Faber – Sei ein Faber im Wind
Mangelndes Selbstbewusstsein kann man Faber nicht attestieren. Mit gerade mal 24 Lenzen auf dem Buckel klingt er auf seinem Debut SEI EIN FABER IM WIND erstmal deutlich älter und erfahrener.
Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und durchaus humoristisch karikiert Faber, was ihn umtreibt und trifft damit mitten hinein ins Herz einer scheinbar an sich selbst satten Gesellschaft. Traurig und kaputt sind die Geschichten, doch immer versehen mit diesem speziellen, fatalistischen Hoffnungsschimmer im Hintergrund. Ein Gefühl ist besser als keins, auch wenn es denn ein trauriges ist. Dazwischen wäre ansonsten Leere.
Seine teils obszön derben (Nutten, Arschloch, Hurensöhne, Faschisten, Nazifressen,…), doch immer scharfsinnig pointierten Texte dürften zarten Gemütern den Zugang erschweren, aber abschrecken lassen sollte man sich tunlichst nicht. Auch musikalisch polarisiert der Schweizer mit den sizilianischen Wurzeln. Mit seiner Band wirbelt er wild, gelungen und konsequent die verschiedensten Stile durcheinander. Mischt Singer-Songwritertum („Alles Gute“) mit Folk, Balkan, Klezmer („Es könnte schöner sein“), gibt dem ganzen manchmal einen hippiesk-psychedelischen Einschlag („Brüstebeinarschgesicht“) und mit Saloon-Dschungelbuch Anleihen („Nichts“) zeigt er auch seinen musikalischen Humor. Immer ist es etwas Eigenes. Immer ist es unverkennbar Faber. Vielleicht ist es diese über allem rau und alt raspelnde Stimmgewalt, die klingt als hätte man das Reibeisen eines Tom Waits mit der gefühlvollen Intensität Rio Reisers, dazu den Humor Georg Kreislers, die dunkle Seite von Sven Regner und die Leidenschaft eines Jaques Brell in einem viel zu jungen Körper gekreuzt. Vielleicht ist es aber auch seine Historie als Sohn eines italienischen Liedermachers oder die Erfahrungen als Restaurant- und Hochzeitsmusiker, die diesem jungen Chansonier den Schliff bis hierher gegeben haben. Was es auch ist es: es ist gut das es ihn gibt. Ehrlich, intensiv, authentisch, für das gefühlte Alter wunderbar frisch. Bleib dir nicht treu und geh weiter deinen Weg. Auf dem diesjährigen Redaktionslieblingsklassentreffen in Haldern werden wir alternden Herren dir auf alle Fälle dankend zujubeln.
VÖ: 7. Juli 2017, Vertigo, http://www.fabersingt.com/
Ohr d’Oeuvre: Bleib dir nicht treu/ Nichts/ Wer nicht schwimmen kann der taucht
Gesamteindruck: 9/10
Tracklist: Ouverture/ Wem du es heute kannst besorgen/ Nichts/ Es könnte schöner sein/ Lass mich nicht los/ Bleib dir nicht treu/ Alles Gute/ In Paris brennen Autos/ Bratislava/ Wer nicht schwimmen kann der taucht/ Brüstebeinearschgesicht/ So soll es sein/ Sei ein Faber im Wind
(gb)
Public Service Broadcasting – Every Valley
Mit ihrem dritten Album EVERY VALLEY erwecken Public Service Broadacasting einmal mehr alte Zeiten zum Leben und geben einen bewegenden Einblick in den Aufstieg und Fall der britischen Kohleindustrie.
Menschen aus Bayern erzählten immer gern die Geschichte, dass sie sich riesig freuten, wenn Touristen aus dem Ruhrgebiet kamen. Dann gab es in 1950ern und 1960ern eine Geldschwemme in die eher zurück entwickelten süddeutschen Landschaften. Galten die Landsleute aus dem Westen und aus dem Ruhrgebiet im Speziellen als wohlhabend und die Region als Herz der deutschen Wirtschaft. Dementsprechend war das Selbstbewusstsein der Kohlekumpel im Revier. Bekanntlich gehört diese Geschichte spätestens mit dem Schließen der letzten Zeche 2017 der Vergangenheit an. Was bleibt ist irgendwo der Stolz auf die Vergangenheit, eine postindustrielle Landschaft und vielleicht das Staunen der Spätgeborenen, wenn mal irgendwo wieder ein Auto in der Erde verschwindet.
Ist das JMC jetzt zum Tourismusmagazin südliches Ruhrgebiet mutiert? Nein, keine Sorge, nur ist EVERY VALLEY, das dritte Album der Londoner von Public Service Broadcasting eine Erzählung vom Aufstieg und Fall der Kohleindustrie in Wales nach dem zweiten Weltkrieg, einer der ärmsten Regionen der britischen Inseln, die noch heute von den Erzählungen der Kohlindustrie lebt. Dabei bleibt die Band ihrer Linie der ersten beiden Platten treu und erzählt nicht selbst davon, sondern lässt erzählen. In mühevoller Recherchearbeit hat Mastermind J. Wilgoose Originaltonsequenzen alter Werbe- und Dokumentarfilme zusammen getragen, die jedem Song seine Geschichte geben. Der Hörer wird Teil auf einer Reise in die idyllischen, walisischen Täler, in denen eine regelrechte Euphorie ausgebrochen war, als dort Kohle entdeckt wurde. So erzählen die ersten Songs von den Träumen der junge Walisier, Bergmänner und somit zu Herrschern der Unterwelt zu werden. Die Musik, die Public Service Broadcasting dazu unterlegen, bewegt sich meist in einem tanzbaren Post-Rock Umfeld, stark untersetzt mit Synthiesound aus den Sechzigern. Dies rundet den utopischen und hoffnungsfrohen Ton der Filmsequenzen ab und könnte auch der Soundtrack zu einem Science Fiction Film aus jener Zeit sein. Ab der Hälfte des Albums kippt die Stimmung, wird melancholischer, erzählt on den Unfällen in den Minen und der absterbenden Zukunftshoffnung, die sich in den Bergarbeiterstreiks der 1980er verdichtete. Passenderweise wird auch der Schwung etwas heraus genommen, bestimmt die Analogie statt der Electronica den Sound, erinnern Songs wie das wunderschöne „You and me“ an den melodischen Britpop der 1990er.
Das Konzept, was Public Service Broadcasting auf EVERY VALLEY verfolgen fasziniert, erreicht jedoch den Höhepunkt, wenn die Band auch Raum für Gastsänger und –innen lässt, wie in „Progress“ für Tracyanne Campell oder fast kämpferischen „Turn no more“ für James Dean Bradfield von den Manic Street Preachers. EVERY VALLEY ist nicht nur ein gutes Stück Musik und sei allen empfohlen, die auf atmosphärischen Post Rock mit leicht nostalgischen Sounds stehen, sondern auch ein Stück Journalismus. So ist es irgendwie Geschichts- und Tanzunterricht.
VÖ: 7. Juli 2017, PIAS, https://www.publicservicebroadcasting.net/
Ohr d’Oeuvre: Progress (ft. Tracyanne Campbell)/ The Pit/ They Gave Me a Lamp (ft. Haiku Salut)
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Every Valley/ The Pit/ People Will Always Need Coal/ Progress (ft. Tracyanne Campbell)/ Go To The Road/ All Out/ Turn No More (ft. James Dean Bradfield)/ They Gave Me A Lamp (ft. Haiku Salut)/ You + Me (ft. Lisa Jên Brown)/ Mother Of The Village/ Take Me Home
(pd)