Hier heißt der Ort nicht Scheeßel oder Nürburg, nein. Mitten in Deutschlands größter Stadt treffen sich Zuschauer und Bands der Gothic-Szene, um in malerischer Kulisse in einer alten Zitadelle zusammen zu feiern.
Bereits am frühen Freitagabend und somit am ersten Tag des Zita Rock ging es mit dem Eröffnungskonzert der Gothic Rocker Lord Of The Lost hoch her, sodass die Hamburger bei ihrer anschließenden Autogrammstunde dem Ansturm kaum gewachsen waren. Währenddessen lieferten OOMPH! einen ersten Vorgeschmack auf ihre für Herbst geplante Tournee und präsentierten mit neuer Live-Band auch Songs des soeben erschienen Albums DES WAHNSINNS FETTE BEUTE.
Als Headliner des ersten Tages stiegen nach OOMPH! die US-Amerikaner Evanescence in den Ring. Sängerin Amy Lee ließ sich von der Atmosphäre der Spandauer Zitadelle fesseln und nutzte die positive Energie, um das Publikum mit unwiderstehlicher Power und ihrer einmaligen Stimme zu verzaubern.
Der zweite Tag bietet zwar keine Superstars wie Evanesence, dafür jedoch die doppelte Anzahl an Bands. Zu Beginn vom Set der Band Staubkind passt sich das Wetter durchaus der Musik an. Verbreiten Staubkind eher romantische und melancholische Klänge und wandeln dabei nah an der momentanen musikalischen Ausrichtung des Grafen und seiner Band Unheilig, so ist es wenig verwunderlich, dass sich das Publikum merklich zurückhält. Dies bleibt auch bei der zweiten Band Zeraphine so. Diese stammt aus Berlin und hat mit Sänger Sven Friedrich eine Ikone der Gothicszene an Bord. Zusätzlich noch bei Dreadful Shadows und Solar Fake als Sänger sowie als DJ aktiv, kommt wohl keiner in der schwarzen Szene an seiner tiefen und zugleich sanften Stimme vorbei. Zeraphines Texte handeln oft von Untergangsstimmung und Abgründen der menschlichen Seele.
So tut es dann auch gut, dass es nach den schmalzigen und manchmal kitschigen Songs anschließend etwas flotter zugeht: Mono Inc. sorgen mit ihrem Dark Rock dafür, dass die Konzertgänger sich bewegen. Diese Band macht Lust auf mehr, zumal ihr Rockstil auch Leuten außerhalb der Szene gefallen dürfte. Sämtliche Mitglieder der Band wissen das Publikum einzubeziehen und mitzureißen, sogar die hochtalentierte Drummerin Katha Mia kommt gelegentlich nach vorn. Ein sympathischer Auftritt der Hamburger Band.
Auffallend kurz und dadurch sehr angenehm waren die Umbaupausen auch vor dem Gig für Saltatio Mortis. Diese Band tritt in die Fußstapfen In Extremos und kombiniert Rock mit mittelalterlicher Musik. Es kommen auch Dudelsäcke, Harfen und weitere, eher ungewöhnliche Instrumente zum Einsatz, die den Sound deutlich prägen. Das alles in einem flotten Tempo mit einem Sänger gemixt, der eine gute Stimme und gute Optik vorweisen kann und schon hat man die überwiegend weibliche Fanschar auf seine Seite gezogen. Die Texte von Saltatio Mortis kritisieren die Obrigkeit und betonen immaterielle Werte. Die Palette solcher Bands ist zwar recht lang, doch der steigende Erfolg und die Bühnenerfahrung – die Band existiert seit über zehn Jahren – katapultiert Saltatio Mortis zur ersten Garde dieser Stilrichtung in Deutschland.
Schwerpunktmäßig verlagert sich das Festival dann wieder mehr in Richtung Rock, denn die finnische Band The 69 Eyes – die einzige internationale Combo des Abends – spielt ihr Set. 69 Eyes‘ Musik ist punkiger, rockiger, direkter und hat vor allem mit den ersten beiden Bands wenig gemein. Ein Hauch von Ramones, eine Prise von Monster Magnet, dazu wenig Gefühlsregung und eine Ausstrahlung an Coolness – mehr Worte werden nicht benötigt, um einen Gig von The 69 Eyes zu beschreiben. Sie lassen es sich nicht nehmen, ihren Hit „Feel Berlin!“ anzustimmen und sind die einzige Band des Abends, welche ab und an das Wort mit F verwendet. Das gehört bei jedem Rockkonzert zum guten Ton.
Das Wetter wird immer besser, die Musik immer rockiger und tanzbarer, daher kommen die rund 7.000 Zuhörer immer mehr in Fahrt. Einige Stile der dunklen Szene wurden schon abgeklopft oder angerissen, nur das Spektrum Neue Deutsche Härte fehlt noch. In ihren Anfangsjahren war ASP genau in diesem Stil zu Hause, die Band selbst bezeichnet ihre Musik allerdings in Interviews inzwischen als Gothic Novel Rock. Dabei bezieht sich Gothic Novel auf die schauerliteraturartigen Erzählungen der Lieder, Alben und Liederzyklen, und nicht, wie häufig angenommen, auf den Musikstil Gothic Rock. Mit einer gewaltigen Licht-, Feuer- und Eisshow präsentieren sich ASP und Band in blendender Spiellaune und bringen die Zitadelle mit „Ich bin ein wahrer Satan“ oder „Ich will brennen“ buchstäblich zum Brodeln. Leider dämmert es erst, alles hätte bei echter Dunkelheit mehr Wirkung gehabt. Und nur rund 60 Min. Spielzeit für einen Headliner sind etwas wenig, damit ASP sich gut in Szene setzen kann.
Die traumhafte Kulisse der Zitadelle, ein sehr guter Querschnitt der deutschen Gothic-Szene – aufgewertet durch zwei hochkarätige internationale Acts – haben sich gelohnt. Die Macher zögerten nicht, das Festival spontan auf zwei Tage zu erhöhen, um eben genau dieses Programm zu bekommen. Der Termin 2013 für das Zita Rock ist der 15.06.2013. Der Veranstalter will sich dann wieder auf ein eintägiges Festival konzentrieren. Und dann bleibt hoffentlich mehr Spielzeit für die einzelnen Acts.
Titelbild: Elmar Herrmann
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