Vier Jungs, die gerne laute Musik machen und überall dort auftreten, wo der Lärmpegel akzeptiert wird. Das klingt so ziemlich nach Heisskalt. Inzwischen füllen die Stuttgarter Konzerthallen, spielen gerade ihre dritte Headliner-Tour und haben in diesem Trubel auch noch ihr Album VOM STEHEN UND FALLEN veröffentlicht. Wir trafen die Band vor ihrem Auftritt im Dortmunder FZW und sprachen über Fans, die neue Platte und geschlachtete Lämmer.
jmc: Jungs, gestern gab es den Tourstart in Hannover: Wie hat es sich angefühlt, wieder eine eigene Tour zu starten?
Marius: Es hat auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht und die Leute waren auch ziemlich gut drauf. Jedoch hatten wir einen kompletten Kaltstart, weil wir nicht wirklich proben konnten. Matze war ja krank, so dass wir die ersten Tourtermine sogar verschieben mussten. Deswegen waren wir gestern doch sehr aufgeregt und wurden praktisch ins kalte Wasser geschmissen. Aber es hat alles gut funktioniert und heute wird es noch besser.
jmc: Hört man es Matze noch an, dass er gesundheitlich richtig angeschlagen war?
Phil: Ja, er hat immer noch Schwierigkeiten beim Singen. Gerade an Stellen, wo es ein wenig härter wird, bekommt er Probleme. Das ist ja klar, denn er hat seine Stimme seit über einen Monat nicht belasten können. Allerdings wird er von Tag zu Tag besser.
jmc: Das ist eure inzwischen dritte Headliner-Tour und ihr habt euch in den letzten Jahren eine ziemlich große Fanbase erspielt. Erkennt ihr manche Fans mittlerweile auf Konzerten wieder?
Alle gleichzeitig: Ja, auf jeden Fall!
Lucas: Es gibt sogar Leute, die teilweise schon auf 20 oder 30 Konzerten von uns waren und die uns auch hinterherfahren, um keine Show zu verpassen.
Marius: Uns ist es wichtig, mit unseren Fans in Kontakt zu treten und mit ihnen zu kommunizieren. So merkt man sich natürlich auch das ein oder andere Gesicht.
jmc: Ihr habt schon erwähnt, dass ihr den Kontakt zu euren Fans intensiv pflegt. Das gelingt euch besonders durch die ganzen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter. Seid ihr trotz Erfolg und Stress immer noch selbst dort aktiv oder posten andere Teammitglieder Beiträge für euch?
Phil: Das machen immer noch wir. Also wir haben uns die Aufgaben alle untereinander aufgeteilt und ich bin für unsere Social-Media-Kanäle zuständig.
jmc: Wie viel Arbeit fällt da inzwischen an?
Phil: Es ist auf jeden Fall mehr Arbeit, als ein Außenstehender wohl zunächst vermuten würde. Man muss sich viele Gedanken darüber machen, was man zu welchem Zeitpunkt postet. Ich stelle mir immer die Frage „Was wollen die Leute sehen?“ Man möchte sie ja nicht mit uninteressanten Posts zuschütten. Man muss schon eine Strategie haben.
jmc: Wo wir gerade beim Thema „Internet“ sind: Was wollt ihr Leuten sagen, die auf euren Konzerten mit Kameras oder Handys rumstehen und euch filmen?
Lucas: Also, dass Leute Fotos auf unseren Konzerten machen, ist ja kein Problem. Es nervt allerdings schon, wenn man von der Bühne aus auf die erste Reihe blickt und da glotzen alle nur auf ihre Displays und texten.
Marius: Was mich auch wahnsinnig stört, sind die Leute, die einfach nur in der ersten Reihe rumstehen, überhaupt nicht mitmachen und wenn wir dann „Hallo“ spielen, gehen die Kameras hoch. Die haben sich also nur in die erste Reihe gestellt, um den Song zu filmen. Da hört das Verständnis bei uns so langsam auf, denn das ist nicht der Grund, warum wir Musik auf der Bühne machen.
Phil: Ich kann auch nicht verstehen, warum da manche während zwei oder drei Songs rumstehen und alles mit einer unfassbar schlechten Handy-Kamera filmen. Das ist doch bescheuert und wir halten auch nicht viel davon.
jmc: Kommen wir doch zu eurem aktuellen Album VOM STEHEN UND FALLEN. Damit verbreitet ihr eine gewisse Message: Man soll das Leben leben und nicht so viel an morgen denken. Findet ihr, dass unsere Generation zu ängstlich ist, um so zu leben wie sie eigentlich möchte? Wir haben heute mehr Möglichkeiten als damals, müssen aber auch schwierigere Entscheidungen treffen.
Lucas: Also ich habe schon das Gefühl, dass die Leute Angst haben, etwas zu machen, was sie von den anderen unterscheidet. Warum etwas Neues wagen, wenn man auch den abgesicherten Weg gehen kann? Allerdings fehlt ihnen vielleicht auch das Bedürfnis danach, eine Veränderung herbeizuführen. Es geschieht so viel um uns herum, was sicherlich an den ganzen Medien wie Internet, Fernsehen und Radio liegt. Da verliert man leicht den Überblick und denkt gar nicht darüber nach, auszubrechen. Diese ganzen Strömungen um uns herum lenken uns von dem Wesentlichen ab. Dabei ist es wichtig, dass man die Zeit findet, um sich die Frage zu stellen „Was mache ich hier eigentlich gerade?“
Marius: Genau, man muss sich fragen, ob man wirklich so leben möchte, wie man es im Moment tut oder ob man doch lieber etwas ändern möchte. Bei solchen Veränderungen darf man aber nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an seine Mitmenschen.
Phil: Ich denke, dass dieser Sicherheitsgedanke noch stark in uns allen verankert ist. Wir wachsen auf und bekommen eingetrichtert, dass wir lediglich arbeiten müssen, um später genug Rücklagen zu haben. Und man darf bloß nicht den Bausparvertrag vergessen, denn Absicherung ist alles! Um eine Veränderung herbeizuführen, muss man sich von diesen Gedanken erstmal lösen. Jedoch liegt darin die Schwierigkeit, denn wenn man so erzogen wird, vergisst man über den Tellerrand hinauszuschauen und seine anderen Möglichkeiten abzuwägen.
Lucas: Man wird ja von der Gesellschaft und gerade auch in der Schule dazu erzogen, später mal ein Arbeitnehmer zu werden. Nach der Schule machst du dann deine Ausbildung oder gehst studieren, mit dem Ziel, später irgendwo angestellt zu werden und deinen ganz normalen Job zu erledigen. Es gibt einfach viel zu wenige Impulse von den Erwachsenen und den Institutionen, uns aufzuzeigen welche Alternativen wir eigentlich haben. Wir müssen nicht genau das machen, was auch schon unsere Eltern oder Großeltern getan haben. Wichtiger ist es, dass wir uns auf unsere Stärken konzentrieren und das Potential voll ausschöpfen.
(Nun gesellt sich auch Matze hinzu)
jmc: Und ihr habt es geschafft, euren eigenen Weg zu gehen. Als Musiker lebt ihr gerade euren Traum. Glaubt ihr, dass eure Denkanstöße auch von den Fans verinnerlicht werden, oder wird Musik nur noch blind konsumiert, ohne auf die Message zu achten?
Marius: Ich denke, dass die Message ankommt. Gestern habe ich tatsächlich noch mit zwei Fans gesprochen, denen unser Song „Gipfelkreuz“ sehr viel bedeutet. Es ist ein Sinnbild für sie geworden, füreinander da zu sein und aufeinander aufzupassen. Ich fand das total rührend.
Lucas: Das ist ja am Ende des Tages auch das, wofür du Musik machst. Du möchtest den Menschen da draußen ein Gefühl vermitteln. Wenn es dann funktioniert und du merkst, dass etwas von deiner Message ankommt, dann hast du die Bestätigung, dass es richtig ist, was du tust.
Matze: Ich denke dennoch, dass es ein heutiges Problem darstellt, dass viele Leute Musik eben nicht mehr wirklich fühlen, sondern taub konsumieren. Sie sind eben nicht so, wie die Leute, die auf unsere Konzerte kommen.
jmc: In einem Interview habt ihr mal erwähnt, dass man im Leben unbedingt das machen sollte, wovor man Angst hat. Was waren bei euch Momente, in denen ihr trotz Angst etwas durchgezogen habt?
Matze: Man hat doch ständig irgendwie Angst. Angst, wenn man auf der Bühne auftritt oder eine fremde Person ansprechen muss. Dieses Gefühl begleitet uns immer ein wenig, es ist aber wichtig, dass man trotz Angst gewisse Grenzen durchbricht und es dennoch einfach macht.
jmc: Auf eurem Album befinden sich einige gesellschaftskritische Songs wie „Nicht anders gewollt“ oder „Kaputt“. Diese kritische Meinung wird besonders durch den melancholischen Sound transportiert, der stark an La Dispute erinnert. Da wird euer Bezug zur Hardcore-Szene sehr deutlich.
Matze: Wir waren nie wirklich ein Teil dieser Hardcore-Szene. Klar, unsere alten Bands waren ein wenig mehr von diesem Genre beeinflusst. Wir alle mögen diese Musik zwar und haben unsere eigene Definition von Hardcore, aber wir würden uns nicht als eine Hardcore-Band betiteln.
Lucas: Wir sind sehr stark von dieser Philosophie beeinflusst, die von der Hardcore-Musik transportiert wird, aber bei uns im Dorf gab es nie eine Hardcore- oder Metalszene. Wir haben dort alle viel Musik gehört, aber das war nie auf ein bestimmtes Genre bezogen.
Matze: Das Schöne am Hardcore ist für mich, dass jeder so sein darf, wie er möchte. Man tauscht sich aus und es ergibt sich ein großes Miteinander. Kein „Du musst dies oder du musst das.“
jmc: Könntet ihr euch denn vorstellen, beim nächsten Album wieder etwas härter zu werden?
Matze: Ja, auf jeden Fall.
jmc: Hättet ihr dann aber keine Angst, dass ihr Fans verlieren würdet, wenn ihr weniger massenkompatible Musik spielt?
Marius: Das haben wir eigentlich schon mit dem letzten Album getan und man konnte deutlich spüren, dass es den Leuten trotzdem gefallen hat.
Lucas: Wir haben sogar gemerkt, dass es letztlich auch mehr Leute angesprochen hat. Wir konnten ein breiteres Spektrum an Menschen ansprechen und haben beispielsweise Leute auf unseren Konzerten getroffen, die deutlich älter waren als wir selbst. Es kann also passieren, dass wir wieder härtere Musik spielen werden. Nächstes Jahr beginnen wir an den Arbeiten zum nächsten Album und dann sehen wir weiter.
Matze: DurchVOM STEHEN UND FALLEN haben wir auch Mut gewonnen. Nicht den Mut, wieder härtere Musik zu spielen, sondern das zu machen, von dem wir denken, dass es cool ist. Entweder gefällt es den Leuten oder eben nicht.
jmc: Hört sich so an, als sei gar kein Druck dahinter.
Matze: Doch klar machen wir uns Druck. Wir stehen jeden Tag auf und machen uns Druck.
Lucas: Es ist aber kein Druck, dass wir möglichst viele Platten machen, sondern eher ein Anspruch, dass wir alle vier mit dem Ergebnis unserer Arbeit zufrieden sind.
Phil: Und dass wir alles noch besser machen!
Marius: Wir sind eben eine Band, die dazu neigt, alles zu zerdenken. Vielleicht diskutieren wir manchmal auch zu viel aber irgendwo ist das auch der richtige Weg. Wir beleuchten damit alle Aspekte unserer Arbeit.
jmc: Letzte Frage: Habt ihr Rituale, die ihr vor einem Konzert vollzieht?
Matze: Wir schlachten ein Lamm! Nein Spaß. Klar haben wir die, aber die werden wir niemals verraten.
Phil: Da können sich die Leute nun den Kopf darüber zerbrechen.
jmc: Jungs, danke für das Gespräch!
Fotos: jmc/Berbig ; Band