Afghan Whigs – In Spades
„It’s a spooky record“ …so denkt Greg Dulli, Sänger und Mastermind der Afghan Whigs über IN SPADES, die neue Platte der Drama Rock Kings aus Cincinnati. Diese ist ein Beweis, das Comebacks manchmal eine Berechtigung haben, wenn eine solche Energie frei gesetzt wird wie hier. Auch, wenn diese gewohnt die dunkleren Seiten der Seele und der Liebe beleuchtet.
Rund drei Jahre nach ihrem Comebackalbum DO TO THE BEAST legen die Afghan Whigs mit IN SPADES ein opulentes, organisches und ein gewohnt dunkles Nachfolgewerk vor. Die Platte entstand direkt im Anschluß an die Touren und dient vor allem als Dokument einer gewachsenen Bandstruktur, die sich gefunden hat und es schafft, den Vibe der alten Platten mit einer smusikalischen Vielschichtigkeit zu verbinden. Selbiges hat sich gemäß Bassist – und neben Dulli letztem verbliebenem Gründungsmitglied – John Curley bereits auf der Tour abgezeichnet. Jeder Baustein scheint hier ineinander zu greifen, egal ob bei den relativ straighten Songs wie der Single „Demon in Profile“ oder dem rythmischen „Light as a feather“, welche an Songs wie „John the Baptist“ und die BLACK LOVE Phase erinnern oder den streicherlastigen Werken, die sich zurückhaltend an den Hörer ranschleichen wie „Birdland“ oder „Oriole“. Dort sind die Streicher nicht nur Füllwerk, sondern Takt- und Dynamikgeber und bilden den Resonanzraum für die abgeklärte, dunkle Stimme Dullis und seine apokalyptische Bildsprache. Auch der Souleinschlag, früher immanent vorhanden, aber teilweise sehr stark im Schatten der Gitarren stehend, kommt in Form der Bläsersektionen punktierter und klarer zum Tragen. Sicherlich ein Ergebnis von Dullis Twilight Singers Zeit. Wunderbares Beispiel ist „The Spell“ mit seinem brüchigen Pianoanfang, der sich zu einer verstörenden Gitarrenwand auftürmt.
„Listen in the the distanceas
the sky begins to fall
Raining down like crystalline
Apocalypse in thrall
Rolling under-
Torn asunder-
Blinded by it all…“
(Corpenicus)
Dulli verpackt die dunkle, konfuse Weltlage, den Schmerz über das große Sterben in der Künstlerszene in eine dunkle Metahpersprache, die er gekonnt mit klaustrophobischen Innenansichten kreuzt. Faszinierend – eben Rock ’n‘ Roll, aber wenig lebensbejahend! Genauso wenig wie IN SPADES den Hörer losläßt. Staddessen wird man vom kammerspielartigen Opener „Birdland“ bis zum großartigen Abschluss „Into the Floor“ unweigerlich in diese Platte hineingezogen, die wie gesagt die Brücke zwischen den Meisterwerken der Vergangenheit und der neuen Geschlossenheit der Gegenwart bildet: Gerade letzteres Stück ist der beste Beweis, entstand es doch als Outrojam auf der Tour im Anschluss an den Alltime – Bandklassiker „Milez is dead“ , wonach die Fans stets fragten, wann die Band dies endlich auf Platte banne.
Man kann gespannt, nein will gespannt sein, ob die Whigs diese Mischung aus Spannung und Erfahrung beibehalten können. Es ist zu hoffen, da das Niveau, welches die Band mit IN SPADES vorgelegt hat, viel zu Schade wäre, um es in der Abstellkammer der Musikgeschichte abzulegen.
Ohr d’Oeuvre: Corpernicus/ Demon in profile/ Into the floor
Gesamteindruck: 8,5 /10
Tracklist: Birdland/ Arabian Heights/ Demon in Profile/ Toy Automatic/ Oriole/ Corpernicus/ The Spell/ Light as a feather/ I got lost/ Into the floor
(pd)
The Flatliners – Inviting Light
Wenn man mit Musikliebhabern über Kanada spricht, sieht man oftmals ein Funkeln in den Augen des Gegenübers, ist das Land doch für qualitativ äußerst hochwertige Musikexporte bekannt. Angefangen bei Leonard Cohen über Arcade Fire bis hin zu den Polit-Punkrockern von Propaghandi und nicht zu vergessen John K. Samson mit seinen großartigen Weakerthans. Ebenfalls aus dem hohen amerikanischen Norden liefern die Flatliners seit Jahren durchweg höchst anspruchsvolle – soweit man davon in diesem Genre sprechen kann – Punkrock-Alben ab. Entsprechend stetig ist die Fanbase des Vierers aus Ontario gewachsen. Teile dieser Fans haben bei der Ankündigung des neuen Albums INVITING LIGHT Herzprobleme bekommen, weil die Band vom geliebten Szenelabel Fat Wreck Chords zum bösen Major Rise Records (Warner) gewechselt ist. Der Ruf des Ausverkaufs wurde wie so oft laut und insgeheim wurde von vielen schon mit den Hufen gescharrt und sich das wissende: „Hab ich doch gesagt, das sind nicht mehr die alten Flatliners“ zurechtgelegt.
Was soll man sagen? Zumindest in Teilen mag das sogar stimmen, ist im Falle von INVITING LIGHT aber völlig irrelevant, denn die Band um Sänger Chris Cresswell hat sich zu jedem Album verändert – also nichts, was man der Band vorwerfen könnte. Bei näherer Betrachtung muss man sogar feststellen, dass die neue Platte die konsequente Weiterentwicklung des Vorgängers DEAD LANGUAGE ist. Auf dieser findet man überwiegend Songs im klassischen Fat Wreck 4/4 – Takt, die einen an Genregrößen wie die Descendents erinnerten (Dead Hands). Ansätze von komplexerem Songwriting, wie sie auf INVITING LIGHT fortgeführt werden, sind bei Songs wie „Drown in Blood“ jedoch schon deutlich zu erkennen. Hier erinnern die Flatliners eher an die Foo Fighters als an typische Fat Wreck Bands. Ihnen vorzuwerfen, Grund für diese Veränderung sei der Wechsel zum Major, greift dabei zu kurz, denn songwriterisch liefern die Flatliners auf INVITING LIGHTS ihr mit Abstand ausgereiftestes Album ab. Was man tatsächlich bemängeln kann, ist, dass Chris Cresswells Stimme bei einigen Songs durch einen furchtbaren Hall verfremdet wird. Hier hätte es dem Album gut zu Gesicht gestanden, Cresswells Stimme nicht der Produktion zu opfern, denn nur ganz wenige Sänger im Punkrock können ihm stimmtechnisch das Wasser reichen. Legt man die Szenepolizeiuniform zur Seite und hört sich INVITING LIGHT völlig unvoreingenommen an, so haben die Flatliners ein ziemlich gutes Stück Rockmusik vorgelegt und sich den Weg in die Ohren einer größeren Hörerschaft geebnet.
VÖ: 07.April 2017, Rise/Warner, http://www.theflatliners.com/
Ohr d’Oeuvre: Indoors/ Wedding Speech/ Burn Out Again
Gesamteindruck: 7/10
Tracklist: Mammals/ Hang my head/ Nicotine lips/ Indoors/ Human party trick/ Unconditional love/ Burn out again/ Infinite wisdom/ Sympathy vote/ Wedding speech/ Chamaeleon skin/ No roads
(at)