Das Wetter lässt einen dann doch im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen. Nicht nur, dass die Schuhe schon durchnässt sind bevor man das ZAKK betreten hat – nein auch der Innenhof ist ähnlich voll wie zur Raucherpause in der Oberstufe. Wobei, irgendwo unterstreicht dies nur das familiäre Ambiente des Abends! Nach 2013 findet das Angry Pop Fest zum zweiten Mal seine Heimat im Düsseldorfer ZAKK – dieses mal nur im kleinen Raum. Das ist zwar etwas schade für die Veranstalter, aber umso besser für die Stimmung. Es wird trotz der Absage von Keine Zähne im Maul, aber La Paloma pfeifen, ein runder Abend zwischen Hardcore und Punk, zwischen Wut und Energie, zwischen Bierschweiß und Konfettiregen. Die Frage, die unterschwellig den roten Faden des Abends bildet ist, ob Sänger Jörkk von Schreng Schreng & La La noch auftauchen würde.
„Dieses Lied handelt von Trennung..!“
„Na gut, dieses Lied handelt irgendwie auch von Trennung…!“
Ein wenig ist der Auftritt von Leitkegel wie das berühmte Murmeltier. Nahezu jedes Lied leiten die Essener mit der gleichen, traurigen Botschaft ein. Wobei Sänger Daniel das dann doch eher mit einem Augenzwinkern rüberbringt. Sowieso geben Leitkegel als Opener die Richtung für den Abend vor. Unbändige Energie trifft auf Leidenschaft und auch immer auf eine Portion Leichtigkeit. „Ich wollte hier jetzt eine politische Ansage machen… aber ihr habt ja selber ein Hirn im Kopf ihr Süßen!“ Der charismatische Frontmann pendelt mit seinen Ansagen immer zwischen Ironie und Zynik ohne doppelten Boden. So ganz weiß man nie, ob man lachen oder vielleicht doch eher verschämt auf den Boden schauen soll. Großartig! Der Post-Hardcore des Quartetts lebt vor allem von den ständigen Dynamikwechseln, die die Rhythmussektion vorgibt und von den deutschen Texten, die – angelehnt an Acts wie Adolar oder Hey Ruin! – den Zuhörer direkt ansprechen. Insgesamt wird dabei weniger mit dem dicken Soundbrett gewedelt, als mit der Dynamik und Tanzbarkeit der Songs, die gekonnt kombiniert werden mit den heisergebrüllten Vocals und einer zurückhaltenden, aber deshalb nicht weniger feinen Melodiegitarre.
Wo Leitkegel eher das Florett der Dynamik schwingen, lassen die Düsseldorfer von Blut Hirn Schranke das komplette Brett vom Stapel. Angelehnt an den kompromisslosen Sound von Acts wie Lygo oder Tripsitter, der zwischen Punk und Hardcore pendelt, durchpflügt das Qunitett für 45 Minuten ohne merkliche Pause das ZAKK. Der Bereich vor der Bühne verwandelt sich in einen Pit aus Schweiß, Bier und Energie. Die Konfettikanonen in der ersten Reihe knallen und man will sich lieber nicht den Putzaufwand am kommenden Morgen vorstellen. Dazu hackt die Band weiter und weiter, während Sänger Max wie ein HB Männchen über die Bühne hüpft und die Texte weniger schreit, denn fast mit heiserer Stimme rappt. Das ganze wirkt nochmal sehr viel fetter als auf Platte. Dabei will ähnlich, wie zuvor bei Leitkegel – wenn auch nicht in der Ausprägung – keine Langeweile trotz des kompakten Sets aufkommen. Gekonnt wird der Soundwall durch eingestreute Moshparts und kurze melodische Verschnaufpausen aufgebrochen. So schafft es die Band neben dem Energie- auch den Spannungslevel konstant hoch zu halten. Die Lokalmatadore hinterlassen mit ihrem Auftritt wenig Fragen, sind doch alle irgendwie schon ziemlich durchgeschwitzt und glücklich und dabei kommen die „großen“ Namen doch erst noch.
Wirkte die Show von Captain Planet im November im Gebäude 9 noch etwas statisch, liefern sie heute das komplette Gegenteil. Die enge Venue und der direkt Kontakt zum Publikum scheinen die Hamburger Vorzeigesympathen nochmal extra zu motivieren. Das einstündige Set ist gefühlt drei Stunden lang und gleicht erst Recht einer einzigen Abrissparty. Nahezu ohne Pause spielen sie sich durch ein Set, was zwar hauptsächlich aus den beiden letzten Platten „Ein Ende“ und „Treibeis“ besteht, aber auch genug Raum für alte Klassiker wie „Rambo“, „Wahlbaby“ oder „120 Sachen“ lässt. Die Ansagen bleiben spartanisch und reduziert – hanseatisch, aber das tut nichts zur Sache. Wort für Wort singt der Mob mit und bekommt nicht genug. Nicht weniger als vier Zugaben muss / darf die Band geben, bevor sie sichtlich glücklich und geschafft von der Bühne gelassen wird. Und doch bleibt auch bei dieser Performance die Frage nach dem Sänger von Schreng Schreng & La La offen. „Wir hatten Jörkk gesagt, um 11 Uhr am Proberaum…, wir können Dich gerne mitnehmen!“ Gekommen ist er scheinbar nicht.
Es bleibt also die Frage, ob er da gewesen ist. Beim gemeinschaftlichen Zigarettenrauchen stellen sich Leitkegel auch außerhalb der Bühne als wunderbar-sympathische Zeitgenossen raus. Und dann stehen der Anwalt und sein Esel doch pünktlich um Mitternacht auf der Bühne. Und wieder kommt diese ganz eigene Mischung aus Entertainment und gutem Songwriting zum Tragen. Der Großteil der Songs von den Alben „Berlusconi“ und „Echtholzstandby“ wird gespielt, immer mit dem Hinweis, dass der Deckel am Nachmittag bereits 89 € betrug. Sollte das stimmen, gebührt es Applaus schon alleine für die Steherqualitäten. Das Publikum erweist sich einmal mehr als textsicher, während Gitarrist Lasse im St.Pauli Trikot scheinbar seit dem nachmittäglichen Auswärtssieg seinen ganz eigenen Euphoriefilm fährt. Sänger Jörkk schafft es ohne große Anschwitzphase, gekonnt das Publikum um den kleinen Finger zu wickenl, das wie zuvor bei Captain Planet dankbar jede Zeile mitträllert.
Man muss sich vor den Organisatoren kurz verbeugen und sich für das großartige Programm und den Konfettiregen bedanken, der scheinbar echt war – glaubt man den Rückständen im Bett am nächsten Morgen.
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