Diese Woche hatte das jmc Team keine Lust vor der heimischen Stereoanlage zu sitzen und Scrabble mit den schönsten Textbausteinen der Popmusikpresse zu spielen, sondern wollte vor die Tür kommen. Herbstdepression kann uns mal, gerade in einer Stadt wie Erftstadt! Ist man von hier aus doch schnell in Köln.
Messer – 2.11.2016, Köln Gebäude 9
Die Bummelbahn setzt uns in Deutz ab und mies gelaunt aufgrund des Wetters geht es ins Gebäude 9. Dazu kommt das leichte Unwohlsein wegen der letzten Veröffentlichung JALOUSIE von Messer. Sind da nicht zuviel Melodien, nicht zuviel Synthies, zu viel Fim Noir, um das neue Werk ohne Energieverlust auf die Bühne bringen zu können? Erstmal raubt der Voract Television ein wenig die Geduld. Im Fahrwasser von ähnlich künstlerisch veranlagten Acts wie Jenny Hval, steht dort die Künstlerin in Overall und mit undefinierbarer Frisur und singt unbestimmte Sachen über einen unbestimmten Elektromix ins Mikrofon. Irgendwie interessant, aber irgendwie am Punkt vorbei. Messer betreten die hell erleuchtete Bühne, die auch in den kommenden rund 75 Minuten nicht groß dunkler wird. Dies passt eigentlich gar nicht zu dem düsteren Post – Punk Sound und den Noir Geschichten, unterstreicht aber wunderbar die sympathisch – offene Seite der Band. Ja, die Texte sind teilweise erdrückend, fordern eine Menge Aufmerksamkeit, um Sänger Otremba durch die dunklen Abgründe der Seele zu folgen. Dagegen steht aber immer wieder die sympathisch, offene Unsicherheit des Sängers, wie er sich tausend mal beim Publikum für das Erscheinen bedankt. Die Geschichte wie er Gitarristen Milek beim Swans Konzert im Gebäude kennen gelernt hat, die Interaktion mit Bassist Pogo. Man hat in jedem Song ein wenig das Gefühl, dass der Sänger einen Kampf austrägt diesen darzubieten, während die doppelte Schlagzeugfraktion und die tiefen Basslinien ihn unaufhörlich vor sich hertreiben. Leider geht die feine Gitarrenarbeit im Soundgewitter ein wenig unter. Aber es macht keinen Unterschied. Die Wucht, die der Sound entwickelt, reißt den Zuhörer in den Bann. Überraschenderweise sind die feingliedrig arrangierten Stücke vom neuen Album wie „Hölle“ oder „Der Mann, der zweimal lebte“ Höhepunkte des Konzertes, auch wenn die Zugabe „Mutmaßungen über Hendrik“ den Besucher verstört und glücklich zurückläßt. Mal wieder ziemlich geirrt! Wie sympathisch die Bandmitglieder sind, zeigt sich auch draußen, wo im Alkoholpegel zuviel Komplimente verteilt werden und alles im schüchternen Kichern untergeht.
FCKR, SHUTCOMBO – 5.11.2016, Köln Limes
Samstagabend geht es ins Limes, den wohl charmantesten Laden im rechtsrheinischen, mit der gefühlt größten Theke der Stadt. Nachdem uns Mutter einen warmen Schal mitgegeben hat für die Zugfahrt, treten wir ein. Ohne Wissen was einen erwartet, fließt schon der Begüßungsschnaps und auffällig gut gelaunt sind sowohl die Kassenwarte und als auch das Thekenpersonal. 45 Minuten später weiß man auch warum. „Dummheit, Dummheit, es liegt auf der Hand, Dummheit heißt Deutschland!“ – mit solchen Parolen fährt fast jedes Lied von FCKR auf, wofür man eigentlich die literarische, rote Karte zücken sollte. Das Auftreten des Trios aus Leipzig ist eine fortlaufende Provokation, der man sich trotz des textlichen Holzhammers nicht entziehen kann. Der Elektro Lo Fi – Sound zwischen Fehlfarben und DAF passt überhaupt nicht in die Zeit. Dazu steht der Sänger im Fahrradhelm hinter einem Podest, von dem er seine Texte zwischen Ironie, Propaganda und Stoik ins Publikum posaunt. Eigentlich möchte man meinen „Clownscombo“, aber zu tanzbar, zu sehr gehen Synthies und der Bass in die Beine, zu charmant kantig sind die Ansagen. Und irgendwie erinnern sie ja an Lieblinge wie Knochenfabrik, haben zu viel hintergründigen Humor, zu viel ehrliche Wut in den Texten, um sie nicht zu mögen. Kurz, man kann sich der Band irgendwie nicht entziehen und so fliegen in den ersten Reihe auch die bunt gefärbten Haare, zu der Parallwelt, die das Trio aus Sachsen mit seinem Auftritt schafft. Danach holen Shutcombo mit ihrem energiegeladen, teils hardcorelastigen Deutschpunk die Zuschauer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Teilweise an die frühen Turbostaat erinnernd, schaffen sie es durch ihren ganz eigenen Charme, der immer wieder Bezug auf den Provinzhintergund nimmt, die Leute für sich einzunehmen. Leider fallen die Texte dem Sound zum Opfer, aber nichts desto trotz stehen am Ende rund 40 schweißtreibende Minuten, die einen mit gutem Gefühl in die Nacht entlassen.
Blaudzun – 7.11.2016, Köln Gebäude 9
Der Zug aus Erftstadt hatte mächtig Verspätung, deshalb hurtig ins Gebäude. Die Vorderfront des Gebäudes versperrt ein überdimensionierter Tourbus, dem mindestens gleich Bon Jovi entsteigen müssen. Die Hairsprayikonen stehen dann doch nicht auf der Bühne, aber die Verschüchterung bleibt beim Betreten des zur Überraschung nur gut halb gefüllten Konzertsaales bestehen. Die nächsten knapp 120 Minuten zeigen aber auch warum der Bus solche Ausmaße hat. Galt Blaudzun früher vielleicht als Singer-Songwriter, hat er jetzt eine sechsköpfige Band dabei, die den Breitwandsound des aktuellen Albums JUPITER wunderbar reproduziert und alte Songs wie „You took the wheel“ oder „Heavy Flower“ in neuem Gewand erstrahlen läßt. Der Protagonist selber geht an dem Abend als Harald Glöckler Wiedergänger durch. Ein ansprechender Abend, der vom Sound sehr an Arcade Fire erinnert und nochmal in Erinnerung ruft, dass Belgien mit Acts wie Deus oder Balthazar als Hauptland des Breitwand- und Dramarocks in Europa zu zählen ist. Wunderbar charmant ist das Auftreten der Band, die nach einer kurzen Eingewöhnungsphase mit drei neuen Songs immer tiefer in der Performance versinkt und in jedem Song alles zu geben scheint. Besonders auffallend die immer wieder eingestreuten Bläser- und Saxophonparts, die den Songs eine ganz eigene Dynamik und Farbe verleihen. Der Meister selber überzeugt durch seinen Witz und Charme, in dem er immer wieder spontan Liedzeilen auf das Publikum umdichtet und wohl die skurrilste Szene der Livegeschichte entstehen lässt und übersteht. Er bittet einen „Director“ von Köln mitten im Song nach oben, da der Besucher wohl schon die ganze Zeit mit seinem Smartphone den Auftritt filmt. Blaudzun stellt fest, dass es sich wohl nur um Aufnahmen für den Privatgebrauch handeln kann, da die Songs ja schon alle auf Youtube stehen. Der Typ bleibt unempfänglich für die Ironie und filmt das ganze Lied. Man kann sich nur fremdschämen. Zwei Stunden, drei Zugaben, dann endet der umjubelte Auftritt einer großartigen Liveband. Auch wenn man sagen muss, dass die neuen Songs live besser rüber kommen als auf Platte, verströmen sie längst nicht soviel Seele wie die alten.
Pettersson, Auszenseiter und Hausmeister, 9.11.2016 Köln AZ
Heute kann man ganz gemütlich mit der Straßenbahn die Luxemburger hinunter rollen. Das Autonome Zentrum in Köln ist mittlerweile kein Geheimtipp mehr. Hat es in der Vergangenheit doch schon Bands wie Love A, Koeter und vielen anderen eine Bühne bereitet. Am heutigen, recht frostigen Abend, stehen Pettersson und Hausmeister aus Wien und Graz auf dem Programm. Ein Emo/Screamo/Postcore Abend der richtig guten Sorte wie sich herausstellen soll. Aber: es ist arschkalt, draussen wie drinnen. Das hindert die erste Band, Pettersson nicht daran zu Teilen in T-Shirt und kurzer Hose vors Publikum zu treten. Kurz darauf weiß man auch warum. Recht unmittelbar rammen sie einem ihre geballte Energie in die Gehörgänge. Der Bass ist heute so laut abgemischt, dass er zusammen mit dem Schlagzeug von unten, dumpf wärmt, während einem die obere Körperhälfte vom mehrstimmigen „Ge-Sang-Schrei“ und dem sehr flüssigen Spiel des Gitarristen massiert wird. Pettersson haben gerade ihr erstes Album RIFT AND SEAM via i.corrupt records in Deutschland rausgebracht. Eine echte Empfehlung für Fans des Genres. Die ungestümere Variante von Fjørt.
Pettersson: https://pettersson.bandcamp.com/releases
Hausmeister kamen, sahen und hörten leider schnell wieder auf und das schon nach gefühlten drei Stücken. Zum einen, wohl weil die Gitarrensaiten mehrmals der Umgebungskälte und dem hitzigen Spiel nicht standhalten wollten, aber auch weil die Songdichte der Band nicht ganz so hoch ist. Was vorgetragen wurde, hatte aber neben Hand und Fuß auch Druck. Wesentlich straighter, klassisch punkig, als bei Pettersson waren die Stücke gestrickt. Man nimmt den Dreien aber nicht ganz ab, dass der Drummer erst zur Tour eingestiegen ist. Er prügelte unaufhörlich im Unterhemd auf sein Kit ein und ließ keine, aber auch gar keine Atempause.
Hausmeister: https://retsiemsuah.bandcamp.com/Releases
Den Abend beenden Auszenseiter aus Ostwestfalen. Die Band ist zum Ende der Show die richtige Mischung aus den besten Zutaten des Abends. Sie kombinierte die Wucht Pettersons mit der Direktheit von Hausmeister. Epizentrum sind hier auch ganz klar Bass und Schlagzeug, die den Bauchinhalt zum Blubbern bringen. Vor allem der Gesang des Bassers bleibt nachhaltig in Erinnerung. Leider war der Shouter kaum zu hören. Trotz allem fahren die fünf ein wuchtiges HC – Brett auf, was trotz der Kälte nochmal alle Lebengeister in aufwachen lässt. Ein sehr guter Abend in einem sehr guten Laden. Danach Badewanne. Warmes Bier und Bett.
Helgen – 9.11.2016, Stero Wonderland
Der Weg nach Erftstadt zurück lohnt, also bleiben wir direkt auf der Luxemburger. Das Stereo ist schon Kölns beste Kneipe, die all wöchentlich durch Chaos und Trara besticht. Helgen sind da eher das Gegenteil. Die Drei füllen den Laden an diesem Abend mit diesem ganz eigenen, nordischen Charme, der immer zwischen Ironie und höflicher Zurückhaltung pendelt. Der Sänger sieht so aus wie der jugendliche Widergänger von Francesco Wilking. Und auch der Tonfall, mit denen er die deutschen Texte, die zwischen Direktheit und verschachtelten Denkaufgaben pendeln, erinnern an den Frontmann der höchste Eisenbahn. Der Sound erfüllt einen im ersten Moment mit dieser wohligen Melancholie, den früher Bands wie Janka verströmten. Trotzdem können die drei auch recht direkte Rockschinken spielen, die aber den ruhigeren, an einigen Stellen fast Dylanhaften Songs etwas nachstehen. Zum Glück merkt man den Dreien, den nach eigener Aussage erhöhten Alkoholkonsum des Vorabends in Mainz nicht an. Helgen sollte man sich auf den Zettel schreiben, sofern man auf charmante deutschsprachige Musik steht, die ein wenig zwischen Pro Seminar und der verkalkten Duschwand pendelt.