Ein junger Musiker mit irgendwie komischem Namen, der auf deutsch singt und seichte Popmusik fabriziert? Ist Tiemo Hauer ein weiterer Bendzko, Poisel, Oerding, Pohlmann? Einerseits ja, aber andererseits ganz und gar nicht.
CAMÍLLE ist bereits das dritte Studioalbum des 24-Jährigen, und allein schon die Tatsache, dass er dieses – wie auch die beiden Vorgänger – auf seinem eigenen Label veröffentlicht, selbst produziert und sogar die Arrangements in Eigenregie entwickelt hat, lässt aufhorchen. Zumal der Stuttgarter hier eine starke Arbeit abgeliefert hat: Vom klaviergetragenen Pop seiner Anfangstage ist der Stuttgarter mittlerweile meilenweit entfernt, CAMÍLLE bietet eine bunte Klangpalette an modernem Indiepop. Zwischen gefühlvollen, spärlich arrangierten Gitarren- oder Pianoballaden („Wegen mir“) finden sich opulente Bandsounds mit kleinen Ausbrüchen, die man beinahe als Noise-Rock bezeichnen könnte. Selbst an leicht elektronische Spielereien („Bleib bei mir“) traut sich Hauer heran. Schade ist nur, dass sich der Künstler kein einziges Mal fürs Uptempo entscheidet, schneller als im mit Akustikgitarre startenden und klasse ausufernden „Viel erlebt“ wird es leider nicht.
Musikalisch gibt es also nicht viel zu bemängeln. Leider hat sich Hauer offenbar voll und ganz auf die Produktion und sein gutes Gespür für Melodiebögen konzentriert. Denn auf der Strecke bleiben die Texte, die er natürlich ebenfalls in Eigenregie auf Papier gebracht hat. Und hier liegt die große Krux von CAMÍLLE, denn die Liebesleiden des jungen H. können mit dem hohen musikalischen Niveau nur selten mithalten. Beispiel gefällig? „Ich fühl‘ mich wie ein Mann / Und dann ruf ich bei Dir an / Du gehst natürlich nicht dran / Und ich fang zu weinen an“. Bei solchen Textzeilen reißt auch Hauers irgendwo zwischen Rio Reiser und Gisbert zu Knyphausen angesiedelte Jammerstimme nichts mehr heraus.
Wer über die textlichen Schwächen hinwegsehen kann, wird CAMÍLLE schnell ins Herz schließen können. Alle anderen sollten sich zumindest mit der kratzbürstigen Single „Herz/Kopf“ oder aber dem mit Geige und Klavier gefühlvoll dahin gehauchten „Hase & Igel“ auf der experimentelleren, „Die dunkle Seite“ genannten Bonus-CD auseinandersetzen. Denn sie unterstreichen, dass Tiemo Hauer ein unglaubliches Potential besitzt, das er hoffentlich auf seinen folgenden Alben auf allen Ebenen ausschöpfen wird.
Ohr d’Oeuvre: Viel erlebt, Herz/Kopf, Hase & Igel
VÖ: 22.08.2014; green elephant records
Tracklist:
01. Ganz oder gar nicht
02. Bleib bei mir
03. Viel erlebt
04. Wenn Du gehst
05. Ich seh Dich nicht
06. Sigur Rós im Regen
07. Vielleicht muss ich gehen
08. Herz/Kopf
09. Wegen mir
10. Was Dich nicht umbringt…
11. Statt Land Mehr
12. Rotebühlplatz 4
13. Gottverdammter Laden
14. Nur Luft
15. Adler
16. Ich drehe um
01. Spero in te
02. Schwarzes Glück
03. Giasmin
04. Hase & Igel
05. Altes Paar
Gesamteindruck: 6/10