Ist das noch Postrock? Das fragt man sich unweigerlich, wenn man HIBERNATION, das neue Album von Immanu El, hört. Die Frage ist relativ einfach und schnell zu beantworten, denn es ist komplett egal, in welche Musiksparte man das Album für sich kategorisieren will: Dieses Album ist einfach unheimlich schön und zurückgelehnt.
Klar, kommt man um Vergleiche mit Explosions in the Sky oder Ef nicht herum, Immanu El schaffen es jedoch, ihre völlig eigenen Klangwelten zu erschaffen. Hatte man beim letzten Album von Explosions in the Sky den Eindruck, das amerikanische Postrock Flaggschiff lote den Pfad des Pops immer weiter aus, sind die fünf Schweden auf HIBERNATION einen ganzen Schritt weiter. Sie loten nicht aus, sie nutzen poppige Elemente und beweisen damit einen Facettenreichtum, der beeindruckt. Sie schrecken nicht vor dem Einsatz des Drumcomputers zurück, nutzen flächige Ambientsounds, um den Songs Tiefe zu verleihen und runden das Ganze durch die glasklare Kopfstimme von Sänger Claes Strängberg ab. Nervt diese oftmals aufgrund ihres momentan inflationären Einsatzes, gerade bei Singer-/Songwritern, passt sie im Kontext der sich schichtweise aufbauenden Klangwelten von Immanu El perfekt. Die Band schafft es vom ersten Song „Voices“ an eine Faszination aufzubauen, die den Hörer während der gesamten Spiellänge nicht mehr loslässt. Klar, werden Fans der ersten Stunde bemängeln, dass HIBERNATION der „Bumms“ und die Brachialität der Vorgänger fehlt. Lässt man sich jedoch unvoreingenommen auf das Album ein, gewinnt man einen treuen Freund für lange, vorweihnachtliche Abende bei Rotwein und Kaminfeuer.
VÖ: 25.November 2016, Glitterhouse, Indigo, http://www.immanu-el.com/
Ohr d’Oeuvre: Voices/ Hours/ Empty hands
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Voices/ Winter solstice/ Mt/ Omega/ Dvala/ Hours/ Completorium/ Empty hands
(at)
Peter Doherty – Hamburg Demonstrations
In einer Verschnaufpause zwischen den Eskapaden der Vergangenheit und der aufziehenden Libertines Wiedervereinigung, erblickten die Songs der HAMBURG DEMONSTRATIONS das Licht der Welt. Pete Doherty gönnt sich einen wehmütigen Blick, vor allem auf die eigene Innenwelt.
Entstanden sind die HAMBURG DEMONSTRATIONS vor der Reunion der Libertines im letzten Jahr, als Doherty sich eine Zeitlang in Hamburg niedergelassen hatte. Die Platte gehört glücklicherweise zu den Werken des begnadeten, aber ziemlich schlampigen Songwritergenies, die über das skizzenhafte hinaus geht und in sich stimmige, durchkomponierte Lieder präsentiert. Eingespielt mit verschiedenen, deutschen Musikern, pendeln die Songs zwischen patinabeladenen Folksongs („She is far“), lässig dahin geworfenen, urbritischen Indieperlen („I don’t love anyone but you are not just anyone“, „Kolly Kiber“), Countrysongs, bis zum Clash – haften „Hell to pay at the gates of Heaven“. Der Song, der auf das Massaker im Pariser Bataclan Klub Bezug nimmt, bleibt Dohertys einziger Blick auf die Außenwelt. Ansonsten präsentiert er sich als der ewige Weltenwanderer und Dandy: Belesen, poetisch, romantisch und ziemlich nachdenklich. Er reflektiert über schlaflose Nächte, Romanfiguren längst vergangener Epochen und die eigene Wehmut. Eine Fin de Siecle Stimmung, wie man sie von Doherty schon länger kennt. Ein reflektiertes, nachdenkliches, dunkles Album. Leider schlägt diese reflektierte Stimmung auch auf die Songs durch, die meist gefällig daher laufen und nicht weh tun. Aber die Ausbrüche, die Momente die hängen bleiben, sind leider selten, wie der Refrain von „I don’t love anyone but you are not just anyone“ oder der Röhrengesang von Duettpartnerin Suzie Martins in „Birdcage“. So bleiben viele Songs Versprechen, die nicht eingelöst werden. Das ist schade, da man in den hellen, lichten Momenten merkt, dass Doherty lässig Melodien aus dem Arm schüttelt, die anderen Musikern im Leben nicht einfallen würden.
VÖ: 2.Dezember 2016, Clouds Hill, http://albionrooms.com/
Ohr d’Oeuvre: I don’t love anyone but you are not just anyone/ Kolly Kiber/ Down for the outing
Gesamteindruck: 6,0/10
Tracklist: Kolly Kibber / Down for the Outing/ Birdcage/ Hell to pay at the gates of heaven/ Flags from the old Regime/ I don’t love anyone but you are not just anyone V2/ A spy in the house of love/ Oily Boker/ I don’t love anyone but you are not just anyone/ The whole world is our playground/ She is far
(pd)
Der Ringer und Isolation Berlin – Ich gehör nur mir allein
Aufziehende sorgen sich um den geeigneten Umgang für ihre Sprösslinge. Nichts anderes tut das Label Staatsakt, das seine beiden jungen Bands Der Ringer und Isolation Berlin im Frühjahr auf gemeinsame Konzertreise schickte. Der zusammengeführte Nachwuchs vertrug sich und fand im Anderen sogar einen Spielfreund für den weiteren gemeinsamen Zeitvertreib.
Entstanden ist daraus ICH GEHÖR NUR MIR ALLEIN, eine EP, bei der es sich weder um eine Split-Veröffentlichung, noch um gegenseitige Coverstücke handelt, sondern um eine wahrhaftige Symbiose beider Bands. Und die ist durchaus als gelungen zu bezeichnen! Die Ruppigkeit und Melancholie von Isolation Berlin pusht den glatten Synthiesound von Der Ringer ordentlich nach vorne, während diese umgekehrt die von ihrem EP-Debut GLÜCKLICH bekannte, kühle Entspanntheit in die Songs einbringen und für neue Größe und Weite in der Enge der Isolation sorgen.
Das eröffnende „Ich bin so unendlich schön“ mit seinem chansonhaften Grundgerüst und seiner behaupteten, selbstverliebten Distanziertheit könnte bei etwas mehr Produktion und Ausarbeitung auch auf einer Pulp-Platte zu finden sein. Beim zweiten Stück „Wolke/Rekall“ klingt bereits der Name eindeutig nach Der Ringer und tatsächlich findet sich hier alles was das Synthie-Herz begehrt, inklusive Auto-Tune und Jean-Michel-Jarre-Keyboards. In der Mitte der EP folgt das interessanteste, weil mit den Wiedererkennungsmomenten beider Bands versehene Stück. „Ein Traum“ beginnt luftig elektronisch, wird dann aber deutlich krawalliger und treibt den Schwermut ordentlich vor sich her. Die beiden weiteren Stücke kommen über den Status von Ergänzungen nicht hinaus. Eine Gesprächsfetzencollage über Clubnacht und Fitnessstudio ist benannt nach der Berliner Partystraßenbahn „M10“, womit der Gehalt auch recht gut umrissen ist. Den Abschluss bildet das drollige „My friends don´t like me“, ein flottes Indiepop-Gitarrenliedchen, das musikalisch wirklich nichts Neues bietet, dessen Text aber sowohl als Gegenpol zum Eingangsstück als auch vor dem Hintergrund der kollektivartigen Entstehungsweise angenehm erheitert.
Für beide Bands wäre es eine Bereicherung, die hier ausgetauschten Anregungen mit auf das nächste reguläre Album zu nehmen.
VÖ: 18.November 2016, Staatsakt, https://www.facebook.com/derringermusik/ und https://www.facebook.com/ISLTN.BRLN
Ohr d’Oeuvre: Ein Traum/ Ich bin so unendlich schön/ Wolke/ Rekall
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: Ich bin so unendlich schön/ Wolke/ Rekall/ Ein Traum/ M10/ My friends don´t like me
(tj)
Mondo Fumatore – The Yeah, The Yeah And The Yeah
Mondomarc für Gwendolin aus den Nineties, bitte in die Alternative Indieabteilung. So könnte es aus den krächzenden Lautsprechern schallen, wenn sich Mondo Fumatore – „Welten Rauchend“ – durch das musikalische Kaufhaus der letzten 20 Jahre bewegen.
Acht Jahre nach THE HAND bringen die Berliner Alternativler Mondo Fumatore dieser Tage ihr viertes Studioalbum THE YEAH, THE YEAH AND THE YEAH in die Plattenläden. Schon mit dem ersten Titel „Killing Machine“ sägen, schrauben und wummern die Drei direkt aus der Werkzeugabteilung eine Mischung aus ElektroBluesRock in die Rille. „White Devil“, grooved fuzzig und unbeschwert die Rolltreppen zwischen den Jahren rauf und runter, derweil „Apple Tree Theory“ sehr melodiös durch die Gemischtwaren führt. „Save The Witch“ kommt lautstark und in bester BRMC/Peter Hayes-Manier aus den Kaufhauslautsprechern gedröhnt und wer jetzt noch nicht tanzend durch den Laden wackelt, wird von den Mondos mittels „8-Bit Love“ direkt in die Retro-Vintage Etage gehibbelt. Was für ein Bummel! „If You Tell me“ täuscht dann den Elektrogerätegang an springt aber in hohem Bogen über den Weihnachstgeschenkehaufen ins Bällebad. Und auf die Frage „Where are we going“ antworten Gwen und Mondomarc im Duett aus dem Spirituosenlager: We have been In and Out. „Under My Silver Pine“ hält am Süßwarenregal inne, wo Frontfrau und Frontmann ein weiteres, süß-saures, zeitloses Duett zwischen die Lollies und Gummibärchen blättern, bevor die Partygesellschaft gemeinsam „St Mary“ rockt und singend gen Souveniershop zieht. „Just Like Breakwater“ katapultiert mit Anleihen von The Cure in die Feinkostabteilung. Der letzte Song „The List“ führt dann endlich ans Plattenregal, das gespickt ist mit fiktiven Songtiteln. Damit zu guter letzt alle den Weg hinaus finden, untermalen die Schlussakkorde noch schnell, scheinbar wahllos vorgelesene Berliner U-Bahn Haltestellen, während J Masic und all die anderen zitierten Kaufhaus-Angestellen-Helden zum Abschied winken. Mondo, Mondo, was ein Jubiläumseinkauf. Auf die nächsten 20 Jahre einer unabhängigen Indie-Band.
VÖ: 25. November 2016, Rewika Records, http://www.mondofumatore.de/
Ohr d’Oeuvre: 8-Bit Love/ Where are we going/ White Devil/ Under My Silver Pine
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Killing Machine/ White Devil/ Apple Tree Theory/ Save The Witch/ 8-Bit Love/ If You Tell Me/ Where Are We Going/ Under My Silver Pine/ St Mary/ Just Like Breakwater/ The List
(gb)