The National – Sleep well Beast
Nach der Veröffentlichung des letzten Albums vor vier Jahren waren The National lange Zeit auf Welttournee, begeisterten durch die (Mit-)Wirkung an diversen Projekten wie dem Film „Mistaken for Strangers“, die musikalischen Arbeiten der Dessner-Zwillinge wie z.B. der Produktion des letzten Frightend Rabbit-Albums oder die Gründung von LZNDRF durch die Devendorf-Brüder. Trotz des offensichtlich gut gefüllten Kalenders blieb genügend Zeit, um an neuen Stücken zu schreiben. Der Titel SLEEP WELL BEAST des neuen Albums lässt auf nichts Gutes schließen. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen in der Welt ist er wohl sehr bewusst gewählt.
Die ersten vier Songs, die seit Mai dieses Jahres veröffentlicht wurden, verstärken den Eindruck. Aber auch die anderen acht Songs von SLEEP WELL BEAST lassen sich unter der Prämisse bedrückt-nachdenklich zusammenfassen. Sicherlich ist die Präsidentschaft des einfältigen Milliardärs nur ein Faktor dafür, dass die politisch aktive Band, die Obama in seinem Wahlkampf unterstützte, dieses Zeichen setzt. Schon der Opener „Nobody Else Will Be There“ zeigt den musikalischen Rahmen auf, den die Band bei allen Stücken kaum verlässt. Das Album überzeugt durch Songs in Moll-Akkorden mit minimalistischen Arrangements. Zum Teil fließen in die Songs elektronische Elemente oder Bläser ein, in denen die Kooperationen der letzten Jahre durchschimmern. Darüber hinaus trägt der Bariton von Berninger die Songs und gibt ihnen einen hohen Wiedererkennungswert. Sein Gesang ist ein charakterisierender Zug eines jedem Album der Band gewesen und findet sich auch auf dem vorliegenden wieder.
Selten sind auf SLEEP WELL BEAST durchdringende Schlagzeugbeats von Devendorf oder verzerrte Gitarrenriffs zu finden, lediglich „Day I Die“ oder „Turtleneck“ weisen diese auf. Eingängige, rockige Sequenzen bilden die Basis der drei Vorgängeralben (Dazu seien stellvertretend die Songs „Bloodbuzz Ohio“, Squallor Victoria“ oder „Sea of love“ genannt). Auf der aktuellen Veröffentlichung sind diese Ansätze rar. Vielmehr stehen die Songs, die vom Gesang Berningers wie auch dem Piano oder elektronischen Sequenzen getragen werden, im Vordergrund und lassen den Hörer nicht mehr los. Als Anspieltipps sind „Born to Bag“ und „Carin at the Liquor Store“ anzuführen. Dadurch werden Einflüsse, welche die Band durch erwähnten Kooperationen gesammelt hat, unverkennbar. Der elektronische Anteil ist im Verhältnis zu den vorherigen Alben signifikant gestiegen und der Hörer wird immer wieder von geloopten Stücken, Keyboards in verschiedensten Ausrichtungen oder aber elektronischen Beats überrascht. Auch wenn es im ersten Moment scheinbar nicht zu The National passen mag, so fügen sich diese Einflüsse homogen in das Songwriting der Band ein. Die Entwicklungen zu den letzten Alben sind erkennbar und stehen der Band gut zu Gesicht. Die dunklen, apokalyptischen Züge von SLEEP WELL BEAST tragen das ihrige dazu bei.
Die Unsicherheit, die Nachdenklichkeit und die Verzweiflung über den aktuellen Status Quo ziehen sich wie ein roter Faden durch das Album. Neben dem angeführten „Carin at the Liquor Store“ gehören „The System Only Dreams in Total Darkness“ wie auch „Guilty Party“ zu den absoluten Highlights auf dem Album. Gerade die beiden ersten erwähnten Stücke, die zu den ersten Veröffentlichungen im (Früh-)Sommer zählen, entwickeln im Albumkontext einen Nachdruck und eine größere Relevanz. Trotz der scheinbaren Ausweglosigkeit der aktuellen Situation ermutigt jeder einzelne Song den Hörer dazu, nicht zu verzagen. Das ist eine Quintessenz des Albums – auch wenn es aktuell rückwärts und bergab läuft, so ist das Ende des Weges noch nicht erreicht. Vielleicht ist der letzte Song, der dem Album seinen Namen gibt, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Er verbindet alles, was die Songs von The National ausmachen und gibt Hoffnung, dass sich die Richtung ändert, sobald die Talsohle vollends durchschritten ist.
SLEEP WELL BEAST ist ein starkes, zeitloses Album und wird in Zukunft wohl auch seine Bedeutung haben. Zudem ist es für The National nicht unrelevant, weil sich die Band einerseits auf ihre Stärken im Songwriting, den Texten und der Instrumentierung beruft, aber andererseits neues ausprobiert, die Einflüsse aus Kooperationen in den Songs nutzen und den eigenen Stil damit erweitert. Ein Anhören lohnt sich.
VÖ: 08.September 2017, 4AD – http://www.americanmary.com
Ohr d’Oeuvre: The System Only Dreams in Total Darkness/ Guilty Party/ Carin at the Liquor Store/ Sleep Well Beas
Gesamteindruck: 9,0/10
Tracklist: Nobody Else Will Be There/ Day I Die/ Walk It Back/ The System Only Dreams in Total Darkness/ Born To Beg/ Turtleneck/ Empire Line/ I´ll Still Destroy You/ Guilty Party/ Carin at the Liquor Store/ Dark Side of The Gym/ Sleep Well Beast
(kof)
Hot Water Music – Light it
Es ist immer ein wenig schwierig, wenn alte Helden ein neues Album ankündigen. Zunächst überschlagen sich die sozialen Netzwerke voller vorfreudiger Erwartung, dann ertönen recht schnell die besorgten Stimmen, dass die Band an vergangene Meisterwerke eh nicht anknüpfen kann und spätestens mit der ersten Vorab-Single stellt sich Ernüchterung ein. So oder so ähnlich geschehen bei Hot Water Musik aus Gainesville.
Es gibt wohl wenige Bands, die szeneintern einen größeren Heldenstatus genießen als die raustimmige Punkkapelle um Chuck Ragan und Chris Wollard. Seinen Ursprung hat diese Verehrung in den beiden frühen Meisterwerken NO DIVISION und FOREVER AND COUNTING. Und da liegt auch ein wenig die Krux des Ganzen. Irgendwie erwartet man mit jeder neuen Plattenankündigung ein weiteres Meisterwerk, was im Optimalfall an die Outputs der späten 90’er heranreicht. Ähnlich ergeht bzw. erging es den Kollegen von den Get up Kids, The Gaslight Anthem, Taking Back Sunday oder zuletzt At the Drive In. Alle diese Bands haben in der Frühphase ihrer Bandgeschichte ein Meisterwerk veröffentlicht, an dem sie bei jeder neuen Veröffentlichung gemessen werden. Meistens folgt die Enttäuschung und der anschließende Szeneveriss auf dem Fuße, weil die Erwartungslatte aus verschiedensten Gründen einfach viel zu hoch liegt.
Ähnlich auch bei der ersten Singleauskopplung „Never going back“ von Hot Water Music, die sicher nicht zu den besten Songs auf LIGHT IT UP gehört und deshalb auch nicht repräsentativ für das Album ist. Klar, klingen HWM nicht mehr so schön rumpelig, klar, raunzt Chuck Ragan nicht mehr ganz so rau wie zu „Turnstile“-Zeiten und auch an Chris Wollard zieht das Alter nicht so einfach vorbei. Hört man jedoch auf mit Vergangenheitsvergleichen, dann haben wir es hier mit einem gelungenen Pop Punk-Album einer in Würde gealterten Legenden-Kapelle zu tun. Alle, die jetzt bei dem Begriff Pop Punk zusammenzucken und schon wild im Szeneknöllchenblock blättern, können diesen wieder unverrichteter Dinge im Eiche-Massiv-Schrank des Reiheneckhäuschens verschwinden lassen. Denn HWM zeigen auf LIGHT IT UP eindrucksvoll, dass Pop Punk keineswegs banal und einfältig sein muss, sondern auch rau, mit einer guten Portion Attitüde funktioniert.
VÖ: 15. September 2017, Rise Records, https://www.hotwatermusic.com/
Ohr d’Oeuvre: Show Your Face/ Sympathizer/ Take You Away
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Complicated/ Light It Up / Show Your Face/ Never Going Back/ Rabbit Key/ Sympathizer/ Vultures/ Bury Your Idols / Overload/ High Class Catastrophe/ Hold Out/ Take You Away