Fortuna Ehrenfeld – Hey Sexy
Fortuna: 2 Punkte; Ehrenfeld: 1 Punkt; Mitte Vierzig: 2 Punkte; Fatalistische Liebeslieder: 2 Punkte; Lethargisch vorgetragen: 1 Punkt – Wertung steht. An dieser Stelle könnte man die Besprechung von Fortuna Ehrenfelds Meisterwerk HEY SEXY beenden, aber das nicht guten Gewissens, denn:
Was Martin Bechler hier abliefert, ist so unfassbar beschissen schön, dass man bei jedem Hördurchgang mit Tränen in den Augen – wahlweise vor Rührung oder Lachen – dasteht und einem in diesen Momenten sogar egal wäre, wenn das fehlende Bier lauwarm wäre. Versuchen sich oft andere Mittvierziger maximalst unbeholfen an Themen abzuarbeiten, die man doch eher in der frühen Post-Abitur-Zeit verorten würde, packt Fortuna Ehrenfeld eben diese Themen in den Thermomix und drückt auf das Programm „Fatalistisch-Augenzwinkernd-Poetisch-Lethargisch“, mischt einmal durch, schmeißt Drumcomputer und Bontempiorgel an und heraus kommt ein kleines, rührendes Meisterwerk, das man am liebsten an dieser Stelle komplett durchzitieren möchte. Das würde dem Album aber nicht gerecht werden, denn die vermeintliche Größe der durchgeknallten Texte von Bechler kommt am besten mit der durchgängig, absichtlich leicht dilettantisch musikalischen Untermalung der Lieder zur Geltung. Dabei erinnert er in seiner Lakonie am ehesten an Tom Liwa, in seiner textlichen Eigenwilligkeit an Rainald Grebe, ohne jedoch in komödiantischen Wahnsinn zu verfallen.
Es ist schon bemerkenswert. Da versucht sich seit Jahren eine ganze Armee von Popakademikern daran, relevante deutschsprachige Popmusik zu machen, scheitert jedoch maximal befindlichkeitsfixiert. Und dann kommt ein Mittvierziger aus der Indie- und Klamauk Hochburg Köln um die Ecke und zeigt all diesen Jungspunden, dass Relevanz nicht bedeutet, Musik für den dauerklatschenden Fernsehgartenbesucher zu machen.
Eines ist sicher, dieses Album wird polarisieren. Zumindest bei denen, die HEY SEXY nur oberflächlich ihr Ohr leihen. Diejenigen, die dem Album die Zeit einräumen, die es verdient, werden ein wunderbar liebevoll beschissenes Zitatfeuerwerk bekommen, das in sämtlichen Lebenslagen Leben retten kann.
VÖ: 18.August 2017, Grand Hotel van Cleef, https://fortunaehrenfeld.wordpress.com/
Ohr d’Oeuvre: Der Puff von Barcelona/ Gegen die Vernunft/ Glitzerschwein/ Irgendwann der Sommer
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Der Puff von Barcelona/ Bengalo/ Das letzte Kommando/ Ey, Ändi/ Zuweitwegmädchen/ Nach Diktat verreist/ Gegen die Vernunft/ Hundeherz/ Glitzerschwein/ Penn‘ könn’/ Endlos weit weg/ Irgendwann der Sommer
(at)
Ghostpoet – Dark Day + Cannapes
Auf seiner vierten Platte DARK DAYS + CANNAPES lässt Ghostpoet seine Songs mehr atmen, lässt sie mehr mit Sounds und Instrumenten experimentieren. Zugleich scheint seine eigene Stimmung immer dunkler zu werden.
Im ersten Moment wirkt das neue Werk von Obaro Ejimiwe aka Ghostpoet etwas aus der Zeit gefallen. Die Kombination zwischen sphärischen Synthies, verschleppten Beats und Gitarren erinnert eher an das Ende der 1990er, an den Big Beat von Bands wie Unkle. Allerdings fragt man sich zwangsläufig bei jedem Werk des gefeierten Songwriters, welche Rolle die Musik überhaupt spielt, beziehungsweise welche Funktion sie auf einer Ghostpoet Platten einnimmt im Verhältnis zu seinen Geschichten und seiner Stimme. Bestimmt diese doch auch auf der vierten Platte des Briten die Stimmung und Färbung der Songs und diese sind überwiegend dunkel gehalten. Die Vocals kommen ebenso wie die Beats ruhig, unaufgeregt und teilweise verschleppt, wodurch sie dunkel und irgendwie hoffnungslos wirken. Hip Hop auf Tranquellizer wie in „(We’re) Dominos“ oder eine Art Tip Hop, der in Teilen Massive an Attack erinnert.
Musikalisch lässt sich die ruhige Stimmung mit dem steigenden Anteil analoger Instrumentierung erklären, die bereits auf seinem 2015 Album SHREDDING SKIN zu beobachten war. Dagegen nehmen die beat- und samplegesteuerten Arrangements ab, was die Songs einerseits spontaner wirken lässt, andererseits die dunkel gefärbte Grundstimmung der Vocals noch unterstreicht. Dies erklärt sich aus den Inhalten wie in „Immigrant Boogie“, in der die Flüchtlingsproblematik, die auch in England präsenter denn je ist, Inhalt ist. Ein anderes Beispiel ist das beklemmende „Karoshi“, in dem die Überforderung des Einzelnen vor den globalen Problemen und die Lust einfach alles hinzuschmeißen beklemmend vertont wird. Auflockerung bieten wenige Songs wie das schwebende „Trouble and Me“, was Radiohead zu ihrer BENDS Phase auch gut gestanden hätte oder das sommerlich, melancholische „Blind as at Bat“, in dem Gitarre und Beats eine harmonische Mischung eingehen, was auf der Platte nicht immer gelingt. DARK DAY + CANNAPES unterstreicht die Stellung Ghostpoets als eigenwilliger Songwriter und Vocalpoet, auch wenn der ganz große Hit wie der Vergangenheit fehlt und die Arrangements in einigen Lieder etwas unausgereift wirken.
VÖ: 18.Augsut 2017, Play it again Sam
Ohr d’Oeuvre: Blinds as a Bat…/ Trouble and me/ Dopamine if I do
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: One more Step/ Many Moods At Midnight/ Trouble + Me/ (We’re) Dominos/ Freakshow/ Dopamine If I Do/ LiveLeave/ Karoshi/ Blind As A Bat…/ Immigrant Boogie/ Woe Is Meee
(pd)