Schon lange vor Showbeginn versammelten sich einige Tegan and Sara-Anhänger vor dem von außen äußerst ungemütlichen Astra Kulturhaus. Ob es nun an der schlechten Beleuchtung lag oder an der kriechenden Kälte – es lag eine gewisse Anspannung bzw. Hysterie in der Luft. Gegen 20 Uhr wurden dann endlich die Tore geöffnet. Sofort stürmten einige Fans los, um sich die beliebten Plätze in der ersten Reihe zu sichern und um einen guten Blick auf die kanadischen Zwillinge werfen zu können, deren Bühnenshow aufgrund ihrer vielen Anekdoten zwischen den Songs schon Kultstatus erlangt hat.
Pünktlich um 21 Uhr kommt Andy Bothwell alias Astronautalis ganz brav mit Schlips und Laptop auf die Bühne. Unschuldig stöpselt er seine Technik zusammen und legt sicher noch mal ein paar Atempausen ein. Denn sobald er das Mikro ergreift, ist nicht mehr viel Zeit zum Luft holen. In einem mit rauchiger Stimme vorgetragenem Rap stellt er sich fast predigerartig vor und stimmt das ausverkaufte Astra Kulturhaus auf seine Show ein. Während dieser geht er mehrere Male auf Körperkontakt mit dem Publikum. Wie er vorher angekündigt hat, kriegt sicher die ganze erste Reihe seinen Schweiß und seine Spucke ab. Sein elektro-inspirierter Rap gemixt mit einer gewissen Theatralik basiert, wie er selbst sagt, auf Lügen – alles Lügen. Er hat nicht den Anspruch von seinem langweiligen Leben zu berichten. Lieber erzählt er beispielsweise von seiner Begegnung mit Tupac Shakur oder wie man am besten Leute erpressen kann. Da das Konzert an Thanksgiving stattfindet, ermuntert er die Menge dazu, ihm Happy Thanksgiving entgegenzurufen, was die Konzertbesucher nur allzu gern tun. Dies hätte sich so angefühlt wie ein verspeister Truthahn. Die Menge ist nach seiner Show ordentlich angeheizt und sicher auch überrascht von dieser etwas anderen Show, denn so viel lachen wie bei Astronautalis tut man selten auf Konzerten.
Schnell wird alles präpariert für die Quin-Schwestern. Unzählige Gitarren werden gestimmt und Mikros getestet. Dann verdunkelt sich die Halle und es gibt einen flotten Motown-Song als Einstimmung. Das Konzert startet mit dem Titelsong des vor zwei Jahren erschienen Albums „The Con“, was unüberhörbar rockiger als auf Platte daherkommt. Es folgen mit „Walking With a Ghost“, das komplett elektrisch instrumentiert ist, „I Bet It Stung“ und „Where Does The Good Go“ Klassiker der 2004er Scheibe „So Jealous“. Nach jedem Song bedanken sich beide höflich und fast etwas verschüchert beim Berliner Publikum, das zwar Stimmung macht, aber es eher vorzieht der schönen Musik zu lauschen. Munter rocken die Zwillinge dann weiter und spielen erste Songs ihrer in Deutschland am 29.01.2010 erscheinenden Platte „Sainthood“. Über den gesamten Abend sollen Tegan und Sara außer „Don’t Rush“ die gesamte Platte spielen. Die neuen Songs werden von der begeisterten Menge sehr gut angenommen. Vor allem das keyboardlastige „Alligator“ ist viel umjubelt. Das ganze Set ist gespickt mit unterhaltsamen Anekdoten (z.B. übers Pot-Rauchen oder unpassende Valentins-Geschenke dreizehnjähriger Jungs). Dazu gibt es sympathische Interaktionen mit dem Publikum. Zur Hälfte fliegt der erste und Gott sei dank auch der einzige BH des Abends, woraus die beiden souverän eine weniger unangenehme als vielmehr lustige Situation machen. Sehr sympathisch stellen die beiden gegen Ende des Sets ihre uniform angezogenen Bandmitglieder – Shaun Huberts (Bass), Johnny Andrews (Schlagzeug) und Ted Gowans (Gitarre und Keyboard) vor. Johnny wird ermutigt, dem Berliner Publikum seine Künste zu zeigen. Auf Tegans Aufforderung hin trommelt er den Drum-Break von „In The Air Tonight“ von Phil Collins und das Drum-Intro vom dem All-American Rejects-Hit „Move Along“. Tegan verrät, dass sie das schon eine ganze Weile übe und hoffe, es eines Tages auch spielen zu können. Mit „Living Room“, einer akustisch arrangierten Version des Radiohits „Back In Your Head“ und dem wunderschönen „Call It Off“ beschließen die beiden das fast zweistündige Set. Musikalische Höhepunkte des Konzertes sind das intensive „So Jealous“ und „Nineteen“. Neben dem erwähnten „Alligator“ stechen außerdem die Sainthood-Songs „On Directing“, „Sentimental Tune“ und „Someday“ heraus. Am Ende bedanken sich die beiden ein letztes Mal beim international sehr gemischten Publikum mit der für Kanadier typischen Höflichkeit und bitten die Fans, so vielen Leuten wie möglich von ihrer Band zu berichten. Einen Weihnachts-Geschenktipp insbesondere für Mütter haben die beiden auch noch parat: die neue Platte „Sainthood“, welche in limitierter Auflage nach dem Konzert erworben werden kann. Nachdem die Band die Bühne verlassen hat, bricht die Euphorie in der Halle nicht ab. Geduldig wird geklatscht und gejubelt bis sich die Band ein letztes Mal ihre Instrumente schnappen. Sara sagt, dass sie normalerweise keine Zugaben gäben, aber dass das Berliner Publikum eine verdient hätte und so stimmt die Band mit „You Wouldn’t Like Me“ den wirklich letzten Song des Abends an. Alle fünf verabschieden sich höflich und versprechen nächstes Jahr wiederzukommen. Dann gehen die Lichter im Astra Kulturhaus wieder an. Die anfängliche Anspannung ist verschwunden und man kann in eine Menge freundlicher Gesichter blicken. Wir freuen uns also auf nächstes Jahr.
Setlist
- The Con
Walking With A Ghost
I Bet It Stung
Where Does The Good Go
Arrow
Sentimetal Tune
The Ocean
Paperback Head
Alligator
Someday
So Jealous
Nineteen
Soil Soil
Night Watch
Hell
On Directing
Red Belt
The Cure
Northshore
Speak Slow
Living Room
Back In Your Head
Call It Off
Zugabe
You Wouldn’t Like Me
Foto: Aileen Altmann