Das Gelände am Fühlinger See in Köln mausert sich während des Summerjam alljährlich zu einem Schmelztiegel der Kulturen. Auch dieses Jahr pilgern wieder rund 30000 Besucher verschiedenster Herkunft zu einem der größten Reggae- und Worldmusic-Festivals Europas, um unter dem Motto „Together as one“ zu feiern und zu entspannen.
Die Wettervorhersage macht am Donnerstag zwar immer noch nicht richtig viel Mut, aber mit ungetrübtem Optimismus wird sich auf die zwei Wochen alte 16-Tages-Vorhersage berufen. „Don’t worry, be happy“ wird hier gelebt. Das Zelt baut sich fast von alleine auf und das Wetter hat noch einmal Mitleid mit der campenden Zunft. Die vorhergesagten Gewitter bleiben aus, anscheinend funktioniert „Daumen drücken“ wirklich einigermaßen. Auf dem Zeltplatz rund um den Fühlinger See haben sich schon seit Anfang der Woche viele Leute versammelt, um einfach mal eine ganze Woche die Füße hochzulegen und den Musikern aus aller Welt zuzuhören. Doch nicht nur die musikalische Genrevielfalt ist beim Summerjam breit gefächert. Auf dem Weg zur Eröffnungsparty sitzt der Reggae-Fan aus der Schweiz neben dem Aussteiger aus Frankreich, der sich seinen Zeltplatz wiederum mit einem afrikanischen Händler teilt. Genauso bunt gemischt ist auch die tanzende Menge bei der Party im „Roots Center“. Es ist leicht zu behaupten, dass man sehr schwer einen vergleichbaren Ort findet, an dem so viele Leute mit so unterschiedlicher Sprache, Herkunft und Kultur so friedlich zusammen feiern.
Gespielt wird Reggae, die Stimmung ist verhältnismäßig ausgelassen und das Bier ist kühl. Nach einem kleinen Mitternachts-Snack an einem der zahlreichen Büdchen geht es langsam wieder zum Zelt zurück, um genug Energie für den nächsten Tag zu sparen. Die Uhr zeigt Punkt 3.
Fans beim Summerjam 2012; Fotograf: Daniel Berbig
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Summerjam 2012 – Tag 1
Als sich die ersten Sonnenstrahlen durch die winzig schmal geöffneten Lider drängen, ist es erst halb 10. Der darauf folgende Mittagsschlaf verlängert sich ungewollt bis in den Nachmittag. Natürlich kann der Umstand, ein paar Bands verpasst zu haben kein Wässerchen trüben. „Don’t worry, be happy“, ist nach wie vor das Motto. Nach der obligatorischen Wäsche im angenehm lauen Fühlinger See, ein paar flüssigen und festen Snacks und dem
Anziehen des Festival-Outfits, geht es los in Richtung Bühnen. Vorbei an der Hauptbühne, auf der gerade Jahcoustix sein Set beendet, treibt die Menge in Richtung Basar. Hier angekommen scheinen sich viele Besucher schwer entscheiden zu können, welche der unzähligen Gerichte sie am meisten anspricht. Nach einer kleinen Kostprobe der nordamerikanischen Küche wird es dann aber langsam Zeit, wieder in Richtung Bühne zu pilgern. Der Plan hätte wunderbar funktioniert, wenn auf dem Weg dorthin nicht noch die offizielle „Chill Out Area“ liegen würde. Zu Dub-Beats entspannen hier unzählige Festival-Besucher mit Blick auf den Fühlinger See. Der Bereich fällt vom etwas höher gelegenen Teil Richtung See zunehmend ab. Unten stehen die DJs und manche Leute bequemen sich von der schräg waagerechten Position in die Senkrechte, um dort virtuos das Tanzbein zu schwingen. Der Bereich macht seinem Namen alle Ehre und gerade deswegen heißt es jetzt: Schnell zu Max Herre. Der Stuttgarter spielt ein mit vielen Klassikern gespicktes und – im Gegensatz zu seinem Auftritt 2010 – sehr tanzbares Konzert. Als Unterstützung sind seine Frau, Joy Denalane, Samy Deluxe und vor allem Afrob mit dabei. Das Mehr an feiertauglichen Songs scheint auch angebracht, warten doch viele der Zuschauer bereits auf Sean Paul. Der liefert dann zur späten Stunde auch ausgelassene Party-Stimmung, allerdings nur für diejenigen, die den Text parat haben und selber mitsingen können. Dem Grammy-veredelten Jamaikaner bleibt an diesem Abend leider oft die Luft weg. Die Menge feiert trotzdem, was oftmals wohl an den sich hervorragend bewegenden Tänzerinnen liegt, die Sean Pauls Auftritt unterstützen. Nichtsdestotrotz ist die Stimmung nach dem Konzert gut und mit einem kleinen Erfrischungsgetränk geht es an den Zeltburgen vorbei in Richtung Dancehall Arena. Schon aus weiter Entfernung sind die Vibes zu spüren und nicht nur der Bass, sondern auch die in der Luft liegende Stimmung verrät, das der Abend nicht so schnell beendet sein wird.
Bei der Ankunft am Gelände spielt Skarra Mucci gerade groß auf. Der in Deutschland wohnende Jamaikaner bringt die Menge zum Tanzen und, in der Hoffnung auf noch größere Zügellosigkeit ihrerseits, die Besucher an die Bierstände. Leider sind die Auftritte der Künstler in der Dancehall Arena recht kurz, was aber durch Quantität ausgeglichen wird. Die Qualität leidet darunter absolut nicht, was Lord Kossity nach einem kleinen Intermezzo des Kingstone Sound noch einmal beweist. Als Christopher Martin anfängt zu spielen, wird schon langsam aber sicher der Rückzug angetreten. Morgen ist auch noch ein Tag und als Camper muss man Kräfte sparen. Die Menge tanzt trotzdem zahlreich weiter und denkt anscheinend nicht an morgen. Die Uhr zeigt Punkt 4 Uhr.
Bilder von Tag 1; Fotograf: Daniel Berbig
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Jahcoustix
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Sean Paul
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Max Herre
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Summerjam 2012, Tag 2
Heute steht die Uhr wenigstens schon einmal auf 10 Uhr. Die Durchhaltetaktik der letzten Tage macht sich heute bezahlt, denn die Sonne scheint mit allem was sie hat. Der morgendliche Sprung in den See macht darum heute besonders viel Laune. Auf dem See schippert ein Floß mit einer Bongospielenden Gruppe Rastas vorbei und vom Festival Gelände wabbern die ersten Bässe des Tages über den Fühlinger See. Allgemein macht sich Urlaubsstimmung breit und so ist es nicht verwunderlich, dass der Weg zur Festival-Insel erst gegen Nachmittag angetreten wird. Der weitläufige Bereich vor der grünen Bühne ist im hinteren Teil schon mit einer Vielzahl von Decken und anscheinend sehr tiefen-entspannten Festival-Besuchern gepflastert. Es findet sich dennoch ein Plätzchen, von welchem man sogar sitzend die Bühne im Auge behalten kann. Alles in allem eine sehr entspannte Situation, in der sich eine gewisse Selbstzufriedenheit breit macht. Das Publikum wartet zurecht gespannt auf Nneka, denn es wird beim darauf folgenden Konzert niemand enttäuscht: Die in Hamburg lebende Nigerianerin überzeugt mit ihrem Mix aus Soul, Hip Hop, Reggae und Dub. Der Sound der Band trägt die wunderbare Stimme über denkompletten Vorplatz und bei „Heartbeat“ erheben sich sogar viele der Picknicker von ihren Decken. Fast so, als hätten sie nur auf das Lied gewartet, um danach wieder in den Ruhezustand zu verfallen. Direkt danach versucht Protoje, das hohe künstlerische Level zu halten. Das schafft er nicht ganz, aber sein Reggaesound erweckt trotzdem die Lebensgeister wieder und so ist es erst mal Zeit etwas Energie für den Rest des Abends in Form von afrikanischen Hühnchen-Spezialitäten zu sammeln. Ehe das Huhn halb verdaut ist, steht schon Collie Buddz auf der kleinen Bühne. Mit der „New Kingston Band“ spielt der auf den Bermudas lebende gebürtige Amerikaner eine Mischung aus aktuellen Songs und seinen allseits bekannten Klassikern. Die Stimmung ist gut, es scheint alles bestens angerichtet zu sein für den Hauptact des Abends, Beenie Man. Pünktlich kommt der Grammy-Gewinner dann im feschen roten Hemd auch auf die Bühne. Nicht nur der selbst ernannte „King of the Dancehall“ tanzt sich dann dort das besagte Hemd in Flammen, auch das teilweise spärlich bekleidete Publikum erhöht die Temperatur im Innenraum zweistellig. Dementsprechend groß ist auch die Masse an Besuchern, die sich nach dem Konzert in Richtung Dancehall Arena aufmacht. Fast alle Leute scheinen noch nicht genug gefeiert zu haben und so wird der Weg zum Gelände etwas langwierig. Die Zeit wird, nach dem allseits bekannten Motto „Don’t worry, be happy“ von vielen Gästen am Bierstand des Vertrauens überbrückt. Als die Bühne der Arena in Sicht kommt, brennen Sentinel aus Stuttgart gerade mit einigen Summerjam-Dubplates die Bühne ab. Die Vorbereitung für Assassin verläuft demnach mehr als zufriedenstellend. Bevor man sich versieht, ist es auch schon 2 Uhr und es scheint wirklich so, als wäre die Mehrzahl der Besucher noch mit guter Kondition vor der Bühne zu finden. Es wird voller und voller und als Assasin aka Agent Sasco seine Show beginnt, kann man in der vorderen Hälfte kaum noch richtig stehen. Zu dieser Zeit wird auch der Nachteil des Boxen-Systems deutlich. Dadurch dass sowohl hinter als auch vor der Bühne massive Boxentürme aufgebaut sind, ergibt sich in vielen Bereichen eine Art Verzögerung des Sounds. Je nachdem wo man steht, hört man alles doppelt. Das nervt mit der Zeit und so ist der einzig gangbare Weg der nach vorne. Wer will bei Assasin schon hinten stehen? Der Jamaikaner zahlt die Mühen dann aber an jeden Einzelnen zurück. Die Stimme hält, die Lieder sind energiegeladen bis zum Schluss und die ekstatischen Besucher zahlen es ihm bis in die letzten Reihen tanzend wiederum zurück.
Gegen Ende machen sich so viele Feierwütige in die ersten Reihen auf, dass sogar die Plätze im Mittelfeld zu eng werden. Nachdem man bei den darauf folgenden Lokalmatadoren vom Pow Pow Soundsystem noch einmal alles gegeben hat, ist bei manchen der Akku leer. Die Mehrheit bleibt jedoch noch auf dem Gelände und feiert sich und die beiden wohl besten deutschen Soundsystems weiter bis tief in die Nacht. Auf dem Rückweg zum Zelt begegnet man noch unzähligen Gruppen, die trotz fortgeschrittener Uhrzeit noch auf dem Weg zur Party sind. Viele der Gäste sitzen noch wach vor oder in ihren Zelten, hören Musik, erzählen, tanzen oder wagen sich sogar noch einmal ins kühle Nass. Summerjam halt. Im Zelt, ein Blick auf die Uhr: Punkt 5.
Bilder von Tag 2; Fotograf: Daniel Berbig
Prinz Pi
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Jamaram
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Irie Revoltés
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Nneka
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Collie Buddz
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Amadou & Mariam
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Groundation
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Burning Spear
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Beenie Man
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Summerjam 2012, Tag 3
Im Zelt ist für die meisten wahrscheinlich alles noch in bester Ordnung. Die Uhr zeigt kurz nach 11 und es scheint ein wenig zu regnen. Nichts, was die Laune eines erprobten Festival-Besuchers trüben könnte. Beim vorsichtigen, ersten Blick aus dem Zelt werden die meisten aber dann doch erschrocken zurück unter die Bettdecke geschlüpft sein. Über Nacht scheint ein kleiner Tornado über das Gelände gezogen zu sein. Pavillons sind umgerissen und in den See geweht worden, manche Zelte schon teilweise abgebaut und viele gerade in Reparatur. Jetzt erscheint das Energiesparen der letzten Tage wie der größte Fehler, den man je begangen hat. Da bleibt für manche nichts anderes übrig, als den steinigen Heimweg anzutreten, um nicht das komplette Hab und Gut zu verlieren. Als nach diesem unschönen Zwischenspiel das Festival-Gelände wieder ins Sichtfeld rückt, brennt Alborosie gerade zusammen mit Beenie Man die rote Bühne dermaßen ab, dass man meinen könnte, es wäre wieder Samstag Nacht. Der auf Jamaika lebende gebürtige Sizilianer mit der unverwechselbaren Rasta-Pracht hat die Leute gut im Griff und schafft es mit seinem gut tanzbaren Reggae, das schlechte Wetter vergessen zu machen. Viele der besser vorbereiteten Camper scheinen schon den ganzen Tag hier im Schlamm zu tanzen und sehen teilweise aus, als wären sie gerade einem unerforschten Teil Borneos entsprungen. Auf dem Weg zur grünen Bühne blickt man nicht mal in genervte Gesichter. Hier hat anscheinend niemand schlechte Laune, auch wenn nicht mehr überall Festival-Euphorie zu spüren ist. Die Kleidung ist wieder dicker geworden, das geheime Motto wird aber immer noch von allen verwirklicht. „Don’t worry, be happy“, jeden Tag. Es bleibt noch kurz Zeit, ein wenig exotischen Schmuck an den anliegenden Ständen zu erstehen, dann wird auch schon Marsimoto als letzter Künstler auf der kleinen Bühne angekündigt. Als das Konzert standesgemäß mit dem Track „Grüner Samt“ startet, werden im Publikum grüne Rauchbomben und vereinzelt Feuerwerkskörper gezündet. Marsimoto kündigt den „Green Summerjam“ an und der Rauch mischt sich mit den grünen Bühnenscheinwerfern, dem drückenden Bass und den dichten Rauchschwaden zu einem fast dämonischen Szenario. Der Wahl-Berliner schafft es Lied für Lied, das Publikum zu überzeugen, und es werden mit der Zeit immer mehr Besucher, die sich das grüne Spektakel lieber anschauen wollen als Stephen Marley auf der Hauptbühne. Zwischendurch spielt dann auch sein zweites Alter Ego Marteria seinen neuen Track „Feuer“ zusammen mit Miss Platnum. Zwischendurch frischt der Wind zwar wieder auf, aber die „Letzten 20 Sekunden“ und das Feuerwerk im Hintergrund werden trocken zelebriert.
Der Sound ist aus, die Menge verteilt sich noch ein letztes Mal über das Gelände und viele Leute strömen zum Ausgang der Festival-Insel. Wieder ist ein Jahr Summerjam vorbei. Zwar hat das Wetter nicht so richtig mitgespielt, aber das Motto „Together as one“ wurde gelebt. Das, was alle verbunden und zusammengehalten hat, war wohl die grundlegend positive Einstellung der Besucher. Wie schon Bobby McFerrin sang: „Don’t worry, be happy“.
Bilder von Tag 3; Fotograf: Daniel Berbig
Stephen Marley
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