Der erste richtig kalte Tag des Novembers kann die Vorfreude auf das 5. Week-End Fest nicht trüben. Sie steigt noch an als es die Treppen zur Stadthalle Mülheim hinaufgeht und der Weg durch die Rauchermenge am Eingang führt. Es wird schon wild gefachsimpelt und über allem liegt eine entspannte Stimmung, die diesem Festival so eigen ist. Im bereits gut gefüllten Saal beginnt gerade The Pop Group mit ihrem Set. Eine Mischung aus Neugier und Aufgekratzheit durchzieht das Publikum, wobei es nicht ganz sicher ist, ob beim Großteil der Anwesenden die Vorfreude nicht vom später anstehenden Auftritt von The Notwist herrührt. Die Engländer – bis auf eine Ausnahme alle Mitte 50 – gehen davon ungerührt und enthusiastisch zur Sache. Man merkt ihnen und Sänger Mark Stewart im Speziellen an, dass sie von ihrer linken und kritischen Haltung wenig eingebüßt haben. Hier ein kleiner Hieb auf das Königshaus, dort auf das Konsumverhalten der Menschen im Allgemeinen. Leider werden sie im ersten Teil vom Sound im Stich gelassen. Zugleich irritiert, dass es keine Lichtshow gibt und die Band – vermutlich im Hinblick auf den späteren Umbau – ganz am Bühnenrand platziert ist. Allerdings beeinträchtigen diese Schwierigkeiten die Performance keinesfalls, nur geht leider vieles in dem sehr basslastigen Soundbrei unter. Als ein Pfeifen den Raum durchzieht und dieses nicht unter Kontrolle zu bringen ist, wird es Mark Stewart fast zu viel und man merkt ihm deutlich seinen Unmut an. Allerdings behält die typisch britische Gelassenheit die Überhand und er lobt den guten Sound. Danach ist alles gut und die Band bringt einen tanzbaren Mix aus Dub, Ska und Punk auf die Bühne, dem man deutlich seine Sozialisation in den 80ern anmerkt und der dankbar vom Publikum angenommen wird.
Wie in den letzten Jahren gibt es auch dieses Mal eine erlesene Auswahl an Longdrinks und spanischem Bier, welche die Wartezeit auf die Weilheimer The Notwist verkürzen. Der Moderator holt – wie eh und je stilecht im Anchorman Outfit gekleidet – zwei Kinder auf die Bühne und es macht sich eine harmonische bis warme Atmosphäre breit. Pünktlich betreten The Notwist in großer Besetzung mit sieben Leuten die Bühne. Einige Jahre lang löste jedes neue Album der Band ein mittleres Beben in der Musiklandschaft aus. Das dies heute nicht mehr unbedingt so ist, scheint die Band nicht zu berühren. Vielmehr präsentieren sie sich eine Einheit, die vollkommen in sich zu ruhen scheint. Es folgt ein sehr organisches Set in den kommenden 75 Minuten, in denen die Songs von NEON GOLDEN die Korsettstangen bilden. Allerdings wirkt der Sound analoger als bei den letzten Auftritten und man hat die Songs teilweise einer angenehm klingenden Erfrischungskur unterzogen. Die Kommunikation bleibt dabei wie gewohnt spartanisch, aber die Band spricht halt durch ihre Musik und überrascht erneut durch die Vielschichtigkeit, die sie umgibt. Interessant ist dabei der Unterschied in der Lichtshow. Ist man wegen mangelnder Effekte bei The Pop Group praktisch gezwungen gewesen die Mitglieder in den Fokus der Betrachtung zu nehmen, verschwinden The Notwist ganz im Dunkelblau der Bühnenbeleuchtung, was der Gesamtattitüde der Band entspricht. Verschwinden hier doch auch die Individuen hinter der Musik. Ein gelungener Auftritt, der mit zwei Zugaben versüßt wird und noch mal eindrucksvoll den Stellenwert für die deutsche Musiklandschaft unterstreicht.
Danach legt Adrian Sherwood eine Mischung aus Reggae, Dub und Ska auf und bildet eine Brücke zum Auftritt von The Pop Group. Das Angebot wird sehr zahlreich angenommen und der Parkettfußboden der ehrwürdigen Stadthalle wird schon auf die bevorstehenden Karnevalssitzungen eingeschworen. Im Clubkeller, der wie ein überdimensionierter Familienpartykeller aus den Siebzigern aussieht, geben anschließen Die Vögel den Abschluss des ersten Tages. Ihr elektronischer Sound – angereichert mit zahlreichen live eingespielten Blasinstrumenten von der Klarinette bis zur Trompete – wird trotz der späten Stunde begeisternd angenommen. Die spartanisch eingestreuten Textpassagen lassen die Sozialisation in Hamburg deutlich hervor scheinen. Ein Auftritt, der den ersten Abend würdig abrundet.
Leider lässt die Lohnarbeit erst einen späteren Besuch des Festivals zu. So beginnt er mit Billy Childish, dem englischen Maler und Musiker. Mit kompletter Familie angereist samt Kind und Kegel, betritt Childish mit seiner Frau und Schlagzeuger die Bühne. Das Outfit ist klassisch britisch mit breitem Bart und Sherlock Holmes Mütze gehalten. Die Musik deckt rund 40 Jahre Rock Roll Geschichte ab und er covert sich wild und roh durch sein knapp einstündiges Set. Mit ihrer reduzierten Instrumentierung schälen die drei den dreckigen Kern der Songs hervor und ernten damit teilweise euphorische Reaktionen seitens des Publikums. Auch von einem qualmenden Bassverstärker lässt sich Childish nicht aus der Ruhe bringen, sondern stimmt gut gelaunt einen A-Capella Song an. Großartig und rührend zugleich. Nach zwei Zugaben ist Schluss und nach längerer Umbaupause betritt Ariel Pink mit seiner bunt zusammen gewürfelten Truppe die Bühne. Im Vorfeld als heimlicher Höhepunkt gehandelt, enttäuscht der Amerikaner nicht. Der Schlagzeuger im giftgrünen Bikini und Cowboyhut ist alleine schon das Eintrittsgeld wert. Pink selber scheint anfangs nicht ganz zufrieden zu sein mit Sound und Umfeld, so rennt er im ersten Drittel regelmäßig zum Tonmann. Die Musik dagegen enttäuscht keineswegs. Zuvor als verquertes Genie angepriesen, präsentieren der Sänger und die Band einen wilden Mix aus Folk, Wave und Funk, der dem Zuhörer kaum zur Ruhe kommen lässt. Hat dieser sich an eine Melodie gewöhnt, wird sie zugleich von einem Bass Lauf weggerammt. Zwischendurch bekehrt ein Priester mit Rauchkerze alle auf der Bühne. Einziger Ordnungspunkt in der ersten Hälfte bildet die düster-wavige Mörderballade „Lipstick“. In der zweiten Hälfte des Sets wird es für Pinks Verhältnisse dann fast konventionell. Die Gitarre übernimmt zunehmend die Regie in den Songs und die Brüche nehmen ab. Er selbst scheint aber immer noch nicht wirklich angekommen zu sein. Immer wieder kramt er seine Vogelpfeife hervor, auf der er merkwürdige Töne produziert oder arbeitet sich an seinem Stimmeffektgerät ab. Trotzdem sind die Reaktionen im Publikum positiv. Die Band beeindruckt mit einer Präzision, mit der sie die Brüche und Stimmungswechsel mitgeht und diese zugleich durch die eigene Performance mit Leben füllt. Den Höhepunkt bildet der Schluss, an welchem ein rund 30-köpfiger Jugendchor den Meister in seinen Songs unterstützt und bei den letzten zwei bis drei Liedern für einige Gänsehautmomente sorgt.
Man muss sich schon ein wenig schütteln nach dem Auftritt Pinks. Zu vielschichtig, zu komplex waren die Songs und die Performance strukturiert, als das man sofort den nächsten musikalischen Input aufnehmen kann. Zum Glück bildet die in London lebende Schwedin Fatima mit ihrem relaxten Soul die ideale Brücke um wieder runter zu kommen. Mit ihrer dreiköpfigen Band spielt sie einen überraschend dichten Soul, dem man die klassischen Motown Vorbilder anhört, der aber trotzdem eigenständig und modern rüber kommt. Nach einer kurzen Aufwärmphase bringt sie die verbliebenden Zuschauer noch einmal ordentlich zum Schwingen. Im Partykeller, in dem man unweigerlich Ausschau nach dem Mettigel hält, beschreitet die No Name Group ebenfalls den Soulpfad und spielt einen tanzbaren Mix aus 1960er und 1970er Musik, der nochmal die letzten Kraftreserven mobilisiert. So ist das 5. Week-End Fest wieder eine ganze individuelle, tief entspannte und musikalisch höchst interessante Veranstaltung gewesen, die viel Lust auf das kommende Jahr macht.