Konnte man sich Seth Sentrys Debütalbum THIS WAS TOMORROW noch über das chemische Periodensystem nähern, sollte man für sein Zweitwerk STRANGE NEW PAST besser die Fakultät wechseln.
Denn der mit vierzehn Anspielstationen und einer Spielzeit von knapp unter einer Stunde versehene kleine Bruder des Australian Independent Records Award-Trägers wirkt für Künstler und Konsument wie die typische Skinner-Box.
Der Künstler drückt Knöpfe und betätigt Hebel immer häufiger, nachdem er einmal belohnt wurde (besagter AIR-Award, Goldauszeichnung, in den australischen Charts Platz Zwei hinter Muse), um erneut belohnt zu werden. Der Konsument erwartet nach der Einnahme des Vorgängers einen erneuten Ausstoß von Glückshormonen, hervorgerufen durch intelligente Texte, einen makellosen Flow und musikalisch abwechslungsreiche Beats.
Ein Gros der letztgenannten Qualitätsmerkmale lässt STRANGE NEW PAST dabei allerdings leider vermissen. Im Gegensatz zu THIS WAS TOMORROW wirkt das in Melbourne aufgenommene Zweitwerk stellenweise eher wirr. Es fehlt das Organische, dass den Vorgänger auch für Nicht-Headz musikalisch diggbar machte. So zeigt Seth Marton in „Dumb“ deutliche Macklemore-Bläser-Anleihen. Zusätzlich stellen Tracks wie „Nobody like me“ musikalische Totalausfälle dar. Textlich bleibt er dagegen unangefochten stark, wie er z.B. in „Hell Boy“ eindeutig zeigt.
So kann festgestellt werden, dass die von Seth Sentry (un)absichtlich verfolgte Methode der intermittierenden Verstärkung zwar in diesem Fall funktioniert und der Rezensent weiterhin die vielversprechende Karriere dieses sprachlichen Ausnahmetalents verfolgen wird. Mehrere solcher Ausfälle sollte er sich allerdings in nächster Zeit nicht erlauben, ohne Gefahr zu laufen, dass man das Interesse an ihm verliert.
Das Hoverboard wurde entwickelt und die Waitress erobert, neue Ziele warten. Wir auch. Und zwar ab, was Sentrys merkwürdige neue Vergangenheit, die Morgen war uns musikalisch noch bringen wird.
PS: Der Autor erreichte im künstlereigenen IQ-Test leider nur die „Brain matter of a loud bogan“.
Ohr d’Oeuvre:
How Are You / Dumb / Hell Boy / Violin / Pripyat, Pt. 2
VÖ: 14.08.2015 – Kanoon Records / Membran
Tracklist:
01 How Are You
02 Run
03 Nobody Like Me
04 Dumb
05 Hell Boy
06 Fake Champagne
07 Rooftop Hooligans
08 Hate Love
09 Violin
10 Pripyat, Pt. 1
11 Pripyat, Pt. 2
12 1969
13 Sorry
Gesamteindruck:
6/10