forbid/ My Father’s Eyes/ The Hospital Floor/ Walk On The Moon/ The Pinching Point/ Barstools/ December/ Past The Point Of Fair/ Witness/ Find The Time
Bon Iver – 22, A Million
Eine der Neuigkeiten des letzten Sommers war die Ankündigung von Justin Vernon a.k.a. Bon Iver, nach knapp 6 Jahren Funkstille – von einigen Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern und der Veröffentlichung des brillianten zweiten Albums von Volcano Choir abgesehen – ein neues Album veröffentlichen zu wollen. Es stellt sich die Frage, welche Richtung er einschlagen wird. Dem musikalischen Weg des Zweitlings BON IVER folgen, die Arbeiten der Zweitband Volcano Choir in die neuen Stücke einfließen lassen oder etwas gänzlich Neues kreieren?
Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Das Album wird in jedem Fall zu den bleibenden musikalischen Eindrücken dieses Jahres zählen. Es ist wunderbar aber gleichzeitig sperrig, sehr eigen und der Hörer benötigt einige Zeit einen Zugang zu finden. Die ganzheitliche (Eigen-)Dynamik macht 22, A MILLION definitiv zu keiner Platte zum kurzen mal Durchskippen. Ist die Tür aber einmal geöffnet, fangen die Lieder den Hörer ein und lassen ihn nicht mehr los. 22, A MILLION ist die Symbiose des zuvor erwähnten REPAVE von Volcano Choir und des Grammy prämierten BON IVER und steht auf einer Stufe mit diesen beiden Alben. Die Songs haben einen folkigen Charakter, wobei die Gitarren anders als bisher weniger im Mittelpunkt stehen. Vernon experimentiert mit Synthesizern, Effektgeräten für Stimmen und mit allerlei elektronischen Gimmicks. Gitarren stimmen zwar die Melodien an, übernehmen aber nicht mehr die tragende Rolle. Dadurch erschafft Justin Vernon eine neue Form der Musik, die am besten mit dem Begriff „Elektrofolk“ zu betiteln ist.
Aus den allesamt sehr starken Stücken sind drei besonders hervorzuheben. „10 d e A T h b R E a s T“ ist nach dem Opener der erste sperrige Song, der zunächst scheinbar überfordert, um nach und nach seine ganze Größe zu entfalten. Das Stück weist einen Grundbeat auf, zeigt die elektrofolkige Richtung an und lässt erahnen welche Möglichkeiten die Vermischung der verschiedenen Genres noch mit sich bringen kann. „33 „GOD““ schlägt eine Brücke zwischen Stücken aus den ersten beiden Bon Iver Alben und dem Grundcharakter der aktuellen Veröffentlichung. Dieser Song ist ein Folkpopstück, welches Piano mit Synthesizern- und Stimmeffekten verbindet, dabei aber bekannte Instrumente wie Gitarre oder Ukulele spielerisch einfließen lässt und zum Mitsummen und -wippen einlädt. Das letzte Stück „00000 Million“ erinnert am meisten an die bisherigen Liveauftritte von Bon Iver, bei denen Vernon oftmals Stücke am Piano spielt und von Live Musikern begleitet wird. Es deutet an, dass er auf dem neuen Album auch Stücke vom Charakter der beiden ersten Alben hätte spielen können, es aber bewusst nicht wollte.
Abschließend lässt sich sagen, dass 22, A MILLION zu den herausragenden Alben des Jahres gehört, und es sicherlich über Jahre hinweg immer wieder gehört werden kann, wenn der Hörer einmal Zugang gefunden hat.
VÖ: 30. September 2016, Jagjaguwar, http://boniver.org/
Ohr d’Oeuvre: 10 d e A T h b R E a s T/ 33 „GOD“/ 00000 Million/
Gesamteindruck: 9,0 /10,0
Tracklist: 22 (Over Soon)/ 10 Deathbreast/ 715 Creeks/ 33 „GOD“/ 22#Strafford ATPS/ 666/ 21 Moon Water/ 8 (circle)/ _______45_________/ 00000 Million