Fjørt – Couleur
Als die Aachener Jungs vor einigen Wochen drei ausgewählte Songs ihres anstehenden Albums live aus einem verlassenen Hotel streamten, lief redaktionsintern der Chat heiß. Was machen die da? Wie gut ist das denn? Und: Kann man das überhaupt aushalten?
Schweigend fuhr die Band mit einem alten Taxi vor, schweigend begab man sich an die jeweiligen Sets. Dann brachen sie dieses Schweigen und stampften es in den Boden. Livestreamings sind ja nichts wirklich Neues mehr, aber das war eine live gestreamte Inszenierung. Aufgrund ihrer Güte und der Art, wie das Schweigen gebrochen wurde, zunächst krass auszuhalten, weil es so direkt, so überraschend, so unvermittelt und so ehrlich war. Aber genau deshalb blieb man bis zum Ende dabei.
Nun ist es am 17. November bei Grand Hotel van Cleef erschienen, das dritte Album von Fjørt und mit COULEUR verdichtet sich die Band zu einer Welle, die erst über einen hereinbricht, sich dann aber doch, fast sanft fürs mitnehmen entscheidet. Wohin? In die Welt von Fjørt.
Viele andere Bands haben so ihre Schwierigkeiten mit der dritten Platte. Die einen erfinden sich neu, kommen aber damit bei der Fanbase nicht mehr an, die anderen opfern ihre Individualität einem grösseren Markt und den Erfolgsvorgaben der Labels. Fjørt dagegen bleiben konsequent bei dem, wofür wir sie schätzen: dichte Gitarrenwände, wütend stampfende Basslinien und ein „monströses“ Schlagzeugspiel peitschen einen durch elf Tracks. Am Ende steht man dann triefend nass da und weiss noch nicht so recht wie einem geschehen ist. Sie schaffen es ihre Musik weiter zu entwicklen, zu verfeinern, mit neuen Ideen anzureichern ohne dabei aber auch nur für einen Augenblick ihre Eigenart, das Kantige, das was sie ausmacht, zu verlieren. Dazu steigern die drei Jungs nochmals die Wucht mit der sie sowieso schon daher kommen. COULEUR ist das bisher geschlossenste Album der Band und eine Notwendigkeit, in diesen Zeiten. Hoch politisch, hoffnungsvoll wütend, laut anklagend und umsichtig einfühlend.
„Ich bin so müde vom Zählen, ich habe 1933 Gründe schwarz zu sehen. Doch egal wieviel da kommt, ich hab‘ alles was ich brauch‘, denn die 1933 Gründe, ihr habt sie auch. Arm in Arm mit euch, die stärkste Mauer die ich kenn. “
Es war schon bei den beiden Vorgängeralben schwer diese Band nur einem einzelnen Genre zuzuordnen, mit COULEUR entziehen sie sich dieser eh absurden Notwendigkeit komplett. Das ist Fjørt, fertig! Ab dem 18.01 2018 auf Tour und dann am 29. Januar auch in Köln, die Tickets hängen schon am Redaktionskühlschrank.
VÖ: 17. November 2017, Grand Hotel van Cleef, http://fjort.de/
Ohr d’Oeuvre: Magnifique/ Fingerbreit/ Raison
Gesamteindruck: 9/10
Tracklist: Südwärts/ Couleur/ Eden/ Mitnichten/ Raison/ Windschief/ Fingerbreit/ Magnifique/ Bastion/ Zutage/ Karat
(gb)
Klez.e – November
Wohnzimmerkonzert gefällig? – Klez.e veröffentlichen nach dem Studioalbum DESINTEGRATION Anfang des Jahres nun das dazugehörige Livealbum NOVEMBER. Das Doppelalbum enthält einen Zusammenschnitt von Auftritten in der ganzen Bundesrepublik und konserviert die fantastischen Live-Qualitäten für das heimische Wohnzimmer.
Eine Tour und fast ein Jahr sind seit der Veröffentlichung des Albums DESINTEGRATION vergangen. NOVEMBER enthält Live-Mitschnitte von Auftritten aus Berlin, München, Regensburg, Weiden, Hamburg und Bremen und schafft es mühelos jeden zu überzeugen, der die Band noch nicht live erleben durfte.
Auf dem Live-Mitschnitt der Berliner sind sowohl Songs des aktuellen Albums zu hören, als auch ältere Songs – zum Teil in neuem Gewand – der Vorgängeralben. „Strandlied“ aus dem Album „Flimmern“ (2006) zum Beispiel kommt im Gegensatz zur Studioversion nun langsam und balladesk daher. Zusammen mit den hypnotisierenden Gitarren schafft es die raue und zerbrechliche Stimme von Tobias Siebert den Hörer in eine Art Trance zu versetzen. Wie ein Resonanzboden wirken die Songs live direkter und eindringlicher. Das treibende Schlagzeug, die kreischenden Gitarren, der natürliche Hall der Clubs und Bühnen vermischen sich zu genau der Melange, die eine Band oft live so viel besser macht, als aufgenommen im Tonstudio.
DESINTEGRATION bestach bereits durch den Cure-Sound und die durchaus politischen Texte, die sich kritisch und sprachlich eindrucksvoll mit dem Gestern, Heute und Morgen auseinandersetzten. NOVEMBER schafft es nun, den Sound konsequent und beeindruckend weiter zu entwickeln, und ist ein bestechend gutes Live-Album.
VÖ: 10.11.2017, Staatsakt (Universal Music), www.klez-e.de
Ohr d’Oeuvre: Mauern/ Strandlied
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Drohnen/ Mauern/ Flammen/ November/ Am Grund der tiefgrünen See/ Nachtfahrt/ Lobbyist/ Raupe/ Strandlied/ Der Garten/ Schwarz/ Madonna/ Im Raum mit Toten/ Requiem
(ml)