Ein Blick in den Himmel drohte, den zweiten, offiziellen Konzerttag des Roskilde Festivals ins Wasser fallen zu lassen. Unter dicht verhangenen Wolken zog es wohl den Großteil der Festivalgänger erst gegen 14 Uhr in Richtung Arena, wo auf einer mit Plane überdeckten Fläche von ca. 6.500 Quadratmetern den Besuchern eine Indoor-Konzertathmosphäre geboten wird – Lichtshow am hellichten Tag inklusive. Doch auch diejenigen, die es nicht unter die Abdeckung trieb, konnten dem amerikanischen Singer-Songwriter Conor Oberst in bester Laune lauschen, riss die Wolkendecke doch bestens getimet und in regelmäßigen Abständen auf.
Die Setlist war so gemischt wie auch das Publikum es war. Junge wie Alte, echte Hippies wie junge Indiemädchen. Während die Masse bei den alten Songs von Conor beinahe andächtig da steht, darf bei den Stücken des neuen Albums ruhig mal getanzt werden. Ob Up- oder Downtempo, untermalt wurde jegliches Ambiente der gelungenen Mischung aus Klassikern und taufrischen Brigth Eyes Stücken mit einer Lichtshow, die sich gewaschen hat. Unerfüllt blieb hier wohl nur der Wunsch nach dem Klassiker “At The Bottom Of Everything“, doch auch ohne hierbei mitgeschwelgt zu haben, machen die Festivalgänger nach dem einstündigen Set einen vollkommen zufriedenen Eindruck.
Diese Zufriedenheit lassen die meisten Dänen nun erst einmal in aller Ruhe auf sich wirken. Die ca. 1 % anwesenden deutschen Besucher, scheinen hingegen etwas hibbeliger, wollen das Feld um die Arena nicht so recht verlassen, scheinen ganz im Gegenteil sogar immer mehr zu werden. Der Grund: Die Beatsteaks. Was aber in Deutschland schon große Hallen ausverkauft, muss in Dänemark nicht unbedingt den gleichen Bekanntheitsgrad haben. Dies merkt man an der ausgesprochen angenehmen Stehweise vor der Bühne, ohne Gequetsche und Gedränge. Dennoch könnte die Stimmung nicht besser sein, als die Taktschnitzel aus Berlin ihr Set beginnen. Sowohl die neuen Songs vom aktuellen Longplayer BOOMBOX, als auch die altbekannten „Hello Joe“ und „Jane Became Insane“ werden vom Publikum freudig aufgenommen. Dem charismatischen Auftreten von Frontmann Arnim kann man aber auch nicht wirklich lange widerstehen und so verwundert es kein bisschen, dass er während des Besuchs an der Absperrung nicht nur bejubelt, sondern beim Bad in der Menge sogar auf Händen getragen wird. Inmitten der Fans beendet er – auf Armen und Schultern stehend – „Let Me In“.
Diese Einlage scheint Eindruck hinterlassen zu haben, wird immerhin nach dem Ende des Hauptsets mit unheimlich liebreizendem Satzbaufehler „Wir wollen Ihr“ von den Dänischen Fans gefordert. Gesagt, getan, gibt es noch drei Titel als Nachschlag, bevor sich die Beatsteaks endgültig verabschieden.
Auf der etwas abseits gelegenen Bühne Odeon funkt sich derzeit „The Screaming Eagle of Soul“ in Roskilde ein. Charles Bradley, der den Großteil seiner Kindheit auf der Straße verbracht hat, kann mittlerweile auf 40 Jahre Musikgeschichte zurückblicken. Kein Wunder also, dass ein solcher Künstler es nur zu gut versteht, muiskalisch wie auch auf der Ebene der Bühnenshow das Publikum vollends mitzureißen. Ganz offensichtlich reißt Roskilde auch ihn mit, gibt er doch zunächst 2 Zugaben, und tritt nach endgültigem Ende des Sets noch einmal unter tobendem Applaus auf die Bühne – zu Tränen gerührt.
Was die Zuschauer der Odeon Stage als nächstes geboten kriegen, hat mit Tränen allerdings nichts zu tun. The Atmosphere bitten mit ihrem jazzigen Hip Hop die Liebhaber der urbanen Musik auf’s Pakett, füllen nicht nur die Bühne und das umliegende Areal, sondern hinzu auch noch die ganze Straße. Ein tanzende, kopfnickende und swingende Masse besiedelt das weiträumige Gebiet.
Kein Vergleich allerdings zu dem Ansturm auf die Orange Stage, kurz vor dem Auftritt von Portishead, bei dem man sich ernsthaft fragt, ob denn gleich wohl ganz Dänemark vor der Bühne stehen wird. Nicht weniger als 60.000 Menschen können sich hier den live Act nicht nur „live“ im herkömmlichen Sinne anschauen, sondern zudem das Geschehen noch auf den beiden 50 Quadratmeter großen Screens zu Gemüte führen. Portishead wird hier ausnahmslos in schwarz/weiss übertragen. Passender und sphärischer könnte es nicht sein und neben der musikalischen Glanzleistung gehört an dieser Stelle auch dem Live-Schnitt der dänischen Kollegen gezollt, werden die verschiedenen Perspektiven hier ad hoc, reflexartig, im Takt und vor allem passend zusammengeführt. Die beinahe leidende Attitüde von Sängerin Beth Gibbons zeigt sich den Festivalgängern umso beeindruckender und findet ihren Höhepunkt in „Wandering Star“. Begeisterung im Publikum kann da nur noch „Give Me A Reason“ hervorzaubern. Ganz Dänemark scheint von eine riesigen Gänsehaut überzogen.
Auch Anna Calvi versteht es, dem Publikum eben dieses Gefühl zu vermitteln. Daher ist der Pavilion die ideale Location für die junge Engländerin. Denn die Bühne wurde in diesem Zelt etwas weiter in den Publikumsraum vorgezogen, die klassische eckige Form nicht verfolgt. So steht Anna um Mitternacht dem Publikum recht nahe, zieht es mit ihrer dunklen, eindringlichen Stimme tief in ihren Bann. Bei den ersten Tönen von „Jezebel“ jubelt das Publikum. Die Geräuschkulisse ändert sich schnell in schwelgende Zustimmung. Dem ein oder anderen sich wiegenden Zuschauer scheint allerdings nach dem langen Festivaltag bereits die Müdigkeit in den Knochen zu stecken. Abhilfe schaffen da später M.I.A. auf der Orange Stage und nicht zuletzt die Lokalmatadore von WhoMadeWho in der Arena, die es verstehen, auch noch um 2 Uhr nachts die zahlreichen Zuschauer zum springen und tanzen zu bringen, als hätte der Tag erst begonnen. Wummernde Bässe lassen Boden und Körper vibrieren. Zu dem stampfenden Beat gesellen sich hohe Gitarrentöne, die Sänger Jeppe seinem Sechssaiter mit Hilfe von einem Bottleneck oder einfach direkt mit einer ganzen Sektflasche entlockt und verzerrt. Die zelebrierte Leichtigkeit und das charmante Auftreten der Dänen wirkt nicht nur über die Leinwände einnehmend, die Interaktion von Band zu Publikum funktioniert auch so hervorragend. Mit einem derartigen musikalischen Highlight und Muskellockerer darf man sich getrost auf den teils kilometerlangen Heimweg zum Zeltplatz begeben. Auch der einsetzende Regen kann da die beschwingte Stimmung nicht trüben.
Der Sonntag
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