Am 19. September erschien Jens Friebes fünftes Album NACKTE ANGST ZIEH DICH AN WIR GEHEN AUS, mit dem der Wahlberliner zurück zu alter Form fand. Am 16. Oktober stellte der Sänger seine neuen Songs endlich erstmals beim Heimspiel im BiNuu live vor.
Es dauert am Donnerstagabend eine ganze Weile, bis sich der Club mitten im U-Bahnhof „Schlesisches Tor“ füllt. Kein Wunder, denn es gibt keine Stempel für die Besucher – die meisten von ihnen bevorzugen es daher, bis zu den ersten Klängen von Support Justine Electra vor der Tür das erfreulicherweise noch immer viel zu milde und ausnahmsweise mal trockene Berliner Herbstwetter zu genießen. Die in Neukölln lebende Australierin eröffnete bereits drei Wochen zuvor das Konzert von Ja, Panik wenige Meter weiter im SO36, ihr Set im BiNuu unterscheidet sich in Songauswahl und Länge nur wenig. Wieder startet sie mit obskurer Maske im Gesicht und dem seicht pluckernden „Great Skate Date“, wieder wissen vor allem der Beinahe-Klassiker „Fancy Robots“ und das wundervolle Bonnie-Prince-Billy-Cover „I See A Darkness“ die Zuschauer in den Bann zu ziehen. Bisweilen wirkt Justine Electras LoFi-Electro-Blues etwas stümperhaft, doch der schräge Gesang in „Petting Zoo“ ist genau so beabsichtigt. Allerdings scheint ihr Notebook diesmal auf Energiesparmodus zu laufen, die gewollt verstörenden Hintergrundklänge in „This Could Be The Most Beautiful Noise“ beispielsweise kamen im SO36 noch besser zur Geltung. Den Zuschauern im mittlerweile gut gefüllten BiNuu scheint das Set dennoch zu gefallen. Electra bedankt sich artig und verabschiedet sich schließlich mit dem achtminütigen „Around & Around“.
Kaum hat die Künstlerin am Bühnenrand ein letztes Exemplar ihres 2013er-Albums „Green Disco“ unter den neu gewonnenen Fan gebracht, muss sie das Feld auch schon räumen: Unter großem Gejohle betritt Jens Friebe die Bühne. An seiner rechten Seite weiß er – wie schon seit Jahren – den Berliner Tausendsassa Chris Imler, der für sein Duracell-Hasen-artiges Schlagzeug- und Percussionspiel in den kommenden 75 Minuten mehrfach Sonderapplaus erhält. Zu Friebes Linken gesellt sich indes ein neues Gesicht: Statt der Britta-Bassistin Julie Miess steht hier Andi Hudl und ist zuständig für sämtliche Synthesizerklänge.
Zu dritt geht die Jens-Friebe-Band also die auf dem Tonträger so opulent arrangierten neuen Stücke an – und es funktioniert. Dank Hudls brummigen Moog-Klängen fällt das Fehlen des Basses gar nicht auf, und Imler scheint sowieso mindestens so viele Arme zu haben wie die Gottheit Shiva. Jens Friebe selbst kann sich daher voll und ganz wahlweise auf sein Keyboard oder die E-Gitarre konzentrieren – und natürlich den Gesang. Logischerweise liegt der Fokus auf den Stücken von NACKTE ANGST ZIEH DICH AN WIR GEHEN AUS, doch auch ein paar alte Lieder finden den Weg in die Setlist. Als „alt“ bezeichnet Friebe aber auch schon die Stücke seines sieben Jahre zurückliegenden Drittwerks DAS MIT DEM AUTO IST EGAL HAUPTSACHE DIR IST NICHTS PASSIERT. Die beiden Alben davor hingegen scheint der Künstler bewusst auszublenden, lediglich das eingedeutschte Beat-Happening-Cover „Cast A Shadow“ wird im regulären Set berücksichtigt. Friebe scheint die Frühphase seiner Solokarriere offenbar bewusst auszuklammern, auch sein Auftreten wirkt weniger kühl und arrogant als noch vor ein paar Jahren. Dabei hat sich musikalisch gar nicht so viel verändert in den zehn Jahren. Noch immer gelingt dem Berliner mit seinen Stücken die schwierige Balance zwischen schrammeligem Indierock, Beinahe-Kirmes-Disco und Chansons.
Doch obwohl die Zuschauer im nunmehr brechend vollen BiNuu auf Gassenhauer wie „Bring mich zum Wagen“, „Kennedy“ oder „Lawinenhund“ verzichten müssen, bekommen sie eine grandiose Show geliefert. Intime Stücke wie das „Schlaflied“ oder „Zahlen zusammen gehen getrennt“ kommen noch zerbrechlicher daher als auf Platte, während die Discokracher „Charles De Gaulle“ und „Hölle oder Hölle“ durch den Livesound weniger plump klingen. Besonders hervorzuheben sind noch die ursprünglich rockige „Geheime Party“ in neuem „Burt-Bacharach-Gewand“ (O-Ton Friebe) sowie das punkige „(I Am Not Born) For Plot-Driven Porn“, das der Sänger im Duett mit Gwendolin Tägert (Half Girl, Mondo Fumatore) vorträgt. Und als Jens Friebe schließlich der immer weiter Zugabe fordernden Meute mit „Wenn man euch die Geräte zeigt“ doch noch ein Stück vom ersten Album VORHER NACHHER BILDER als Rausschmeißer schenkt, sind endgültig alle zufrieden gestellt.
Fotos: Sasche Krokowski