Das diesjährige Haldern hat bereits vor seinem Beginn für verhältnismäßig viel Diskussionsstoff in den sozialen Netzwerken gesorgt. Einigen waren die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen ein Dorn im Auge, andere fanden die Kommunikation, was Zeitplan und Absagen anging, ausbaufähig und wieder andere zeigten sich mit dem Booking des 33. Haldern Pop Festivals nicht zufrieden. Die Veranstalter nehmen die Kritik wahr, sind sich aber durchaus darüber im Klaren, dass es sich meist um einige wenige handelt, die jedoch umso aktiver in den sozialen Netzwerken unterwegs sind. Die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen sind – bis auf einige wenige Ausnahmen – im Bereich der Einlasskontrollen kaum ins Auge gefallen, der Zeitplan kam für Planungswütige tatsächlich etwas spät und beim Booking ist es schwierig, es allen Recht zu machen – vor allem, wenn man als Haldern-Dauergast eigentlich weiß, dass die Veranstalter sich selten bis nie an irgendwelchen Hypes oder Zielgruppenwünschen orientieren.
Was in Erinnerung bleibt, ist ein wieder mal ein wundervolles Festival mit tollem Publikum, vielen schönen Momenten und der Gewissheit, dass Petrus – der alte Möchtegern-Spielverderber – es auch in diesem Jahr nicht geschafft hat, dem Publikum die Laune zu verhageln. Aber der Reihe nach….
Im Vorfeld schwankt die Wettervorhersage für das Festivalwochenende irgendwo zwischen Weltuntergang und Badesee. Am Ende wird es dann eine Mischung aus beidem, wobei der fast traditionelle Niederrheinische Landregen in diesem Jahr das Gelände und die Nerven der Besucher schon arg strapaziert. Ersteres erholt sich das gesamte Wochenende nicht von den Donnerstagsfluten, die Besucher lassen sich jedoch kaum aus der Ruhe bringen und sind augenscheinlich bestens auf den schlammigen Reitplatz eingestellt.
Die bayrische Brass Band Monobo Son hat am Donnerstag die etwas undankbare Aufgabe, die Hauptbühne im strömenden Regen zu eröffnen. Alles andere als gute Voraussetzungen, die die Band um La Brass Banda Posaunisten Manu Winbeck und Blasinstrument-Ikone Wolfi Schlick jedoch hervorragend meistert. Vom ersten Moment an haben die Bayern das nasse Publikum auf ihrer Seite. Zwar ist es nicht ganz leicht, die im tiefsten Dialekt vorgetragenen Ansagen von Winbeck zu verstehen, das schmälert die frühe Partystimmung auf Seiten des Publikums aber in keinster Weise. Höhepunkt des Auftritts ist der Festumzug einmal quer durch die Menge. Ein grandioser Start in den verregneten ersten Festivaltag.
In eine ganz andere Kerbe schlagen Heisskalt im Anschluss. Postcore mit deutschen Texten stellt eher eine Seltenheit auf der Hauptbühne beim Haldern dar. Doch die Jungs aus Schwaben haben nach ihrem letztjährigen Auftritt mit Festivalchef Stefan Reichmann einen prominenten Fürsprecher gewonnen, so dass sie in diesem Jahr wieder an selber Stelle auftreten dürfen. Sorgte die unbändige Energie der Band 2015 noch für viele offene Münder, ist die Überraschung in diesem Jahr einer gesteigerten Erwartungshaltung gewichen. Die Band erfüllt diese, wirkt aber im Vergleich zum Auftritt im letzten Jahr etwas zu routiniert.
Elias aus Dänemark zeigt im Anschluss im Spiegelzelt, dass die Vorschusslorbeeren für ihn durchaus berechtigt sind. Mit seiner tiefen, bewegenden Stimme und ganz in schwarz gekleidet, treibt es dem Zuhörer bei manchen Songs einen wohligen Schauer über den Rücken. Ein Künstler, von dem man noch hören wird.
Der krönende Abschluss bleibt am ersten Festivaltag Damien Rice aus Irland vorbehalten. Extra für ihn hat man bereits am Donnerstag die Hauptbühne geöffnet, da dieser – für Haldern Verhältnisse eigentlich schon zu große Künstler – schlechterdings auf der kleinen Biergartenbühne hätte auftreten können. Im Vorfeld konnte man gespannt sein, wie Rice es schaffen würde, mit den doch recht widrigen Voraussetzungen umzugehen. Dass der Reitplatz sich im Laufe des Konzertes von Rice immer mehr leert, ist dabei sicherlich nicht dem Auftritt, sondern vielmehr dem Regen und der Müdigkeit des Publikums geschuldet. Der Ire macht seine Sache nämlich wirklich gut. Er entscheidet sich viele seiner Songs rauer als auf Platte darzubieten. Dies gelingt ihm durch geschicktes Loopen und gelegentliche Ausbrüche, die das anwesende, müde Publikum aus der Nacht-Lethargie reißt. Trotz Müdigkeit und Kälte werden die, die geblieben sind, ihre Entscheidung nicht bereut haben, denn Damien Rice schafft es auch um zwei Uhr morgens noch, das Publikum in seinen Bann zu ziehen – und das bei diesen Bedingungen zu schaffen, spricht für einen Ausnahmekünstler wie ihn.
Der Freitag beginnt – zumindest von oben – deutlich trockener. Zwar gleicht das Gelände immer noch einer Moorlandschaft, da Gummistiefel in Haldern jedoch zur Grundausstattung gehören, kann dies dem Publikum nichts anhaben. Pünktlich zum Konzert der Gospel Postpunker Algiers kommt sogar gelegentlich die Sonne zum Vorschein. Algiers leben in der Hauptsache vom Auftritt und von der Stimme des Sängers Franklin James Fisher. Was dem Trio jedoch fehlt, sind die Songs, die in den Köpfen der Zuhörer verharren.
Im Anschluss zeigt Michael Kiwanuka dann wie es besser geht. In seiner Bühnenpräsenz zwar etwas zurückhaltender, sprechen die Songs für sich. Mit „Love & Hate“ hat er ein Album im Gepäck, welches von vielen bereits jetzt als Album des Jahres gehandelt wird. Die Band um Kiwanuka strahlt eine ungeheure Lässigkeit aus, die sich – je länger der Auftritt dauert – auch auf ihn selbst überträgt und die anfängliche Nervosität vergessen macht. Ein Auftritt voller Soul, perfekt für diesen ansatzweise sonnigen Freitagnachmittag.
Viele waren etwas überrascht, dass Glen Hansard am Freitag – im Vergleich zu Damien Rice am Abend zuvor – bereits recht früh auf die Bühne muss. Der Grund dafür ist jedoch ein ganz einfacher: Hansard höchst selbst hat um diesen frühen Slot gebeten, da ein Mitglied seiner Bläserfraktion bereits jenseits der 70 ist. Ein Wunsch, dem man von Veranstalterseite natürlich entspricht, was – wie sich noch herausstellen sollte – für die noch folgenden Künstler jedoch eine ziemliche Bürde darstellt. Wer Glen Hansard kennt, weiß um die fantastischen Live-Qualitäten des Iren. Diese stellt er direkt zum Beginn seines Sets auch auf dem Haldern Pop unter Beweis. Wer seinen Auftritt mit einem seiner stärksten und beliebtesten Songs beginnt, der hat entweder ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, eine schlechte Setlist oder die Gewissheit, derart viele herausragende Songs in petto zu haben, dass es ein Leichtes ist, die Spannung während des gesamten Auftritts aufrechtzuerhalten.
Bei Hansard ist es natürlich Letzteres und so entwickelt sich ein Konzert, von dem man in Haldern noch lange Jahre sprechen wird und das viele andere Gigs des Wochenendes ein wenig relativiert. Wie ruhige Songs in einem Ausbruch Hansards enden, wie unglaublich Sänger und Band aufeinander eingespielt sind, wie der Ire mit dem Publikum spielt – das sucht momentan seinesgleichen. Wann immer man als Zuschauer denkt, der Höhepunkt sei erreicht, setzt Hansard noch einen drauf. Beim Konzert auf dem Haldern ist der Höhepunkt der Gastauftritt von The Hothouse Flowers Sänger Liam ó Maonlaí, mit dem er eine herzzerreißende Version des Dylan-Klassikers „Forever Young“ spielt. Schaut man nach dem Konzert in die Gesichter der umstehenden Personen, sieht man eine Mischung aus ungläubiger Begeisterung und begeisterter Fassungslosigkeit ob des gerade Erlebten.
Nach Glen Hansard hat Loney Dear die äußerst undankbare Aufgabe, auf die Mainstage zu treten. Man hat den Eindruck die Band ist sich bewusst, dass es nahezu unmöglich ist die Spannung des vorherigen Konzerts aufrechtzuerhalten. Dabei ist es neben den Songs diese gewisse Spannung, die Loney Dear-Auftritte besonders machen können. Trotz Unterstützung durch den Cantus Domus Chor und das stargaze Orchester will der Funke nicht so recht auf das Publikum überspringen. Nicht dass die Schweden ein schlechtes Konzert spielen – es ist einfach das Setting, was den Jungs einen Strich durch die Rechnung macht.
St.Paul and the Broken Bones im Anschluss an Loney Dear haben es dann wieder etwas leichter, das Publikum auf ihre Seite zu bekommen. Zu mitreißend ist die Show der Band aus den Südstaaten. Schaut man nicht auf die Bühne, stellt man sich einen schwarzen Soulsänger irgendwo aus den Vororten Detroits vor. Umso überraschter ist man beim Anblick von Sänger Paul Janeway. Der gute Mann sieht eher aus wie Postbeamter aus den 80’er Jahren als ein Sänger mit dem Soul in der Stimme, der einem durch Mark und Bein geht. Komplett in rot gekleidet und mit einer großartig agierenden Band im Rücken, verwandeln die Amerikaner den alten Reitplatz noch ein letztes Mal an diesem Freitag in eine große Funk-und Soulparty. Der Band gefällt es – zumindest scheint es so – dass sie am liebsten gar nicht mehr von der Bühne gehen würde. Erst nachdem sich Janeway seiner Hose entledigt, entlässt die Band das Publikum in die laue Spätsommernacht.
Wer jetzt noch nicht genug Musik gehört hat, macht einen letzten Abstecher ins Spiegelzelt. Die nicht vorhandene Schlange lässt befürchten , dass nicht mehr allzu viele Lust auf die koreanischen Postrocker Jambinai haben. Einmal das Innere betreten, erweist sich diese Annahme als Trugschluss. Das Zelt ist für die nachtschlafende Zeit sehr gut gefüllt und diejenigen, die das Konzert von Jambinai der Isomatte vorziehen, sollen dies nicht bereuen. Die Band kreiert durch den Einsatz traditioneller koreanischer Instrumente und brachialer Gitarrenwände eine perfekte Atmosphäre im dunklen Spiegelzelt. Einzig die Gitarrenwände könnten öfter eingestreut werden. Dem Publikum gefällt’s und so müssen die sichtlich gerührten Koreaner die späteste Zugabe des Festivals spielen.
Nachdem die Strypes 2014 in Begleitung ihrer Eltern das Spiegelzelt abgerissen haben, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Rotzlöffel aus Irland wieder auf dem Haldern Pop Festival spielen würden. Diesmal auf der Hauptbühne und nicht mehr in Begleitung der Erziehungsberechtigten, beweisen sie, dass sie “Abriss” auch draußen können. Es ist bemerkenswert, wie die vier Jungspunde es in kürzester Zeit schaffen, mit ihrer unbändigen Energie das Publikum auf ihre Seite zu bringen. Bei aller Coolness-Attitüde sieht man der Band an, dass sie selbst glücklich ist, wie das Publikum reagiert und so steigert sich die Begeisterung auf beiden Seiten von Song zu Song. Klar wird bei diesem Auftritt, dass das Publikum sehnsüchtig auf härtere Gitarrenklänge auf der Hauptbühne gewartet zu haben scheint.
Thees Uhlmann spielt am Samstagabend einen seiner wenigen Auftritte in diesem Jahr. Hauptsächlich war er mit seinem Bestseller Roman „Sophia, der Tod und ich“ auf Lesereise anzutreffen. Die lange Bühnenabstinenz merkt man Uhlmann an. Die Band wirkt nicht so eingespielt wie sonst und der Frontmann anfangs recht nervös. Im Laufe der Show legt sich die Nervosität etwas und dank der Unterstützung der „Horny Horns“ aus Haldern schafft Uhlmann es abschließend, den Reitplatz zum Tanzen zu bringen. Nicht die beste Show, die man vom Tomte-Sänger gesehen hat – aber wem, wenn nicht Thees, würde man das verzeihen.
Die Dramaturgie des 33. Haldern Pop Festival war in diesem Jahr von Petrus geprägt. Hat er sich das Sauwetter in den letzten Jahren für das Ende des Festivals aufgehoben, setzt er in diesem Jahr das Gelände bereits am Donnerstag unter Wasser. Dies tut der guten Stimmung jedoch keinen Abbruch. Musikalisch vielfältig wie eh und je gab es wieder viel Neues zu entdecken, wobei die Taktung der Konzerte im Dorf und auf dem alten Reitplatz jedoch so eng war, dass einiges aufgrund des Pendelverkehrs zwischen den Spielorten sprichwörtlich auf der Strecke blieb. Ein etwas entzerrterer Spielplan im nächsten Jahr wäre wünschenswert – oder man denkt über den ersten Klappfahrradverleih auf einem Festival nach.