Dass die Aufnahme der neuen Platte mit ausgedehnten Sauftouren einherging und letzten Endes gar im Krankenhaus endete, dürfte angesichts der berüchtigten Live-Shows der Black Lips mit „Performances“ der etwas anderen Art keinen mehr wundern. Punk ist nun mal anders. Und auch die Hippie-Bewegung war anders. Genau dort muss man wohl auch ansetzen, wenn man den Stil der selbsternannten „Flower-Punk“ Band aus Atlanta verstehen will: ein wenig Punk, ein wenig Hippie eben – wild, rotzig, schräg und frech, zugleich aber auch verträumt, melancholisch und etwas psychedelisch. Klingt ziemlich widersprüchlich, oder? Dass sich bei dieser Band jedoch rein gar nichts ausschließen muss, hat sie seit ihrer Gründung im Jahre 1999 sowohl auf ihren Konzerten als auch in ihrer Musik immer wieder gezeigt.
Seitdem geht der Trend zwar stetig weg vom Punk und mehr in Richtung Hippie, doch sind die vier Jungs sich und ihrer Art von Musik im Wesentlichen über die Jahre treu geblieben. Auch bei ARABIA MOUNTAIN ist dies der Fall. Neu ist jedoch, dass die Truppe bei der Produktion auf externe Mithilfe baut. Dazu angelte man sich den britischen Star-Produzent und DJ Mark Ronson, der bereits mit Größen wie Duran Duran und den Kaiser Chiefs gearbeitet sowie Amy Winehouse mit der Produktion ihres Albums BACK TO BLACK zum Durchbruch verholfen hat. Die Experimentierfreude der Black Lips wie auch der zunehmende Einfluss aus unterschiedlichen musikalischen Bereichen bringen das Ensemble zudem einen Schritt nach vorne. So machten sie etwa bewusst Gebrauch von veralteten Aufnahmetechniken, die einen ganz eigenen Sound entwickeln und der gesamten Platte einen starken Retro-Effekt verleihen. „Bicentennial Man“ und „Go Out And Get It“ wurden z. B. auf Tape aufgenommen, bevor sie auf die CD kamen, um einen „kompakten, ausdrucksstarken“ Klang zu erzielen. „Spidey’s Curse“ erinnert an die ruhigeren Nummern der Ramones. „Dumpster Dive“ könnte glatt von einem alten Stones-Album stammen. Andererseits schwimmt das komplette Album auf der Surf- und Beat-Welle der frühen 60er mit. Gewisse Anflüge von Rock & Roll sowie Rockabilly sind ebenso mit von der Partie. Sehr bemerkenswert ist zudem der gelegentliche Einsatz des Tannerins, dem so selten vernommenen elektronischen Instrument, das dem Beach Boys-Song „Good Vibrations“ durch seinen eigentümlichen, langgezogenen und hochfrequent schwingenden Ton das ganz besondere Etwas verleiht. Toll, dass die Black Lips so mutig waren, dieses außergewöhnliche Instrument überhaupt heranzuziehen. Dass sie es aber auch derart gelungen einzusetzen wissen, etwa in „Modern Art“ oder in „Bone Marrow“, ist wirklich beeindruckend. Etwas ganz Anderes kommt auch beim Opener „Family Tree“ zum Tragen: Hierzu ließ sich die Band von einem bolivianischen Volkslied inspirieren. Und „Don’t Mess Up My Baby“ wird von einem Tambora-Beat getragen, der dem Song karibisches Flair einhaucht.
ARABIA MOUNTAIN stellt also ein scheinbar aberwitziges Konglomerat aus Musik verschiedenster Genres, Regionen und Epochen dar. Es ist jedoch auch ein größtenteils gelungener Versuch, Altes wiederzubeleben, ganz unterschiedliche Elemente zusammenzuführen und etwas Neues zu kreieren, was in unsere Zeit passen könnte. Einige wenige der 16 Songs gehen zwar nicht gut ins Ohr und sind gesanglich schwach, v. a. „Mr. Driver“, doch entdeckt man bei jedem Hördurchgang neue Feinheiten, die einfach Spaß und das Album immer lohnenswerter machen.
VÖ: 24.06.11 Vice Records
Tracklist:
01. Family Tree 9/10
02. Modern Art 8/10
03. Spidey’s Curse 8/10
04. Mad Dog 5/10
05. Mr. Driver 3/10
06. Bicentennial Man 6/10
07. Go Out And Get It 7/10
08. Raw Meat 7/10
09. Bone Marrow 9/10
10. The Lie 6/10
11. Time 8/10
12. Dumpster Dive 8/10
13. New Direction 7/10
14. Noc-a-Homa 5/10
15. Don’t Mess Up My Baby 7/10
16. You Keep On Running 3/10
Durchschnitt: 6,6/10
Gesamteindruck: 7,5/10
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