Rotten Mind – Rotten Mind
Eigentlich kommt das selbstbetitelte Zweitwerk der Schweden ROTTEN MIND 40 Jahre zu spät. Als würden die Buzzcocks und Undertones aus ihren musikalischen Gräbern steigen, um die Welt wieder mit ihrem Power Pop zu verzaubern, beziehungsweise mindestens zu retten.
Früher die Japaner, heute die Chinesen – beide haben diese Fähigkeit bereits existierende Dinge zu reproduzieren und meist ein wenig sexier zu machen. Übertragen sind die Schweden ein wenig wie die Chinesen, zumindest was die Musik betrifft. Sie haben die Fähigkeit Musik, deren Halbwertszeit eigentlich schon abgelaufen ist, mit einer Begeisterung und Ungestühmtheit neu einzuspielen, die die ursprüngliche Energie wieder zum Leben erweckt. Aktuelles Beispiel ist ROTTEN MIND, das Zweitwerk der gleichnamigen Band aus Upsala. Ursprünglich dem Hardcore entstammend, wurde Ihr Debüt für die Direktheit der Songs und die Reduziertheit der Produktion gefeiert. Damit machen sie einfach weiter, als wären die Undertones refomiert und würden ihren Drei – Akkord Power Pop wieder unters Volk werfen. An anderen Stellen blitzen die frühen Libertines auf, die ja auch damals vor allem durch ihre Ungeschliffenheit glänzten. Dies tun Rotten Mind auch, egal ob hymnisch im Midtempobereich wie in „When you come Back“ und „Still searching“ oder im geknüppelten Punkrock – Zweiminüter „Things I can’t see“, dem heimlichen Hit der Platte. Der Energielevel wird konstant hochgehalten, die Melodie nie vergessen und dem Hörer direkt ins Gesicht geschleudert. Und eben diese Unbekümmertheit und Direktheit geben dem ganzen seine Berechtigung, auch wenn dies auf Dauer mit gewissen Abnutzungserscheinungen verbunden ist, da am Ende die meisten Songs doch von der Struktur nicht überraschen. Aber wir fordern jetzt, bringt sie heran in den Konzertsaal, lasst Schweiß und Bier regnen!
VÖ:17.März.2017, Lövely Records
Ohr d’Oeuvre: Things I can’t see / Still Searching/ When you come back
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: Wish you were gone /Things I can’t see/ Still searching/ Dark intentions/ Got me numbered/ When you come back/ Real lies/ Out of use/ Safer place/ I Need to know
(pd)
Die Regierung – Raus
Treffen sich ein Programmierer, ein Sozialpädagoge und ein Erziehungswissenschaftler im Proberaum. Was folgt, ist kein Musikerwitz, sondern die Rückkehrerplatte des Jahres. Die Regierung aus Essen, später Hamburg, deren Platten hoch verehrt aber kaum gekauft wurden, legt mit RAUS die erste neue Veröffentlichung seit über zwanzig Jahren vor.
Für einen uneingeschränkten Legendenstatus sind späte Comebacks mitunter eine heikle Sache. Die Regierung, gepriesenes Vorbild und vielgenannter Beinahe-Bestandteil der einstigen Hamburger Schule, überstehen dieses Wagnis beeindruckend souverän. Dank einer sorgfältigen, atmosphärisch präzisen Produktion ist RAUS eindeutig als Regierungsalbum wiederzuerkennen. Der Sound ist in der Nähe des Vorgängers UNTEN zu verorten, wenngleich Thies Mynther und sein präsentes Tastenspiel nicht mit zurück gekehrt sind. Durch beides wurde Die Regierung einst noch viel besser, aber es geht auch ohne und wird seine Gründe haben. Die Songs geraten dadurch eine Spur gitarrenbetonter und das passt letztlich sogar besser zum Charakter, der wie immer von Tilman Rossmy geschriebenen Stücke, die nicht mehr so orientierungssuchend und verletzlich daherkommen wie früher – kein Text mehr über ‚Es‘ – sondern wie seine jüngeren Werke den Geist der Rossmy´schen Wahrhaftigkeit atmen.
Textlich wie stimmlich enthält RAUS die gleiche einzigartige Kombination aus schluffig-lässiger Distanz und direkter, persönlicher Offenheit, die Tilman Rossmy in den letzten zwanzig Jahren unter eigenem Namen abgeliefert hat. Das ist die aktuelle Fassung der unverstellten Sicht auf die (eigenen!) Dinge. In „Bemerkenswerte Menschen“ setzt sich Rossmy einmal mehr mit dem Musikgeschäft auseinander, wenn er findet „Ist es nicht ein Witz, das man es so nennt?“. Mehrfach geht es ums Altern und Reifen („Du veränderst dich nicht. Du wirst nur immer mehr so, wie Du bist…“) und um Rückblicke („Würd´ ich nochmal an dieser Kreuzung stehen, würd´ ich dann wirklich in ´ne andere Richtung gehen?“).
Für sich genommen ist RAUS schon eine gute Platte geworden. Spannt man aber den Bogen von den frühesten Tapes und dem Debutalbum aus 1984, über die Werke der Neunziger und Rossmys Wege nach Die Regierung mit dem Übergang vom Profideal zu selbst vertriebenen Kleinstauflagen und Konzerttouren, limitiert durch den Jahresurlaub und die Schulferien der Kinder, bis hin zur Ankunft auf dem aktuell führenden Label Staatsakt und der neuen Platte, die mit der unmissverständlichen Feststellung endet, dass man bereits „auf dem Weg nach draußen“ ist, dann wird daraus ein Juwel, dessen Strahlkraft uns mal wieder die zukünftigen Wegstrecken ausleuchtet.
VÖ: 23. April 2017, Staatsakt, http://www.facebook.com/dieregierung
Ohr d’Oeuvre: Bemerkenswerte Menschen/ Immer mehr so wie du bist/ Der Weg nach draußen
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Mittenhinein/ Bemerkenswerte Menschen/ Immer mehr so wie du bist/ Konjunktiv 2/ So wie ein Liebhaber/ 30 Jahre mehr/ Ich wiederhol‘ das/ Wieder von vorn/ Wie die Motte in das Licht/ Woher kommst du/ Der Weg nach draußen
(tj)