Bevor sich die Festivalsaison so langsam in die verdiente Winterpause verabschiedet, gibt es im September unter anderem in Berlin noch einmal die Gelegenheit, Festivalluft zu genießen. So halbwegs zumindest, denn das Berlinfestival, dass dieses Jahr zum zweiten Mal auf dem historischem Boden des stillgelegten Flughafens Tempelhof stattfindet, ist dann doch kein typisches Festival. Ohne Campingplätze und mit überdachten Bühnen gibt sich die Veranstaltung wetterunabhängig, büßt aber dadurch auch gleichzeitig ein wenig an Festivalfeeling ein.
Nichtsdestotrotz lockt die Veranstaltung in diesem Jahr mit großartigem Lineup, das auch dafür sorgt, dass der erste Tag restlos ausverkauft ist. Leider wird auch genau diese Tatsache später am Abend dafür sorgen, dass das Festival teilweise abgebrochen werden muss. Beginnen wir aber von vorne.
Tag 1
Als um 17.30 die Blood Red Shoes die Main Stage betreten, scheint es für die meisten Berliner noch viel zu früh, sich irgendwie zu bewegen. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich Mehrheit bei dem mitreißenden und wie gewohnt wortkargem Set des Duos aus Brighton nicht wirklich mitreißen lässt.
Einzig „I Wish I Was Someone Better“ bringt das Publikum aus seinem Halbschlaf und zum kollektiven „I made a mistake“-Mitgesinge. Danach ist aber auch schon alles wieder vorbei.
Wenig später kommt der scheinbar dauerbetrunkene Adam Green auf die Bühne und beginnt sogleich wie ein gestochenes Kaninchen auf und ab zu tigern, rumzuhüpfen, sich auf den Boden zu wälzen und mindestens jeden zweiten Song ins Publikum zu springen. Es hat sich also nichts verändert, seitdem er das letzte Mal in Berlin war. Für ein Highlight der etwas anderen Art sorgt er dennoch, denn plötzlich steht niemand anderes als „Kevin Allein Zuhaus“- Darsteller Macaulay Culkin neben ihm und die beiden beginnen, als sei es das selbstverständlichste der Welt, „Wind Of Change“ zu singen. Der obligatorische Ausflug ins Publikum darf natürlich auch hier nicht fehlen.
Währenddessen gibt es mit Zola Jesus[b], den ersten musikalischen Höhepunkt auf der heutigen City Slang Bühne in einem der Hangar. Erst fast schüchtern verhüllt unter einer dunkelen Kapuze taut die zierliche Blondine mehr und mehr auf. Dabei mag man gar nicht glauben, dass aus diesem kleinen Persönchen eine so gewalltige und faszinierend düstere Stimme kommt. Ihren Auftritt beendet Nika Roza Danilova aka Zola Jesus mitten im Publikum und läßt diese herrliche Gänsehaut auf unserer Haut zurück.
Diese wird jedoch schnell wieder glattgebügelt und zwar von keinem geringerem als Mr. James Murphy und seinem LCD Soundsystem. Knapp eine Stunde lang befeuern er und seine Liveband das Publikum mit älteren („Daft Punk Is Playing At My House“) und neueren („Drunk Girls“) Hits. Wer da noch still stehen bleiben kann, ist selbst schuld.
Das absolute Highlight des Tages ist aber, etwas weiter drüben im Hangar 4, Robyn. Die Schwedin, die in diesem Jahr auf ihren beiden Alben BODY TALK PT 1 und BODY TALK PT 2 einen Hit an den nächsten reiht, sorgt für kollektive Begeisterung und liefert eine Show, die am heutigen Tag seines gleichen sucht.
In Bomberjacke, Leggins und neunziger-Jahre Plateauschuhen zeigt sie der Masse wer momentan in Sachen Dancepop ganz weit oben ist. Perfekt choreographiert ist ihre Show und trotzdem wirkt hier nichts zu routiniert. Und auch der Sound, der auch heute im Hangar oft alles andere als prima war, ist plötzlich glasklar. Ob „Dancing On My Own“, „None Of Dem“ oder das grandiose Schlusslied „With Every Heartbeat“, die Dancequeen heute Abend ist Robyn.
Währenddessen knallt es ein paar Meter weiter auf der Hauptbühne aber auch ganz schön. Mit explodierenden Feuerkanonen, welche schicke brennende Säulen auf die Bühne zaubern, legen die [b]Editors los, die hier das letzte Konzert ihrer Tour spielen und sich erst einmal in eine verdiente Pause verabschieden. Über allem schwebt wieder einemal Tom Smiths markante Stimme und webt sich sowohl durch neue elektronische Stücke wie „Eat Raw Meat = Blood Drool“, „Papilon“ oder das herrlich atmospherische „In This Light And On This Evening „, aber auch durch alte Klassiker wie „Munich“ , Bullets, und auch das wunderschöne „Smokers Outside The Hospital Door“. Bei den älternen Stücken greift Tom Smith zur Gitarre und scheut nicht davor zurück sich in große Rockstarposen zu werfen und dabei das Seiteninstrument hoch in die Luft zu strecken. Und während auf der Hauptbühne das große Editors Spektakel zelebriert wird, gibt es auch im Hangar 4 fürs Publikum keine Pause, denn Bon Homme, das Soloprojekt von Tomas Høffding von WhoMadeWho, zeigt dort, dass man auch ohne viel Instrumente das Publikum rocken kann. Nur mit Laptop, Synthesitzer und Mikrophon schafft er es, als Alleinunterhalter die Menge vor der Bühne zum Dancen zu bewegen und funktioniert dabei auch seinen Dj-Tisch als Tanzfläche um.
Danach ist aber erst mal Schluss mit der locker, leichten Atmosphäre. Faszinierend, hypnotisch und verstörend zugleich zeigen sich Fever Ray und ihre Band, die mit ihrer düsteren Lichtshow, völlig verhüllt in einem sehr surreal anmutendem Kostüm, so etwas wie eine dunkle Messe zelebriert. Die tiefen Bässe finden den Weg direkt in die Magengrube, nehmen einem die Luft zum Atmen, dazu hüllt ein immerwährender Nebel die Band ein, während Wohnzimmerlampen, die überall auf der Bühne verteilt sind, passend zum Beat abwechselnd an und aus gehen und Karin Dreijer Andersson ihre Texte ins Mikrophon haucht. Beeindruckend ist das allemal, drückt allerdings auch ganz schön auf die Stimmung. Höchste Zeit also, sich danach wieder etwas Fröhlicherem zuzuwenden und so geht’s so schnell wie eben möglich, angesichts der Menschenmassen, rüber in Hangar 5 und Caribou, der mit seiner Liveband überraschend einschmiegsam seine Songs zum Besten gibt (übrigens mit großartigem Drummer im Gepäck).
Während Babara Panther kurze Zeit später hier ihren ersten großen Liveauftritt hinlegt, passieren drüben vor dem Hangar 4 nicht ganz so erfreuliche Dinge. Doch zunächst noch ein paar Worte zur Belgierin. Wie eine afrikanische Stammeskriegrin betritt sie die Bühne und wirkt zunächst noch ein wenig nervös. Dann langsam bei „Voodoo“ taut sie auf. Nach vier Liedern gibt es dann einen Kostümwechsel und als kleiner bunter Schmetterling flattert sie zum grandiosen „Empire“ über die Bühne. Schade, dass das Publikum vor der Bühne nicht größer ist, denn verdient hätte es Frau Panther allemal.
Die Hauptbühne ist inzwischen längst wegen den Lärmschutzbedingungen geschlossen worden und so wollen alle Zuschauer in den Hangar 4, wo 2ManyDJs und später Fatboy Slim auftreten sollen. Doch dieser ist voll und um zu verhindern, dass zu viele Besucher hineinkommen, wurden schon zu Beginn des Festivals, zusätzliche Einlassschleusen eingerichtet, an denen die Menschenmassen nun gestoppt werden und sich vor diesen drängeln und nicht einsehen, warum sie die Veranstaltung, die drinnen stattfindet und für die sie bezahlt haben, nicht sehen dürfen. Mit den Gedanken an die diesjährige Loveparade in Duisburg reagieren die Veranstalter schnell und entschließen sich dazu, die Veranstaltung im Hangar für heute zu beenden. Und so endet diese erste Festivalnacht unerwartet früh um 2:30 Uhr ohne 2ManyDJs und ohne Fatboy Slim unerfreulich für beide Seiten. Die Frage bleibt, ob diese Situation nicht von vornerein abzusehen war und nicht hätte anders geplant werden können.
Blood Red Shoes
Adam Green
LCD Soundsystem
Robyn
Bon Homme
Fever Ray
Barbara Panther
Tag 2
Nach dem turbulenten Ende des Auftakttages hatte man schön böse Vorahnungen, dass die Stimmung des Festivals doch kippen könnte, aber beim Eintreten aufs Festivalgelände am sonnigen, warmen Samstag erlebt man eine angenehme Überraschung. Ganz entspannte Menschen, die erwartungsfroh dem Tag entgegen blicken. Hier und da scheinen auch einige Familien einen Ausflug gemacht zu haben, was wohl an dem Line-Up liegen könnte. Durch die Schrumpfung des Programms beginnt der Tag schon recht früh und haben Bands wie Superpunk oder Turbostaat nicht ganz die Kulisse, die sie verdient hätten.
Erstes großes emotionales Highlight ist dann Edwyn Collins. Es grenzt schon an ein kleines Wunder, dass dieser Mann nach Schlaganfällen und Koma überhaupt noch auf der Bühne steht und singen kann. Mit viel Wärme und Liebe spielt er sein Set, freut sich wie ein kleines Kind über Applaus und versucht immer wieder mit dem Publikum zu kommunizieren. Das ist zunehmend begeisterter von diesem faszinierenden Mann.
Vornehmlich älteres Publikum steht dann bei den Herren von Gang Of Four vor der Main Stage. Diese Band bietet doch einen ziemlich krassen Kontrast zu dem sonst eher Elektro-Indietronics-konzentrierten Line-Ups des Festivals und so verwundert es nicht, dass speziell die jüngeren Zuschauer zunächst etwas verstört sind von dieser Macht, die da auf der Bühne steht. Brachial, cool und Punk. So kann man das, was auf der Bühne passiert wohl beschreiben. Beinahe subversiv mutet es dann auch an, als Jon King dann eine Mikrowelle zur Trommel umfunktioniert, immer wieder drauf einschlägt und zunehmend eine gewisse Zerstörungswut entwickelt. Das stößt auf Begeisterung. Search And Destroy funktioniert also auch noch heute.
Beeilen muss man sich dann, um noch die letzten Songs der Morning Benders in Hangar 5 erhaschen zu können. Feinster kalifornischer mehrstimmiger, sonniger Gesang erwartet den Zuhörer da und wärmt die Seele. Besonders dann ihr kleiner Hit „Excuses“ sorgt dafür, dass das Publikum den Aufforderungen von Sänger Christopher zum Mitsingen gern folgt.
Vor der Main Stage haben sich mittlerweile schon riesige Menschenmengen versammelt, um Soulwax und Boys Noize abzufeiern. Beinahe ekstatisch zuckt es durch das Publikum, wird gejubelt und getanzt. Das Berlin-Festival hat augenscheinlich seinen Höhepunkt erreicht oder kann das noch getoppt werden?
Es kann! Zunächst lässt man sich gern anheizen von den ganz heißen Newcomern Sizarr, bevor ein kleiner Vulkan losbricht, als We Have Band in Hangar 5 die Bühne betreten und einen Hit nach dem anderen abfeuern. Schon der Opener „Divisive“ geht sofort ins Ohr und in die Tanzbeine. Um einen herum lauter lachende Gesichter.
Das wird dann noch mal gesteigert von Hot Chip auf der Hauptbühne. Dabei punkten die Jungs nicht mit Coolness, sondern ganz klar mit Hits. Die Berliner danken es ihnen mit in die Lüfte geworfenen Armen und im hinteren Bereich mit wilden Tänzen. Schnell noch das Tanzbein zu „One Pure Thought“ schwingen und dann schnell einen Abstecher in den Hangar 4, denn da ist sie, DIE Frau – Peaches.
Atemberaubend, arty, sexy – so kann man wahrscheinlich die Show treffend bezeichnen. Peaches paart ihre Musik mit Laserelementen und spielt gleichzeitig sogar Musik mit Lasern. Dabei dienen ihre Hände zur Regulierung der Töne. Gleichzeitig werden unglaubliche Effekte in den Hangar projiziert. Dazu dröhnen diese unglaublichen Bässe aus den Boxen. Man kann nicht anders, sondern muss fast laut lachen – so visuell, emotional und soundtechnisch anregend ist diese Show. Dann zum Ende fordert Peaches ihr Berlin noch mal zum Ausrasten auf – „Fuck The Pain Away“ und alle rasten aus.
These are the teaches of Peaches und wir sagen Danke!
Abgerundet wird das Berlin-Festival mit einem letzten grandiosen Tanz, denn pünktlich zu “Ready For The Floor” steht man wieder vor der Hauptbühne und darf sich nochmals verausgaben.
Noch ist es früh am Abend und so strömt das Partypublikum hinaus in die Berliner Nacht und sucht sich weitere Abenteuer. Das Berlin-Festival wurde nach zunächst holprigem Start dann doch noch passend abgeschlossen. So können am Ende alle irgendwie zufrieden sein, wenn auch festzuhalten bleibt, dass sich die Berliner doch wieder als Liebhaber der elektronischen Musik geoutet haben und es „Gitarrenbands“ doch merklich schwerer hatten. Schade irgendwie, aber kann man ja mal drüber nachdenken.
Edwyn Collins
Gang of Four
The Morning Benders
Chilly Gonzales
Sizzar
We Have Band
Peaches
Alle Fotos von Kay Siegert