Goodbye Fairground – I Don’t Belong Here Anymore
Eine Plattenkritik zu Goodbye Fairground ohne The Gaslight Anthem oder Against Me zu erwähnen – ist das möglich? Die Antwort ist schnell gegeben und lautet: Nein.
Warum auch sollte es verboten sein, an der ein oder anderen Stelle Vergleiche oder Parallelen zu den beiden Bands zu ziehen, gehören TGA zumindest mit den hervorragenden ersten 2,5 Alben – ähnlich wie Against Me – zu den Vorreitern des Raue-Stimme-Holzfällerhemd-Punkrock. Außerdem muss es nicht immer innovativ zugehen. Viel wichtiger ist es, dass die Musik einen in irgendeiner möglichst positiven Form berührt. Das schaffen Goodbye Fairground mit ihrem zweiten Album I DON’T BELONG HERE ANYMORE über weite Strecken. Klar hat man das ähnlich schon zigmal gehört, die Band aus Köln/Münster/Düsseldorf aber als Klon ihrer amerikanischen Kollegen hinzustellen greift zu kurz. Wo The Gaslight Anthem nämlich aufgehört haben, mitreißenden Punkrock zu spielen, setzen Goodbye Fairground an: raue, hymnische Songs, welche die ein oder andere Überraschung und Wendung in petto haben. Wo sich manch andere Band nach dem Verlust von drei Bandmitgliedern aufgelöst hätte, besinnen sich hier die übrigen drei auf ihre Stärken. Dynamischer Punkrock, angetrieben von der erstklassigen Rhythmus-Fraktion der Münsteraner Kollegen Idle Class, einer Stimme wie sie Chuck Ragan nicht rauer und Frank Carter nicht fordernder hinbekommen würden und vor allem ausgesprochen gutem Songwriting. Bleibt zu hoffen, dass Goodbye Fairground mit I DON’T BELONG HERE ANYMORE die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Denn frischer und mitreißender hat Punkrock in diesem Jahr weder in hiesigen Gefilden noch über ‘m großen Teich geklungen.
VÖ: 21.10.2016, This Charming Man Records, http://www.goodbyefairground.com/
Ohr d’Oeuvre:I Don’t Belong Here Anymore/ Leaving The Green House/ Macguffin
Gesamteindruck: 8,0/10
Tracklist: The Egyptian Plover/ Wilhelm II/ Leaving The Green House/ Victims Of The Third World War/ Don’t Waste Your Time On Me/ Rational Dreams/ Rocinante/ I Don’t Belong Here Anymore/ Macguffin/ Death Of A Contortionist/ Fruit Flies (at)
Größenwahn oder neue künstlerische Ausrichtung? Mit JUPITER sieht sich Blaudzun erst am Anfang einer Serie von Alben und hat seinen eigenen Worten nach den „sexy“Anfang gemacht. Der Höhepunkt wird hoffentlich noch folgen.
Blaudzun wandelt auf seinem fünftem Studioalbum zwischen der Opulenz von Divine Comedy und der Dramatik von Arcade Fire oder Balthazar, schlägt eine Brücke von SUBURBS zu RATS. Das Album hat er erstmals nicht zu zweit, sondern mit kompletter Band eingespielt, was sicherlich zu der dynamischeren Grundausrichtung beigetragen hat. Durchgehende Bass- und Pianolinien bilden das Fundament der Songs, über die sich die Melodienlinien und der recht spröde Gesang Blaudzuns legen. Er selber sieht JUPITER als Auftakt zu einem Tryptichon an Alben. Der Künstler hofft durch die langfristige Planung den Arbeitsfluss, die Dynamik beizubehalten und den ewigen Kreislauf von Veröffentlichung und Tour, dann wieder Studioaufnahme, zu durchbrechen. Er nennt dabei JUPITER den „sexy Part“ – dieser Dreifaltigkeit. Dynamisch ist das Album, aber nicht unbedingt „sexy“, vielmehr wirken die Songs merkwürdig gehemmt. Blaudzun verbleibt auf einem Dynamik-, auf einem Energielevel. Die Songs kommen ohne große Emotionsausbrüche daher. Sein Gesang ist zwar irgendwie fordernd, aber er löst dies nie ein. Einzige Ausnahme vielleicht der mit Bläsern und Glockenspiel komponierte Titeltrack oder das zurückgelehnte „Out of mind (Hand it over)“. So fließt das Album ein wenig an einem vorbei und man wartet, dass endlich der Knalleffekt kommt. Vielleicht kommt dieser auf den kommenden Teilen. JUPITER wirkt erst mal nur wie der Prolog und da ist man manchmal froh, wenn die Haupthandlung endlich beginnt.
VÖ: 14.Oktober 2016, Glitterhouse (Indigo), http://www.blaudzun.com/
Ohr d’Oeuvre: Jupiter/ Out of Mind (Hand it over)/ Alarmalarma
Gesamteindruck: 6,0/10
Tracklist: Everthing stops/ Between a kiss and a sorry Goodbye/ Jupiter/ Out of Mind (Hand it over)/ Alarmalarma/ Here’s to now/ Echo Heartache/ Don`t waste the shadow/ Rotterdam (pd)
Trotz aller Melancholie hat John K. Samson auch immer etwas versöhnliches, etwas vertrautes, etwas heimeliges in seinen Liedern. Auch auf WINTER WHEAT stellt sich dieses wohlige freundschaftliche Gefühl sofort ein, wenn Samson zu singen beginnt.
Nach seinem ersten Soloalbum PROVINCIAL im Jahr 2012 ist John K. Samson am 21. Oktober endlich zurück mit dem Nachfolger WINTER WHEAT. Er schafft es wieder mal, mit seiner ihm eigenen Art Geschichten aus dem täglichen Leben und Scheitern, wie in Postdoc Blues, mit sentimentaler Hoffnung zu verknüpfen und einen am Ende doch irgendwie glücklich zurückzulassen. WINTER WHEAT kommt nicht ganz so ruhig daher wie der Vorgänger, was wohl auch daran liegt das die Platte mit Hilfe seiner ehemaligen Weakerthans Bandkollegen Jason Taut (Drums), Greg Smith (Bass) und mit Johns Frau Christine Fellows während des letzten Winters in Garagen und Wohnungen von Freunden und Bekannten eingespielt wurde. Was sollte man auch besseres in einem langen, kanadischen Winter machen, als ein so großartiges Album aufzunehmen. Es ist durch und durch ein Samson Album, ein weiterer Schritt eines Musikers, der seinen Zenit wohl noch lange nicht erreicht hat. Neben den mitwirkenden, ehemaligen Bandkollegen findet auch „Virtute“ die Katze, vor allem bekannt aus dem Weakerthans Song Plea from a Cat named Virtute post mortem ihren Weg zurück. Im Song Virtute at Rest setzt Samson ihr eine weiteres kleines Denkmal. Mit WINTER WHEAT hat John Kristjan Samson die Saat gesetzt und versüsst uns den nahenden Winter mit wunderschönen kurzweiligen, musikalischen Eindrücken eines scharf beobachtenden Songschreibers. Winter Weizen erntet man übrigens im Hochsommer des folgenden Jahres, bis dahin wächst und reift er, vielleicht doch noch zur 10/10.
VÖ: 21.Otkober 2016, ANTI/ Indigo, http://johnksamson.com
Ohr d’Oeuvre: Postdoc Blues/ 17th Street Treatment/ Fellow Traveler/ Vampire Alberta Blues
Gesamteindruck: 8,99/10
Tracklist: Select All Delete/ Postdoc Blues/ Winter Wheat/ Requests/ Oldest Oak At Brookside/ Capital/ 17th Street Treatment Centre/ Vampire Alberta Blues/ Carrie Ends The Call/ Fellow Traveler/ Quiz Night At Looky Lou’s/ Alpha Adept/ Prayer For Ruby Elm/ VPW 13 Blues/ Virtute At Rest (gb)
The Notwist – Superheroes, Ghostvillians & Stuff
Die Veröffentlichung eines Live-Albums ist ja immer so eine Sache. Mal sind sie brillant, mal gut anzuhören, aber oftmals sind sie vollends überflüssig. Die Konzertatmosphäre in die heimischen Wohnzimmer zu transferieren, gehört aber auch nicht zu den vergnügungssteuerpflichtigen ToDo´s einer Band. Daher war eine gewisse Skepsis vorhanden, als die Weinheimer Helden von The Notwist ihr erstes Live-Album ankündigen.
Die Zweifel sind berechtigt, ob die Dynamik und die Atmosphäre eines Notwist-Konzerts auf einem Medium festgehalten werden kann. Die Live-Shows dieser Band werden auch immer von den Bildern im Kopf die sie zeichnen, den Installationen und den Moves von Konsole, die bei jedem Grönemeyer-Tanz-Contest Chancen auf vordere Plätze hätten, mitbestimmt. Zu Beginn des mitgeschnittenen Auftritts scheint es so zu sein, dass Notwist zwar ihrem musikalischen Anspruch gerecht werden, aber der Funke nicht so recht zum Hörer vor der Box überspringen möchte. Nach solidem, gutem Beginn scheint aber die harte Schale der kritischen Gehörmuschel im weiteren Verlauf geknackt zu werden. Nachdem „Kong“ zur beginnenden Schmelze gereicht, sprengt der Klassiker „Pick up the phone“ den Eisberg und lässt ihn zu einem seichten See dahin schmelzen. Auf dem Album SUPERHEROES, GHOSTVILLIANS & STUFF haben sie ein großartiges Konzert – hervorragend arrangiert, exzellent eingespielt und dynamisch vorgetragen – für die Nachwelt ungefiltert festgehalten. Es macht großen Spaß das Album zu hören und die Begeisterung, die sich beim Publikum auf dem mitgeschnittenen Konzert breit macht, verspürt auch die Person, die nur das Ergebnis als Tonträger konsumiert. Die Band macht indirekt Werbung für den Besuch einer ihrer raren Auftritte. Highlights des Albums sind „One dark love poem“, „Run, Run, Run“ wie auch „Pilot“ und es stellt uneingeschränkt eine Bereicherung des Live-Alben-Fachs im heimischen Plattenregal dar.
VÖ: 14.Oktober 2016, Alien Transistor, https://www.notwist.com
Ohr d’Oeuvre: One dark love poem/ Run, Run, Run/ Pilot/
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: They follow me/ Close To The Glass/ Kong/ Into Another Tune/ Pick up the phone/ One With The Freaks/ This Room/ One Dark Love Poem/ Trashing Days/ Gloomy Planets/ Run Run Run/ Gravity/ Neon Golden/ Pilot/Consequence/ Gone Gone Gone (df)