Die Kopfschmerzen sind verraucht, der Schwung aber noch nicht ganz wieder zurückgekehrt. Deshalb bleibt der Hund im Korb, während im Keller die Jukebox glüht.
Koria Kitten Riot – Songs of Hope an Science
Positive Vibes im Wodka geschwängerten Endloswinter, 60er Folk-Rock mit Harmoniegesang. Die Finnen von Koria Kitten Riot haben vermutlich die Beatles und den Power Pop von Bands wie Teenage Fanclub oder The Scientist mit der Muttermilch aufgesaugt. Früher nannte man das wohl Alternative Rock. SONGS OF HOPE AND SCIENCE wirkt ein wenig als würden die Lemonheads sich nochmal trauen ihre hoch melodiösen Songs mit einer gehörigen Portion nordischer Melancholie zu würzen. Dazu scheuen sie nicht davor zurück, den mehrstimmigen Gesang mit der notwendigen Geschwindigkeit zu kombinieren und die meist zuckersüßen Melodien auch mal mit verqueren Akkordwechseln zu kreuzen. Trotzdem, es bleibt zuckersüß wie Ahornsirup – die 10 Lieder fließen an einem herunter. Songs wie „Hope and Science“ oder „High on Cigarettes“ meint man schon hunderte Male gehört zu haben, aber auch nach dem hundertsten Mal machen sie noch Spass, weil Koria Kitten Riot ihr Handwerk erschreckend perfekt beherrschen. Großartige Westcoastplatte aus dem hohen Norden, die die Süße in die ewige Dunkelheit bringen dürfte.
Gesamteindruck: 7,5/10
Das schnelle Helle: High on Cigarettes / Hope and Science/ White Kids Trash/ The Laughing Man
VÖ: 27.1.2017, Vild Music / Cargo Records, Koria Kitten Riot
Ursina – You have my heart
Erdig – so läßt sich vielleicht der Sound der Schweizerin Ursina auf ihrem Album beschreiben. Ein Album, das wesentlich von ihrem Aufenthalt in Dänemark geprägt wurde. Ruhig mäandrieren die Songs, teilweise nur mit Gitarre vorgetragen, zur einer Stimme die über den Dingen zu schweben scheint. Das macht leider die Lieder etwas beliebig, sterben vielen doch in Schönheit, um wirklich hängen zu bleiben. Ausnahmen sind immer die Stellen, an denen etwas mehr Schwung aufgenommen wird, da wird auf einmal geshuffelt, die Bläsersätze bekommen ihren Einsatz und eine Klaviermelodie schlängelt sich in den Song, um die direkter werdende Stimme der Schweizerin zu tragen. Ausnahme bildet das wunderschön, reduzierte Abschlussstück „Try to sleep“, was der ideale „Nach Hause Komm“ – Song nach ein durchzechten Nacht ist.
Gesamteindruck: 6,0 / 10
Das frische von der Alm: Behind us / Try to sleep/ One Two Three
VÖ: 27.01.2017 – Reelmusic / Believe / Soulfood
Aber Also – Neue Musik aus Hamburg
Für NEUE MUSIK AUS HAMBURG werden Aber Also Prügel beziehen, so richtig und vermutlich aus Sicht von 90% der Hörer zurecht. Die Platte klingt so, als wären die letzten Britpopanhänger aus dem Revolver Club direkt ins Studio gestolpert. Sie sampeln die Rhythmen, Melodien und Orgelteppiche ihrer Helden, zu denen gerade noch getanzt wurde, vermischen diese mit rotzigen Dada Texten, um dann neben der Gasleitung noch schnell die letzte Zigarette anzuzünden. Unverantwortlich und unverschämt! Das tut vermutlich den meisten im ersten Moment weh, sollte aber trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter der ganzen Rotzigkeit von Songs wie „Dann ist das eben so“, einfach viel subtile Kritik an überzogenen Lebenserwartungen und ein Gespür für die Verwirrtheit der Enddreißiger steckt. Lange hat man sich wieder nach so klaren Abfuhren an die Selbstmitleidhaltung vieler Mitmenschen gesehnt wie in „Gejammer“. Da das ganze auch noch mit einer wunderbaren Pianomelodie unterlegt ist, macht es doppelt Spaß. Aber… würde jetzt der Beipackzettel sagen …man muss offen sein für ein wenig Dada, Verrücktheit und die Rotzigkeit, die man zu gut von jedem kleinen Britpopsternchen kennt, die aber immer wieder diese frischen unverbrauchten Elemente bilden, welche neue Rockmusik braucht. Eine mutige Platte, gute Melodien, wir hoffen nur nicht, dass die Partyhengste noch den Gashahn gefunden haben und das ganze Studio in die Luft gesprengt haben.
Gesamteindruck: 7,5 / 10
Das Herbe: Die Leute haben Angst /Gejammer / Das ist jetzt nun mal so
VÖ: 22.01.2017 – Record Union
Allman Brown – 1000 Years
Allman Brown ist ein hinterlistiger Geselle – und großartiger Künstler. Der Engländer und Spotifyheld verbindet Elektro und Indiefolk in melancholischen Tracks wie „Sons and Daugher“ oder „Hollow“ so geschickt miteinander, dass sowohl der Bombay Bicycle Club als auch How too Dress well? neidisch zusammen zucken. Zugleich beherrscht er mit Songs, wie „Amber Light“ oder „Fire“das große Radio ABC. Sphärische Klänge mit einer kräftigen Stimme gemischt, die einem George Ezra gut stünde und einen trotz innerer Widerstände nicht mehr los lässt. Man merkt auf 1000 YEARS lebt sich ein Überzeugungstäter aus, der es wissen will. In England und auch teilweise Frankreich über Achtungserfolge längst hinaus, sollte er in diesem Sommer bei dem ein oder anderen Mondscheinfestival auch das letzte harte Herz erweichen. Kritisch ist vielleicht manchmal die offensichtliche Berechnung, die Songs wie „Foolish Love“ inne wohnt und diese auf Sicherheit getrimmten Konstrukte dann doch eher beliebig klingen läßt.
Gesamteindruck: 7,0 / 10
Das Weisse: Sons and daughters / Fires/ Rivers
VÖ: 10.02.2017 – Allman Brown Production/The Orchard/ Membran
Beachheads – Beachheads
Weezer statt Turbonegro! Power Pop statt Hardrock! Die Norweger von Beachheads sind zur Hälfte die Kverlertak Mitglieder Vidar und Marvin. Gemeinsam mit Kollegen aus Stavanger ließen sie den ganzen Überbau und die ganzen Agressionen weg und legen auf dem selbstbetitelten Debüt 12 mit Fuzzgitarren und wilden Drums getränkte Lieder vor, die in ihrer Einfachheit und Klarheit, die zeitlose Teenageeuphorie- und melancholie verströmen, von der Weezer bis heute zehren. Dazu kommen die mehr oder weniger traurigen Lyrics von Sänger Borild, der auf dem Album offen und ehrlich neben den – natürlich – zu behandelden Liebesfragen, sich mit dem Verlust seines Vaters auseinandersetzt. BEACHHEADS ist keine Neuerfindung des Genres, zeigt aber versierte Musiker, die sich voller Leidenschaft dem Prinzip, drei Akkorde und eine einfach Melodie verschreiben und etwas tolles daraus zaubern.
Gesamteindruck: 7,0 / 10
Das Dunkle: Una / Reverberations / Break me down
VÖ: 3.02.2017 – Fysisk Format/ Cargo
Disco Ensemble – Afterlife
„Wir sind nicht die härteste Band auf dem Planeten, aber alle Songs sollten ein paar Spitzen haben, um zu zeigen, dass Blut durch unsere Adern fließt. Disco Ensemble sind im besten Sinne bloß eine simple Rockband. Das hier ist keine Kunstausstellung.“ – Damit ist eigentlich schon alles zur vierten Platte AFTERLIFE der Finnen von Disco Ensemble gesagt. Die Top 10 Band aus dem hohen Norden kombiniert geschickt Mainstream Rock al Reamon und Bon Jovi mit der Dunkelattitüde der 1990er Bravo Helden Him und dem Upbeat von Mando Diao. So gehen Songs wie „Nothing More“ oder „Face Down in a fountain“ durchaus in die Beine und lassen das meist holzschnittartige Rocksongmuster vergessen. Auch die gutgemeinte Coverversion von U96 „Das Boot“ gibt einem ein kleines Lächeln mit auf dem Weg. Trotz allem kommt AFTERLIFE nicht über Dorfdiskoniveau hinaus, dazu tun die textliche Ausfälle in „Hardcore People“ oder „Fight Forever“ gepaart mit den bereits angesprochenen sehr vorhersehbaren Songstrukturen zu weh. Naja, aber immerhin haben Songs wie „Sourround me“ die nötigen Melodie und Schalla Schalla Teile um beim nächsten Stadtfest für Stimmung zu sorgen.
Gesamteindruck: 5,0 / 10
Das Mischgetränk: Surround me / Face down in a Fountain / Disappear
VÖ: 27.01.2017 – OMN Label Services
V.A. – Hamburger Küchensessions Vol. 4
„Hingabe!“ – war mal das Motto des Orange Blossom Festivals vor ein paar Jahren. „Hingabe!“ – ist wohl auch die richtige Beschreibung für diesen Sampler. 40(!) Liveaufnahmen aus der Küche des Tontechnikers Jens Pfeifer versammelt dieser Sampler. Die Frage muss wohl erlaubt sein, warum das Album nicht vor Weihnachten erschienen ist? Der Sampler ist eine Art Hochamt der Melancholie und der filigranen Schönheit, die der Großteil der Künstler mit ihren Songs zum Ausdruck bringt. Ausnahmen bilden einige Musiker, die des Protestsongs im Sinne eines Degenhardts fröhnen und die Zwiespältigkeit zwischen Erziehung, Flachbildschirm und Lebensgestaltung ansprechen wie z.B. Sarah Lesch. Ansonsten versammelt der Sampler akustische Versionen von bekannten Songs heimischer Indiegrößen wie der Höchsten Eisenbahn, Enno Burger, Me and my Drummer oder Bernadette La Hengst. Der Großteil der Songs kommt allerdings von hoffnungsvollen Nachwuchsgrößen wie Helgen (wunderbar mit „Rauch“), Herrn Polaris oder Lasse Matthiesen. Bunte Punkte setzen die internationalen Küchengäste wie East Cameron Folkcore, Scott Matthews oder den 1990er Emohelden von Last Days of April. Manchmal tut es weh wie bei Bernd Neuwerk oder Lampe, meistens sind es jedoch wunderschöne und mit viel Liebe arrangierte Lieder, die klar und unverbraucht rüber kommen. Großartig ist darüber hinuas der Livesound aus der Pfeifer’schen Küche.
Gesamteindruck: 8,0/10
Das frisch gezapfte: Meadows (The only Boy awake)/ Helgen (Rauch)/ Tim Jaacks (Kapitulation)
VÖ: 20.1.2017, Broken SIlence, http://www.kuechensessions.de/
Louder Than Wolves – Heading for North EP
Was machen vier Jungs aus Bonn, wenn sie mit den Ansprüchen an sie und dem ständigem unter Druck stehen nicht mehr einverstanden sind? Klar oder? Sie packen sich Gitarre, Schlagzeug und Bass und hauen ehrlich, rotzig und gespickt mit der nötigen Portion Wut eine erste EP raus. Ihre Debut EP HEADING FOR NORTH gibt einen perspektivischen Eindruck zu was das Quartett in der Lage ist. Für ihre noch recht junge Karriere, sind sie ziemlich sicher an den jeweiligen Instrumenten und treiben ordentlich durch die Stücke. Etwas verstörend wirken dann doch die oft zu metalligen Solos in „Empty Promises“ und „Heading for North“. Weniger ist mehr, will man da sagen.
Gesamteindruck: 7,0 / 10
Des rheinländisch obergärige: Heading for North
VÖ: 27.01.2017 – Klangapartment / Brokensilence / https://www.louderthanwolves.com
Deaf Havana – All These Countless Nights
Nicht Fisch nicht Fleisch, so kommt das neueste Deaf Havana Album ALL THESE COUNTLESS NIGHTS daher. Irgendwie hat man beim Hören das Gefühl die Band war nicht frei im Kopf, als die Platte entstand. Die fünf Jungs aus Norfolk wollen viel zu amerikanisch klingen. Die Entscheidung ob man eine ehrliche authentische Alternativ-Rock Platte macht oder doch massenkompatibel und radiotauglich wird ist auf ALL THESE COUNTLESS NIGHTS nicht konsequent gefällt. Mit Ausnahme von „Sing“, dessen Intro und Bridgeparts sehr nach den alten Smashing Pumpkins klingen, wirken alle Songs recht glatt geschliffen. Ihnen fehlen die Ecken und Kanten, an denen man sich – im positiven Sinn –abreibt. Die Intros und einzelne Ideen machen durchaus Spass. In Summe ist die aktuelle Veröffentlichung allerdings enttäuschend zäh und viel zu gefällig.
Gesamteindruck: 4,0 / 10
Das leicht Abgestandene: Sing
VÖ: 27.01.2017 – So Recordings / http://www.deafhavanaofficial.com/
Jmc! Deine Beurteilung der Küchensessions – cd ist gelungen. Bis auf eine Ausnahme ( Da hast Du wirklich keine Ahnung. Na gut, ein Irrtum eben…) Beste Grüße von Bernd Neuwerk.