Album des Jahres! Gewinner des Mercury Prize 2012! Ausverkaufte Tourneen! Die neuen Radiohead! Im Grunde haben Alt-J aus Leeds mit ihrem Debütalbum bereits alles erreicht.
Sie nahmen die Indiegemeinde mit ihrer Mischung aus Brit-Folk, Indiepop, Breakbeats und Hip Hop im Sturm. Die Songs zauberten nicht nur dem launigen Hipster, sondern auch jedem notorischen Berufsmelancholiker mit dem schwertraurigen Gesang von Joe Newman ein Lächeln auf die Lippen. Sie schufen eine heimelige Lagerfeuerromantik und riefen zugleich neue Energien in erschlafften Tanzbeinen hervor. Die geheimnisvolle Aura, die die Band am Anfang ihrer Karriere umgab, inklusive gesichtsverhangener Pressefotos, tat ein Übriges, um den Hype richtig zu befeuern.
Wahrscheinlich hätte die zum Trio geschrumpfte Band einfach die Songs von AN AWESOME WAVE in anderer Reihenfolge veröffentlichen können und wäre trotzdem ohne Ende abgefeiert worden. Elegant entgehen Alt-J aber auf THIS IS ALL YOURS dieser Versuchung und riskieren in kompositorischen Achterbahnfahrten Kopf und Kragen. Die Songs kombinieren noch mutiger verschiedenste Stile und Sounds und haben noch unerwartetere Brüche als auf dem Erstling. Auf den Höhepunkt wird die Experimentierfreude mit „Garden of England“, einer reinen Blockflötenkomposition, getrieben. Die Band schafft es mühelos, Trip-Hop-Beats mit Miley Cyrus-Samples und Blockflöten mit Deep-House-Bässen zu kreuzen, ohne an Geschlossenheit zu verlieren. Dabei verharren die Lieder in einer Mischung aus barocker Eleganz und unaufgeregter Lässigkeit. Sie strahlen fast etwas Bedrohliches aus, was das blutrünstige Video zur ersten Single „Hunger of Pine“ eindrucksvoll unterstreicht. Diese bedrohliche Ruhe und gleichzeitige Vielschichtigkeit verwirren im ersten Moment, widersprechen sie doch jeder Erwartung, welche man an das Album hatte. Doch spätestens mit dem plötzlichen Einsatz des mehrstimmigen Gesangs in „Arrival in Nara“ und den oktavierenden Synthietönen in „Every Other Freckle“ weicht langsam die Schockstarre aus dem Körper. Langsam wird deutlich, dass die Songs zwar komplexer strukturiert und vielschichtiger produziert sind, allerdings rufen sie durch ihre überraschenden Wendungen und großartigen Melodien nicht weniger Begeisterung hervor als ihre Vorgänger auf dem Debütalbum.
Hat man sich erst akklimatisiert, an die dunkle Grundstimmung gewöhnt, wachsen die Songs mit jedem Hörgang und rufen wieder das vertraute Alt-J-Gefühl aus Wärme und Euphorie hervor. Vielleicht fehlen die offensichtlichen Hits wie „Dissolve me“ oder „Breezeblocks“, jedoch erwischt man sich nach wenigen Tagen, wie man vergeblich versucht, die Chöre aus „Every Other Freckle“ oder die Klaviermelodie aus „Arrival in Nara“ aus dem Kopf zu verbannen. Vielleicht sind Alt-J etwas verkopfter geworden – die Euphorie aber, die ihre Kompositionen auslösen, ist geblieben.
Ohr D´Oeuvre: Arrival in Nara / Leaving Nara / Every Other Freckle
VÖ: 19.09.2014; Infectious Music / Pias Cooperative
Tracklist:
01. Intro
02. Arrival in Nara
03. Nara
04. Every Other Freckle
05. Left Hand free
06. Choice Kingdom
07. Hunger of the Pine
08. Warm Foothills
09. The Gospel of John Hurt
10. Pusher
11. Bloodflood (Part lI)
12. Leaving Nara
Gesamteindruck: 8/10
"Die neuen Radiohead!" Das wären sie gerne. Leider ist das Album Lichtjahre von Radioheadalben entfernt und auch sehr sehr langweilig.
Das Zitat ist bewusst gewählt und ein Stilmittel unseres Autors.