Als vor gut 10 Jahren CLARITY erschien, waren JIMMY EAT WORLD das ganz große Ding in der Rockszene. Bis heute gilt das Album als die Referenzplatte des Emorock. Anno 2010 ist von der rohen Energie und der ungestümen, mitreißenden Kraft, die JIMMY EAT WORLD einst ausstrahlten, nicht mehr viel zu spüren. Das neue Album INVENTED hat sich größtenteils dem Pop verschrieben. Radiotaugliche Breitwand-Balladen dominieren die Platte: Ein paar Handclaps hier, ein paar Uuhs und Aahs da. Das ist an sich nicht verwerflich, schließlich hatten JEW auf früheren Platten bereits große Popmomente und aufwühlende Balladen im Angebot (zum Beispiel das großartige „23“ vom Album FUTURES). Leider hat man bei den neuen Stücken den Eindruck, die aufgeblasene Produktion versucht eine grundlegende Problematik zu kaschieren: Die Songs an sich kommen qualitativ nicht mehr an das Niveau früherer Veröffentlichungen heran, sondern sind allenfalls gehobene Mittelklasse.
Wenn die Band versucht das Tempo dann doch etwas anzuheben, um energetischer und kraftvoller zu klingen, entsteht leider meist ein unorganischer Höreindruck.
Beispiel 1: „My Best Theory“, die erste Single von INVENTED. Der Song hat zwar eine nette Hookline, dennoch kann er an keiner Stelle mitreißen. Dem Hörer bleibt das Gefühl, als agiere die Band gehemmt, das Arrangement klingt kalkuliert.
Beispiel 2: „Action Needs Audience“, der erste Song seit CLARITY, bei dem Gitarrist Tom Linton die Lead Vocals übernimmt. Hier klingt alles verdammt nach Brechstange, als wollten JEW vehement untermauern, dass sie ihre Punkwurzeln, aus denen die Band einst hervortrat, nicht vergessen haben.
Dass es das Quartett um Jim Adkins dann doch nicht ganz verlernt hat, große Momente zu kreieren, beweist der Titelsong. Getragen von Akustikgitarren, reduziert im Sound und fragil in der Stimme – ein berührender Song. Nach dem zweiten Chorus steigert die Band plötzlich die Lautstärke, lässt die Verzerrer aufjaulen und ergibt sich in den Song. Dies ist der einzige Moment, in dem JIMMY EAT WORLD entfesselt klingt, wie in früheren Tagen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: INVENTED ist gewiss kein schlechtes Album und hat bis auf das gesanglich an Dieter Bohlen (kein Scherz) erinnernde „Higher Devotion“ auch keine kompletten Ausfälle zu verkraften. Wenn man als Band allerdings schon Nuggets wie das bereits erwähnte CLARITY oder die nicht minder großartigen FUTURES und BLEED AMERICAN in der Auslage hat, muss man sich genau daran messen lassen. So muss leider ehrlich konstatiert werden, dass JEW mit einer Platte wie INVENTED nicht den Kultstatus erreicht hätten, den sie heute innehaben. Schlimmer noch: Mit solchen Mittelklassealben kratzen sie an ihrem eigenen musikalischen Denkmal. Schade!
VÖ: 24.09.2010; Interscope / Universal
Tracklist:
01. Heart Is Hard To Find 6/10
02. My Best Theory 6/10
03. Evidence 5/10
04. Higher Devotion 3/10
05. Movielike 5/10
06. Coffee and Cigarettes 6/10
07. Stop 7/10
08. Littlething 6/10
09. Cut 7/10
10. Action Needs An Audience 6/10
11. Invented 8/10
12. Mixtape 5/10
Durchschnitt: 5,8/10
Gesamtendruck: 6/10