Keine Angst, JMC bleibt auch weiterhin ein reines Magazin über gute Indie-, Alternative- und Elektro-Musik. Über Gossip wird hier nur geschrieben, wenn Beth Ditto ein neues Album auf den Markt geschmissen hat. Und das Theaterstück „Der kleine Bruder“, das im April seine Premiere im Maxim-Gorki-Theater in Berlin feierte, ist aus zweierlei Gründen hier gut aufgehoben: Zum einen basiert die Inszenierung auf dem gleichnamigen letzten Band der beliebten „Herr Lehmann“-Trilogie von Element-Of-Crime-Sänger und Urheberrechts-Auskotzer Sven Regener. Zum anderen wirkt mit Maike Rosa Vogel eine der interessantesten Neuentdeckungen der letzten Jahre im Bereich der deutschsprachigen Singer/Songwriter-Szene im Stück mit.
Die Story des Stücks ist – zumindest für diejenigen, die die Vor- und Nachgeschichte um Frank Lehmann aus den Büchern „Herr Lehmann“ und „Neue Vahr Süd“ oder aus den Verfilmungen mit Christian Ulmen bzw. Frederick Lau in der Hauptrolle kennen – schnell erzählt: Nachdem unser Protagonist nachträglich ausgemustert wurde, kehrt er der Bundeswehr und seiner Heimat Bremen den Rücken zu. Frank Lehmann zieht es nach (West-)Berlin zu seinem älteren Bruder Freddie, doch dort angekommen fehlt zunächst jede Spur von diesem. Im spannenden, in drei Himmelsrichtungen von der Mauer umgebenen Kreuzberg zu Beginn der 80er Jahre lernt Frank in den kommenden zwei Tagen und Nächten einen nur wenige Straßenzüge umfassenden Mikrokosmos um Hausbesetzer, Punks und (Überlebens-)Künstler kennen und lieben.
Das Stück im schnuckeligen Maxim-Gorki-Theater beginnt vielversprechend: Frank (Paul Schröder) sitzt mit Ex-Mitbewohner Wolli in seinem kleinen Fiat Panda auf dem Weg nach Berlin. Besonders der großartige Michael Klammer drückt dieser Szene mit seinem gar nicht mehr enden wollenden Redeschwall den Stempel auf und sorgt für Vorfreude auf mehr.
Doch sobald Wolli aus dem Kleinwagen aussteigt und damit auch mehr oder weniger aus der Inszenierung verschwindet, entsteht leider ein kleiner Bruch im Stück. Frank Lehmann lernt die WG seines Bruders kennen, und schon wird der Ton auf der Bühne nicht nur rauer, sondern vor allem lauter: Regine Zimmermann als die 18-jährige Chrissie nervt bereits nach wenigen Minuten, und auch Ronald Kukulies als Künstler Karl und Peter Kurth als Kneipenwirt Erwin wirken ein wenig zu schrill. Einzig Paul Schröder hält sich merklich im Hintergrund und wirft dabei die Frage auf, wer hier überhaupt der Hauptdarsteller des Stücks ist.
Aber Hand aufs Herz: Es ist Jammern auf hohem Niveau. Das Bühnenbild ist klasse, Schauspieler Holger Stockhaus überzeugt in jeder seiner drei kleinen Rollen, und auch der alles überragende Michael Klammer kehrt das eine oder andere Mal für einen Kurzeinsatz zurück.
Und dann ist da ja noch Maike Rosa Vogel: Die Berliner Folksängerin, die zuletzt häufig als Support von Element Of Crime aufspielen durfte und im Juni mit FÜNF MINUTEN ihr drittes Album vorlegen wird, versüßt mit ihren Liedern im Maxim-Gorki-Theater die Umbaupausen auf der Bühne. Bei den durchweg englischen Stücken, unter anderem einer fulminanten Coverversion von Blacks „Wonderful Life“, greift die 34-Jährige – im Gegensatz zu ihrer sonst eher ruhigen Musik – zur elektrischen Gitarre und zieht die Zuschauer und auch das Ensemble auf der Bühne sofort in ihren Bann.Insgesamt ist „Der kleine Bruder“ daher ein durchaus empfehlenswertes Stück Theater- und Popkunst.
Weitere Informationen zum Stück sowie die nächsten Vorstellungstermine und den Kartenvorverkauf findest du hier: http://gorki.de/de_DE/calendar/repertoire/748516