Kazimir – Ein Grund, Keine Ursache
Da sitzt man Donnerstagabend mit dem Chef bei kaltem Bier im lauwarmen Regen – nur so rum geht das – draußen, diskutiert die Plattenkritiken der nächsten Wochen als unvermittelt auffällt, dass da schon am nächsten Tag neben gestandenen Bands auch eine bisher unter dem Radar geflogene, norddeutsche Kapelle ein neues Album veröffentlicht.
Bis zu diesem Moment hatte ich – kurze Schämpause – noch nichts, außer hier und da mal den Namen der Band Kazimir aus Hamburg gehört oder gelesen. Mit EIN GRUND, KEINE URSACHE legen die Hanseaten schon ihr drittes Album vor. Persönliche Wochenendaufgabe war also: Bildungslücke schließen.
Ein paar recherchierte Eckdaten zur Band: Gründung 2004 zwischen Kiel und Hamburg. Erste Platte KEINE ZEIT FÜR STARALLÜREN 2008, zweite Platte MESSLATTENBLUES 2013. Beides ganz passable Scheiben aus dem Indie-Punk-Schrammel- und kluge Texte Genre. Im Sommer 2015 verließ dann Gründungsmitglied Christian Bruneß zugunsten der Arbeit beim Bandlabel My Favorite Chords das Quartett. Mit Daniel Pilarski (Gitarre) fanden Eric Seeman (Gitarre/Gesang), Christoph Forster (Bass, Gesang) und Ole Falkenberg (Schlagzeug) scheinbar nicht nur adäquaten Ersatz, sondern auch die Möglichkeit sich zu erneuern, ohne dabei jedoch den Kurs aus den Augen zu verlieren.
EIN GRUND, KEINE URSACHE klingt vor allem was den Gitarrensound angeht wesentlich druckvoller, fuzziger und geht mit vor sich hinwütenden Riffs noch einen Tick weiter nach vorne, als die beiden Vorgänger. Insgesamt wirkt es, als hätte sich Namensgeber Kasimir noch den rumpelnden Freund und Nachbarn Nepumuk ins Baumhaus geholt und dabei stellenweise von den Quietschbeus inspirieren lassen. Noch lange nicht poppig, doch etwas melodiöser bleiben die Songs glitzernde, raue Splitter mit klugen Texten, die die Facetten des Alltags zwischen Arbeit, Liebe, Versagen und all den Fragezeichen unserer Generation beleuchten. Eine kleine, aber nicht minder spannende Ausnahme vom Punk machen die Vier mit der abschliessenden Akkustiknummer „Alle Farben“.
Die dritte Platte der Hanseaten ist bis jetzt auch ihre deutlich stärkste und ausgefeilteste. Bleibt zu hoffen, dass die Jungs dieses Jahr noch ein paar mehr Konzerte spielen, als die aktuell anstehende kleine Norddeutschlandtour. Hier in Köln würden wir uns sehr über einen Besuch freuen. Das als Wunsch an den fernen Stern Andromeda.
VÖ: 12. Mai 2017, My Favorite Chords, https://www.facebook.com/kazimirband/
Ohr d’Oeuvre: Alleine Einsam/Ste(h)ts bemüht/Von Luftschlössern und Sandburgen
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Ste(h)ts bemüht/ Kohlen nach Newcastle (Eichenweg 3)/ Himmel Zählen/ Madame tanzt/ Dreinfältigkeit/ Sisyphus/ Marathon/ Optimus Falter/ Von Luftschlössern und Sandburgen/ Alleine Einsam/ Alle Farben
(gb)
WOMAN – Happy Freedom
Fragte man vor circa vier Jahren Kenner der Kölner Musikszene, was das nächste große Ding aus der Domstadt sein werde, war die einhellige Meinung, dass an WOMAN kein Weg vorbeiginge.
Versuchte man im Anschluss daran, etwas über die Band herauszufinden, stand man ziemlich verlassen da. Es gab NICHTS! Keinen Internetauftritt, kein Facebook Profil. Trotzdem – oder gerade genau deshalb – sind ihre wenigen Live Auftritte bereits im Jahr 2011 immer ausgesprochen gut besucht. Sei es der Stadtgarten bei der Cologne Music Week oder der Klubgenau in Kalk, nicht selten heisst es: AUSVERKAUFT. Dass es sich bei dem Hype, der um die Band gemacht wird, ausnahmsweise mal um einen völlig berechtigten handelt, wird einem schnell klar, wenn man die Band spielen sieht. Selbst wenn man kein ausgewiesener Freund elektronischer Musik ist, wissen die drei Jungs bei jedem ihrer seltenen Konzerte zu begeistern.
An dem Punkt scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die Band durch die sprichwörtliche Decke gehen würde. Dies passiert jedoch erstmal nicht. Es wird ruhig um WOMAN. Marvin Horsch verlässt die Band und Carlos Hufschlag, der schon beim ersten kleinen Hit „Izer“ am Mikro stand, wird festes Mitglied der Truppe. Es wird gemunkelt, dass die großen Plattenfirmen Schlange stehen. Trotzdem lässt ein Album auf sich warten und das nächste große Ding aus Köln wird erstmal nicht WOMAN, sondern der befreundete Roosevelt.
Erst als der Bilderbuch-Produzent Sebastian Zebo Adam auf die Band aufmerksam wird, nimmt das Projekt Debutalbum Fahrt auf. WOMAN gehen für drei Monate nach Wien und nehmen ihr Album HAPPY FREEDOM auf. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Stück Popmusik, bei dem sich Funk, Soul, eine gehörige Portion Disco und – man lese und staune – filigranes Gitarrenwerk die Klinke in die Hand geben. Gerade diese Stilvielfalt macht es schwer, HAPPY FREEDOM in irgendeine Schublade zu stecken. Würde man einen Vergleich bemühen wollen, käme einem Justin Vernons Side-Project Gayngs in den Sinn.
WOMAN sind Perfektionisten. Auf ihrem Debut haben sie mithilfe von Produzent Zebo Adam diese Perfektion eindrucksvoll auf Vinyl gebannt. Selten hat ein Debut so ausgereift geklungen wie HAPPY FREEDOM. Und ob sie nun das nächste große Ding sind oder nicht, wird der Band reichlich egal sein. Denn eigentlich wollen die drei besten Freunde Manuel, Milan und Carlos nicht mehr und nicht weniger als Musik machen, die gesellschaftliche Relevanz besitzt und dazu noch unverschämt tanzbar ist. Das ist ihnen mit HAPPY FREEDOM mehr als gelungen.
VÖ: 12.Mai 2017, Asmara Records, www.womanwoman.de
Ohr d’Oeuvre: Marvelous city/ Money/ Concrete jungle
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Dust / Marvelous city/ Concrete jungle/ Control/ Love/ Money/ Khung Bo (Terror)/ NYD/ 2072/ The end
(at)