Den Londoner Lockenkopf mit der tiefen Stimme einmal rocken zu sehen, hätte sich wohl kaum jemand im leider nur halb gefüllten Capitol träumen lassen. Ohne Orchester, dafür mit einer Vielzahl an Instrumenten bewaffnet (Posaune, Querflöte, Kontrabass, Mandoline etc.) steht Jonathan Jeremiah einem Publikum gegenüber, das sich vor allem aus zwei Bevölkerungsschichten zusammensetzt. Zwei Bevölkerungsschichten, die sich nur marginal in ihrem Musikgeschmack überschneiden – weibliche Hipster und männliche Alt-68er, Seite an Seite vereint. Ekstatische Studentinnen versus Singer-/Songwriterfans. Wer von ihnen hätte noch vor wenigen Minuten erwartet, dass der Mann im Anzug und Fischerhemd Stücke wie „Heart Of Stone“ und „Happiness“ so ungemein rockig präsentiert? Sie in die Länge zieht, seinem Posaunisten Spielraum für wunderbare Soli gibt und das Publikum zum Kochen bringt? Das Weltbild der Kritiker, die Jeremiah immer mal wieder vorwerfen, er wirke wie ein in die Jahre gekommenes One-Hit-Wonder der 70er Jahre, das immer wieder diesen einen Hit zum Besten geben muss, zerberstet spätestens bei der Zugabe, einem lautstarken, psychedelischen Postrockstück. Eine flammende Posaune hier, ein geprügeltes Ludwigkit dort, in der zweiten Zugabe dann ein locker-souliger Flötenpart à la Michael Kiwanuka. Das alles zaubert ein Lächeln in die Gesichter der Fans und wie die letzten Töne verklingen, mehren sich die Stimmen, dass man dieses Potential vom Album ausgehend nicht erwartet hätte. Ob mit der kompletten Band, nur vom Keyboarder begleitet oder Solo mit Akustikgitarre: Gentleman Jonathan Jeremiah gibt seinen Fans, was sie von ihm erwarten. So gelingt es ihm, das Publikum zu be- und entgeistern. Dass er nach dem Konzert noch Autogramme verteilt, ist für viele sicherlich der heimliche Höhepunkt des Abends. Der Support-Act, mit Aktion-Mensch-Sänger Andy Tyler angenehm besetzt, ist gut gewählt, man sollte ihm ein Ohr leihen.
Bilder vom Konzert aus München (Muffathalle); Fotograf: Lutz Bittrich (WeArePhotographers)
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