Hurricane Festival 2012 – Tag 1
Wenn das Hurricane ins nordische Scheeßel ruft, lohnt die Reise üblicherweise. Deutschlands großes Festival kann auch dieses Jahr mit einem Line-Up aufwarten, das keine Wünsche offen lässt. Auf vier Bühnen gibt sich die Crème de la Crème überwiegend der alternativen Rockszene die Klinke in die Hand. So ist es nicht verwunderlich, dass sowohl das Hurricane als auch das deutlich südlicher platzierte Schwesternfestival Southside bereits seit Wochen ausverkauft sind.
Der erste Tag steht bei den meisten Besuchern ganz unter dem Aspekt der Anreise und der Orientierung auf dem Festivalgelände, bei den ersten Bands sind dementsprechend wenige Zuschauer vor den Bühnen zu finden. Wer sich aber doch schon früh aufgemacht hat, kann die Chance nutzen, die jmc-Veteranen We Invented Paris zu bestaunen, die erst kurzfristig nach der Absage der Vaccines verpflichtet wurden. Mit ihrer Mischung aus traditionellen Instrumenten und elektronischen Elementen verwandeln sie gefühlvolle Songs so in tanzbare Artefakte. Wie so etwas akustisch klingt, dem seien die schönen jmc-Akustik Sessions mit den Schweizern an‘s Herz gelegt.
Voller ist es erstmals an der blauen (der zweitgrößten) Bühne bei Jennifer Rostock, die spätestens nach dem Auftritt beim Bundesvision Song Contest allen Musikinteressierten ein Begriff sein sollte. Die Band um Jennifer Weist aus Berlin hat ihre große Stärke durch Spielfreude und starke Authentizität. So kann sie die Masse mitreißen und die leicht müden Konzertgänger erstmals richtig wecken, indem sie hauptsächlich die bekannten Songs ihres Top-10-Albums MIT HAUT UND HAAR auf die Bühne bringt.
Danach überschneidet sich das Progamm zwischen der grünen (der größten) und der blauen Bühne. Während die grüne Bühne mit dem Deutschpunk der Broilers berockt werden, gibt es sanftere Töne auf der blauen Bühne bei Bosse. Bosse – schon seit Jahren im Geschäft – mausert sich immer mehr in die vorderste Riege der deutschen Singer/Songwriter, sein aktuelles Album WARTESAAL mit dem zusammen mit Anna Loos neu aufgenommenen Duett „Frankfurt/Oder“ platzierte sich in den Charts weit vorn. Er geht während seines Gigs durch die Menge und feiert mit den Fans. Was ihn von vielen seiner Kollegen unterscheidet, ist, dass er völlig ohne Soul und dramatische Liebesballaden auskommt und normale Sprache und wenig Poesie nutzt.
Poesie in anderer Form nutzt Casper. Sein Album XOXO gehörte zu den großen Charterfolgen 2011, und auch 2012 kommt sein Mix aus Hiphop, Rock und metaphorischen Texten vor allem beim jungen Publikum gut an.
Deutlich heftiger geht es bei den Broilers zu. Früher als Support der Toten Hosen unterwegs, ahnt man, um welchen Stil es sich hier handelt. Neben klassischen Elementen aus Oi und Punkrock hat die Band auch Einflüsse aus Rockabilly und zum Teil auch aus dem Ska-und Reggaebereich, welche natürlich perfekt zum Tanzen und somit für ein Festival geeignet sind. Band und Zuschauer pushen sich gegenseitig hoch und erfreuen sich an der gegenseitigen Resonanz.
Progressive- und Stonerrock der feinsten Sorte legen anschließend The Mars Volta hin. Ein zweischneidiges Schwert dennoch, schließlich dauert hier ein Song live gerne mal bis zu zehn Minuten und ist mit Geräuschen und Effekten versetzt. Kein klassisches Festivalprogramm für die Party am Abend, aber trotzdem ein wahres Brett musikalischer Raffinesse.
Der Auftritt von The xx, Indie-Heroen des Jahres 2010, leidet an akutem Zuschauerschwund. Grund dafür ist das zeitgleich stattfindende Public Viewing des EM-Viertelfinales Deutschland – Griechenland. Dabei hätten die Londoner mit ihrem verträumten Dreampop mehr Aufmerksamkeit verdient, schaffen sie es doch mit Leichtigkeit, eine beruhigende und perfekt harmonische Stimmung herzustellen, die einen auf so einem Festival gut runterkommen lässt. Ihre Musik halten sie möglichst simpel instrumentalisiert, schaffen es aber in jedem Moment, zu vermitteln, dass trotzdem nichts fehlt. Getragen werden die Songs durch die beiden Stimmen von Romy Madley Croft und Oliver Sim. Perfekt aufeinander eingespielt, verbreiten sie durch melancholische Texte und ihren Gesang Gänsehautfeeling.
Wer es weiterhin flott braucht, ist bei LaBrassBanda richtig aufgehoben. Die bayerische Band mit drei Bläsern, Schlagzeug und Bass macht live einfach Laune und lässt jeden nach nur wenigen gespielten Tönen in einen Gute-Laune-Rausch mit akuter Tanzwut verfallen. Doch egal wie, gute Ergebnisse und Laune gibt es bei allen. Auch die fußballverrückten Sportfreunde Stiller sind ja eher Frohnaturen. Die lassen es sich dann im Anschluss auch nicht nehmen, mit ihren Fans abzufeiern. Mit zusätzlichen Bläsern bewaffnet liefern die Sportis ihre übliche Show mit Mitsinggarantie. Netterweise bauen sie die Spielstände in ihren Ansagen mit ein und informieren so auch den letzten Fußball-uninformierten über den Viertelfinalsieg der deutschen Nationalmannschaft
Zum Abschluss des Hauptprogramms am Eröffnungstag darf es doch ruhiger, melancholischer und dunkler werden. Headliner des Abends: The Cure! Die Band um Frontmann Robert Smith empfängt mit einem Best-of-Programm seine Fans. Diesmal auch wieder mit Synthesizer und Keyboard bestückt – auf der Tour 2008 spielten The Cure ohne Keyboards – kommt man den Sounds auf den Alben nah. Die meisten Songs spielt Robert Smith mit seiner Band von ihrem 1989er Album DISINTEGRATION und kann sich somit großem Zuspruch sicher sein, schließlich war dieses Album in den meisten Ländern der größte Erfolg der Band.
Bei „Lovesong“, „In between days“, „Just like heaven“, „Lullaby“ und „Friday, I’m in love“ lässt sich jeder mitreißen und Partystimmung kommt auf. Leider ist der Sound von Keyboard und Gesang manchmal etwas schwach beziehungsweise nicht kräftig genug. Das ist schade, tut der Stimmung jedoch keinen Abbruch. Und schließlich zur Überraschung entlässt Robert Smith das Publikum gar mit dem Hit „Boys don’t cry“ in die Nacht. Dies gehört eigentlich nicht zum Live-Repertoire der Band.
Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht müde ist, zieht sich dann noch den Gig der wiedervereinigten Stone Roses rein. Diese spielen brav ihre zwei Studioalben herunter, können jedoch keine nachhaltig begeisternden Akzente mehr setzen. Kaum verwunderlich, scheint doch das Publikum in der Regel zu jung zu sein, um die großen Zeiten der Band vor über 20 Jahren noch mitbekommen zu haben.
Bilder von Tag 1; Fotografen: Jochen Melchior, Bernd Zahn, Malte Schmidt
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Hurricane Festival 2012 – Tag 2
Am zweiten Tag ist es deutlich voller und belebter in Scheeßel, bereits mittags startet das Hurricane mit diversen Bands aus dem Independent-Bereich. Auf der roten Bühne eröffnet die Hamburger Band In Golden Tears den Tag und versammelt hauptsächlich weibliche Fans mit ihrer Mischung aus Joy Division und Delphic. Die Newcomer sammeln aktuell weiter fleißig Live-Erfahrung, werden beim Sziget-Festival in Ungarn eine der wenigen deutschen Bands sein.
The Floor is Made of Lava sind als nächstes am Start. Das zweite Werk der dänischen Band HOWL AT THE MOON wurde von niemand geringerem als Sebastian Wolf von Kellermensch produziert. Stilistisch ist es durchaus Rock, aber auch tanzbar. Tolle Mischung.
Heimspiel für jmc im Anschluss: Rüber zu Electric Guest, denn schließlich präsentieren wir ihre Konzerte. Die Amerikaner haben sich für ihr Album MONDO tatsächlich einen “elektronischen Gast” an Bord geholt: den Produzenten und DJ Danger Mouse. Ob die Genialität des Debüts gänzlich auf sein Können oder auf einen – immerhin fünf Jahre vorbereiteten – Geniestreich der beiden Kalifornier Asa Taccone und Matt „Cornbread“ Compton zurückzuführen ist, wird man sicherlich bei den ersten Deutschland-Konzerten live erleben können. Die drei Songs “This Head I Hold”, “American Daydream” und “Troubleman” sind jedenfalls so grundverschieden, dass man sie bei ersten Hören nicht zwangsläufig einer Band zuordnen würde.
Danach wird es Zeit für die Feier- und Tanztroubadore aus Norwegen – Kakkmaddafakka. Mit ihrer Mischung aus Pop und Indie bleiben Beine und Arme nur schwer still stehen, der Drang nach Bewegung siegt immer, wenn die Jungs auftreten. (Aufs Minimalistische reduziert konnten diese schon als Support von den Black Keys, Black Rebel Motorcycle Club oder Wolfmother schon überzeugen. Daher ist es selbstverständlich, dass es auch vor der Bühne ordentlich zur Sache geht.) Mit Kakkmaddafakka beschäftigte sich jmc ausführlich bei der c/o pop in Köln, besser lässt sich der Gig auch auf dem Hurricane nicht beschreiben.
Gepflegten und nicht immer ganz ernst gemeinten Stonerrock gibt es anschließend mit Eagles Of Death Metal. Die Band um Jesse Hughes wurde von Josh Homme (Kopf von Queens of the Stone Age und Gründungsmitglied der Stoner-Legenden Kyuss) mitgegründet und auch weiterhin unterstützt. Deswegen klingen diese beiden Bands sehr ähnlich. Die Eagles nehmen sich selbst überhaupt nicht ernst, treiben viel Schabernack auf der Bühne und stecken damit die Menge vor der Stage an. Ein toller, erfrischender Auftritt, zudem sich endlich viele Leute einfinden.
Die Leute sind endlich aufgestanden und wach, nur so lässt es sich erklären, dass es auch vor der blauen Bühne beim Gig von Thees Uhlmann ordentlich voll geworden ist. Auch Thees ist zu Späßen aufgelegt und legt eine wahnsinnige Spielfreude an den Tag. Immer noch scheint Uhlmann über seinen Erfolg überrascht zu sein und freut sich immer wieder mal wie ein kleines Kind. (Und auch bei den Fans hat er leichtes Spiel, kommt er gebürtig aus Hemmoor, einem Ort ganz in der Nähe von Scheeßel.) Wenn er dann noch bestimmte Songs bestimmten Gruppen widmet und Casper in den Himmel lobt, fliegen ihm die Herzen zu.
Mit Überschneidung beginnen auf der grünen Bühne die Deutschrocker Madsen mit ihrem Konzert. Hier merkt man erneut wie ungünstig das Timetable zusammengestellt wurde. Thees Uhlmann und Madsen bedienen durchaus das gleiche Publikum. Und so schicken Madsen am Anfang ihres Sets auch Grüße an Thees Uhlmann. Der Gig von Madsen wird laut und krachend und heizt die Fans an. Ungeheuer viele Hits, die neue Single “Lass die Musik an“ und einen Ausblick aufs neue Album WO ES BEGINNT runden den gewohnt guten Auftritt der Band ab.
Die Betriebstemperatur steigt im Tagesverlauf stetig nach oben, ganz Festival-like. Auf der anderen Bühne zeigen Florence + The Machine ihr ganzes Können. Ein Harfist, ein Gitarrist, zwei Schlagzeuger, eine Backgroundsängerin und zwei Keyboardspieler eröffnen als Intro den Gig, als Florence von der Seite auf die Bühne tanzt. Die ersten Lieder sind „Only If for a Night“ und „What the Water Gave Me“. Die Songs und Sounds der englischen Sängerin kommen vor allem bei Festivalbesucherinnen gut an. Dieser Mix aus Heather Nova, Enya und den verschiedenen Stile zwischen Rock, Pop und Folk überzeugt live auch Kritiker, zumal Florence Welch die Freude über so viele Besucher anzusehen ist. Das macht sympathisch und man freut sich mit ihr.
Der Gig von Oasis-Mastermind Noel Gallagher und seinen High Flying Birds muss sich parallel mit den Australiern Wolfmother und der HC-Kombo Rise Against messen. Während Gallagher seinen Festivalstiefel sehr wortkarg herunterspielt und auf Show oder Small-Talk mit den Fans verzichtet, sorgt der Refrain von „Don’t look back in anger“ doch durch die starke Teilnahme des Publikums für Gänsehautmomente.
Nun geht es zum harten Block – Wolfmother, Rise Against und Blink 182 stehen nacheinander auf dem Programm. Wolfmother rocken sofort los, bereits der zweite Track ist „Dimension“. Die ganze Masse springt bei dem Retro-Rock; Band und Fans feiern sich selbst. Astreiner Sound, eine perfekt eingespielte und gut aufgelegte Band liefert ein großartiges Konzert ab und ist eines der Highlights beim Hurricane 2012. Wenige Tage später rocken sie auch in Köln.
Was dann folgt, hat der Autor so noch nicht erlebt. Die Rollstuhltribüne ist direkt hinter dem ersten Wellenbrecher neben dem FOH-Türmen platziert und er wird Zeuge, wie Massen sich nach vorn bewegen, um Rise Against bestaunen zu können. Viel zu viele, als dass es gut gehen kann und so wird es direkt bei den Openern „Survivor Guilt“ und „Ready to Fall“ deutlich, dass das ein harter Abend für die Security wird. Umso erstaunlicher, dass die meisten mit einer Geduld und Lächeln auf den Lippen zu Werke gehen und Crowdsurfer sowie Zuschauer mit Platznot herausfischen, als gebe es Kopfprämien dafür. Wahnsinn. Und manche der Securities singen auch noch mit. Was für eine tolle Aktion, was für eine tolle Geste. Aber auch die Jungs von Rise Against geben alles und liefern eine fehlerfreie Show ab. Abkühlung und Entspannung vor der Bühne gibt es bei akustischen Songs und Balladen. Ansonsten verausgaben sich Band, Servicepersonal und Gäste gleichermaßen.
Wer es danach etwas ruhiger braucht, wechselt die Bühne. Dort spielen die sehr beliebten, aber auch gehypten Mumford & Sons vor allem ihr Debütwerk SIGH NO MORE. Vor der blauen Bühne geht es deutlich braver zu. Ein einziger Security-Mann geht gemütlich von rechts nach links und zurück und ist dabei arbeitslos. Mittlerweile ist es kurz vor 23 Uhr und es herrschen einstellige Temperaturen in Scheeßel. So bleibt nichts anderes übrig, sich bei dieser Neo-Folk-Band an den spezielleren Instrumenten wie Bläsern oder Banjo zu erfreuen und den Auftritt der Briten zu genießen. Schön, dass sie Songs vom kommenden noch unbetitelten Album spielen welches im September erscheinen soll. Insgesamt sind es fünf Stücke, die nicht auf dem Erstwerk sind und die Lust auf mehr machen. Die Band um Sänger/Gitarrist Christian Mumford scheint überwältigt zu sein, dass trotz der benachbarten Show von blink-182 doch so viele Leute geblieben sind. Ausgesprochen höflich und nett loben sie das Publikum immer wieder und stellen fest, dass im Vergleich Hurricane/Southside, dass Hurricane (natürlich) gewinnt.
Weiterhin geht es vor der anderen Bühne bei der „Rock Show“ von Blink 182 eher schweißtreibend zu. Auch wenn die Jungs um Tom DeLonge mit den Jahren und vor allem auf dem letzten Album NEIGHBORHOODS immer mehr nach Pop klingen, live rocken sie durchaus. Die meisten Songs werden aus den letzten beiden Alben gespielt. Sie spielen ihre großen Hits wie „Rock Show“, „What’s my age again“ und „All the small things“, lassen aber durchaus einige weg. Die Showeffekte konzentrieren sich vor allem auf ein sehr gutes Bühnenlicht – oder auch mal keines, wenn sie das Licht bei „Happy Holidays, You Bastard“ komplett ausschalten. Das beeindruckende Solo von Drummer Travis Barker in der Zugabe komplettiert die Zutaten für eine gute Headliner-Show, auch wenn der Sieger im Kopf-an-Kopf-Rennen wohl Rise Against sind.
Wer sich jetzt noch auf den Beinen halten kann, hat auch zu der späten Stunde noch die Wahl zwischen Justice live, Beardyman und Garbage. Garbage sind zurück und haben nichts von ihrer Bühnenpräsenz eingebüßt. Die charismatische Frontfrau Shirley Manson, selbst schon in ihren Vierzigern, hat immer noch rote Haare und ist noch top in Form. Bis auf „Automatic Systematic Habit“ und der neuen Single „Blood for Puppies“ lassen Garbage ihr neues Album beiseite und spielen nur alte Hits. Und selbst unter denenkommen nur die rockigen zum Einsatz. So fällt das Wachbleiben nicht schwer. Als Garbage ihr Set mit „Only happy when it rains“ beenden, scheint Manson zu wissen, dass der morgige Tag ein Glückstag für sie sein wird.
Bilder von Tag 2; Fotografen: Jochen Melchior, Bernd Zahn, Malte Schmidt, Titus, Christoph Eisenmenger
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Hurricane Festival 2012, Tag 3
Das Hurricane zeigte sich in den ersten beiden Tagen von der rockigen und poppigen Seite, das Wetter von der warmen und der kühlen. Fehlt nur noch eins, genau der Regen. Dafür, dass er sich die ersten zwei Tage brav rar gemacht hat, bleibt er einfach mal nahezu permanent da. So startet man doch meist später und lässt Bands wie Mutter oder Twin Shadow leider links liegen.
Selah Sue muss dann aber sein. Denn eine Prise Soul und Funk, wie er von ihr ausgeht, kam bis jetzt noch nicht vor. Der Vergleich mit Amy Winehouse stimmt live noch viel mehr, diese Stimme ist einfach der Hammer. Ihr Album SELAH SUE ist ein Meisterwerk, dass bis zum heutigen Tag nur 5-Sterne-Wertungen bei amazon.de erhielt und auch bei jmc war ihr der Rezensent seinerzeit wohl gesonnen. Von der Belgierin wird man noch hören.
Ganz cool und lässig sind längst nicht alle und so treten einige die Heimkehr an. Die Schlange für den Müllpfand ist so lang, dass doch einige darauf verzichten und abdrehen. Damit bei schlechtem Wetter doch noch gute Laune aufkommt, sind Frank Turner & The Sleeping Souls zur Stelle. Er ist so etwas wie der britische Olli Schulz, redet viel, blödelt herum und ist ein klassischer Entertainer. Sein Musikstil überwiegt im Folk-Bereich, hat aber auch Punk-Elemente in sich.
Flotter geht es danach auf der Green Stage zu: Die Mad Caddies bieten Ska-Punk vom Allerfeinsten, der dem Regen ordentlich trotzt und die Masse bewegt sich warm werdend dazu. Dann gibt es Aufwärmung durch Kraftklub von der roten Bühne. Und hier machen die nächsten Gäste ihrem Ärger Luft. Menschenmassen und Dauerregen lassen manche aggressiv werden, andere geben auf oder resignieren. Und auch heute betreibt das fantastische Security-Personal deeskalierende Maßnahmen, verteilt Gummibärchen, liefert selbst Choreografien ab und feiert das Publikum.
Dann gibt es tatsächlich eine kleine Trockenphase, die vor allem Boy und Kettcar für sich nutzen können. Valeska Steiner und Sonja Glass dürften mittlerweile in aller Munde bzw. Ohren sein. Sympathisch, authentisch und bei beiden Geschlechtern gleichermaßen beliebt, spielen die beiden zerbrechliche Melodien mit minimalistischer Instrumentierung. Die Songs ihres Erfolgsalbums MUTUAL FRIENDS und natürlich die Hitsingle „Little Numbers“ kommen gut an.
Kettcar wiederum sind alte Festivalhasen. Deren Songzeile „Deiche brechen richtig“ ist wohl passend für den heutigen Tag. Sie spielen ihre Hits und stellen ihr aktuelles Album ZWISCHEN DEN RUNDEN eher hintenan. Und das ist gut so. Mitsingen und Klatschen lassen die Stimmung wieder ansteigen. Leider setzt der Regen bei „Landungsbrücken raus“ und „Balu“ wieder ein.
Bei The Kooks ist man mehr mit dem Regen und böenartigem Wind, als mit dem Gig beschäftigt, auch wenn Frontmann Luke Pritchard einiges versucht und sich solidarisch mit nass regnen lässt. Auch bei den sympathischen Mädels von Katzenjammer will bei diesem Wolkenbruch keine Feierstimmung aufkommen, die auf der anderen Bühne gegen dieses Mistwetter ankämpfen.
Gegen Abend gibt es wieder eine dieser vielen ärgerlichen Überschneidungen: New Order vs. Die Ärzte. Am besten aufteilen. Bei New Order gibt es jedoch technische Pannen mit dem Sound und somit stellt sich kein echter Genuss für die Ohren ein. Dafür umso mehr für die Augen. So flimmern auf der Leinwand das komplette Video von „True Faith“, Lichtstrahlen tauchen die Bühne in dunkle Farben und Uhren und Zahlen bei „Temptation“. So etwas gibt es sonst nur bei Tool oder Porcupine Tree. Und selbstverständlich spielen New Order auch ihren Welthit „Blue Monday“ und als Zugabe ein Cover von Joy Divisions „Love will tear us apart“.
Also ab zu den Ärzten AUS Berlin. Spielen die Ärzte auf ihrer Tour um die 40 Songs, so sind es beim Hurricane „nur“ 33. Die Show der Ärzte ist – wenn man ehrlich ist – immer gleich. Bela und Farin blödeln rum, mit Dauer des Abends sinkt das Niveau und Rod hält sich eher im Hintergrund. Auch die Mitmachübungen für und mit dem Publikum ähneln sich sehr. Laolas sind immer dabei, so auch auf dem Hurricane. Sie starten mit „Hurra“ (ob sie damit das Wetter meinen?) über „1/2 Lovesong“ „Schunder-Song“, „Lasse redn“, aber auch altes und ganz altes Material findet seinen Platz. Oft gesehen, aber noch nie live gehört, steht zum Beispiel auf einmal „Westerland“ auf der Setlist. „Zu Spät“ und ein Medley mit u.a. „Anneliese Schmidt“ und „Du willst mich küssen“, wenden sich ebenfalls an die eher älteren Semester. Mit „Junge“, „Zu spät“ und „Rettet die Wale“ kommen die Ärzte zum Ende. Am Ende sind jetzt wohl die meisten Konzertgänger und auch wenn es mit The Temper Trap und Beirut auf den kleineren Bühnen noch etwas zu Sehen und zu Hören gibt, dürfte der Regen den meisten die Entscheidung abgenommen haben, sich doch lieber vom Gelände zu entfernen.
Das Hurricane 2012 bot ein Sammelsurium aus allen Musikrichtungen und Stilen und dennoch fiel kein Act aus dem Rahmen – ein Kunststück dies so hinzubekommen. Da ist es kein Wunder, dass manchmal Bands gegeneinander spielen mussten, auch wenn das den Ärger darüber nicht schmälert. Dazu eine Security-Mannschaft, wie man sie selten bis nie erlebt, aber ihre Arbeit wurde eben genau durch Verständnis, Geduld und Humor auch für sie einfacher zu bewältigen.
Noch ein Hinweis oder eher Bitte in eigener Sache: Rollitribünen auch vor der Red- und White-Stage wären toll. Dazu noch Gummimatten, die den Weg zu den Tribünen ebnen und somit das Schieben über Wiese und Schlamm erleichtern – und alles wäre super!
Bilder von Tag 3; Fotografen: Jochen Melchior, Bernd Zahn, Malte Schmidt, Titus, Christoph Eisenmenger
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