Free Throw – Bear Your Mind
Nachdem Konsorten wie My Chemical Romance oder The Used das Genre, welches mal (fälschlicherweise) als Emo bezeichnet wurde, ordentlich und mit einer gewissen Portion Vorsatz an die Wand gefahren haben und alte Helden wie Taking Back Sunday, Finch oder auch Funeral for a Friend – ich weiß, man müsste im Grunde noch viel früher und im mittleren Westen anfangen – die Qualität früherer Tage nicht mal mehr im Ansatz erreichten, konnte man durchaus davon sprechen, dass das Genre zu Grabe getragen worden ist. Erfreulicherweise zeichnet sich seit einigen Jahren eine Wiederbelebung ab, die von vielen in einem Anflug größter Kreativität Modern Emo genannt wird. Bricht man das Ganze runter und versucht man ein wenig, die allseits beliebten Schubladen zuzulassen, handelt es sich um meist mittreißende Gitarrenmusik, die mal besonders catchy, mal frickelig und mal sperriger und weniger melodiös ist. Ein äußerst gutes Händchen für diese Art der Musik scheint im Moment das New Yorker Warner SubLabel Triple Crowne Records zu haben. Im letzten Jahr mit dem überragenden Album CELEBRATE der Tiny Moving Parts und in diesem Jahr mit dem allenthalben gefeierten YOU’RE NOT AS _____ AS YOU THINK von Sorority Noise bildet das Label gerade so etwas wie die Speerspitze der angesagten Gitarrenmusik. Auch das zweite Album der Südstaatler von FREE THROW schlägt in diese Kerbe. Irgendwo zwischen Pop Punk, Alternativ und dem klassischen Emo der oben genannten Heroen, schaffen es die fünf Jungs um Sänger Cory Castro, mit einem musikalischen Querschnitt dessen aufzuwarten, was das Label Portfolio gerade hergibt. Dabei ist das Interessante an BEAR YOUR MIND, dass das Album einen trotz aller Catchyness und Energie erst nach mehreren Durchläufen packt und dann aber erst einmal nicht mehr loslässt. Open Window beginnt fragil, nur mit Akustikgitarre und Castros Stimme, bevor wie aus dem Nichts die Gitarren einsetzen. Ehe man jedoch, nach dem anfänglichen Überraschungsmoment, Begeisterung entwickeln kann, ist der Song auch schon wieder vorbei. Ähnlich setzt sich dieses auf der gesamten Platte fort. Dabei klingt der Nashville Fünfer manchmal nach Into It.Over It, manchmal hört man alte Taking Back Sunday heraus und nicht selten grüßen den Hörer Basement aus den Boxen. Getragen wird das alles von der in den langsameren Parts zerbrechlichen und in den schnelleren sich leicht überschlagenden Stimme Cory Castros, die wie gemalt zu der doch recht düsteren und traurigen Grundthematik des Albums passt. Cory Castro setzt sich auf BEAR YOUR MIND mit seiner Dysmorphophobie auseinander. Er leidet seit seinen Kindertagen darunter, seinen Körper nicht so annehmen und akzeptieren zu können, wie er ist. Die mangelnde Unterstützung der Eltern und der lange Weg dahin, seinen Körper zu akzeptieren, bilden die thematische Grundlage auf BEAR YOUR MIND. Ein Thema, das gerade in einer Optimierungsgesellschaft wie der heutigen relevanter denn je ist und im Kontext des vorliegenden Albums bemerkenswert umgesetzt wird. Mit diesem Album werden Free Throw auch bei uns einige neue Freunde gewinnen können, zu mitreißend ist ihr Sound und zu relevant sind die Themen auf BEAR YOUR MIND.
VÖ:26.05.2017, Triple Crowne Records, http://www.freethrowband.com/
Ohr d’Oeuvre: Open Window/ Andy And I, Uh…/Cal Ripken Jr. Johnson
Gesamteindruck: 7/10
Tracklist: Open Window/ Rinse, Repeat./ Randy, I Am The Liquor/ Weight On My Chest/ Hope Spot/ Weak Tables/ Andy And I, Uh…/ Cal Ripken Jr. Johnson/ Dead Reckoning/ Better Have Burn Heal/ Victory Road
(at)
Hans Maria Richter – Die Welt zu Gast beim Feind
„Hey, hey, hey, Hass, Hass, Hass, Scheitern ist in der Liebe nur ein Start, Start, Start…“. Kann eine Platte verkehrt sein, die mit einer Neil Young Reminiszenz beginnt? Kann eine Platte verkehrt sein, die WELT ZU GAST BEIM FEIND heißt? Nein! Auch wenn man im ersten Moment diese Stimme nicht richtig zuordnen kann, die einem zugleich vertraut und zugleich irgendwie fremd vorkommt. Sie gehört Knut Stenert, dem Sänger von Samba, die seit 20 Jahren unregelmäßig, wunderbare Platten produzieren ohne den richtigen Durchbruch geschafft zu haben, da sie ewig der Makel der späten Geburt begleitete.
Hochgespült 1994 im Fahrwasser der Hamburger Schule, blieb an ihnen immer schon der Epigonenvorwurf haften, in völliger Verkenntnis das die Musik wesentlich rhytmischer ist und die Texte Stenerts in ihrer ganz eigenen Bilder – und Abstraktionswelt spielen. Egal, Vergangenheit! Der Sänger selber hatte vor Jahren als Knud und die herbe Frau bereits eine der besten, deutschsprachigen Platten der letzte Jahre gemacht, die in ihrer Zynik und Ehrlichkeit manchmal hart zu verdauen war, aber auch ohne die ganz große Anerkennung dafür zu bekommen. Vielleicht ist seine Stimme – warm und weich – immer etwas zu zahm, zu entspannt, negativ gesprochen vielleicht zu indifferent, um beim Hörer die große Gefühlswallungen hervorzurufen, die die Basis für seine Songs sind. Zum Glück scheint er sich nicht beirren zu lassen, denn auf die WELT ZU GAST BEIM FEIND macht er einfach weiter und haut wieder wunderbar entspannte Indiepopsongs – vielleicht etwas krachiger als bei Samba- raus und lehnt sich innerlich entspannt zurück, um grinsend zuzuschauen, wie sich die Melodien und die langgezogenen Vokale seiner Stimme in den Hirnbahnen der Hörer festsetzen. Dabei scheint sein neuer Charakter Hans Maria Richter ein wenig milder gestimmt zu sein, scheint zu versuchen mit der Welt seinen Frieden zu machen.
Verpackt ist dies in eine vielschichtige Produktion, die den Indierock der 00 – Jahre mit angesagten Folk- und teilweise Wave Elementen der letzten Jahre verbindet. Allerdings bildet der Sound, der meist treibenden Songs, nur den Untergrund zu Stenerts Stimme, die hier klar im Mittelpunkt steht. So bleiben die Lieder denn auch entspannt, auch wenn es unter seiner Stimme ständig zu brodeln scheint, doch trotz teilweiser etwas lauterer Gitarren, fehlen die große Ausbrüche. Braucht es aber auch nicht, denn es würde nicht zum Charakter des Erzählers und der abgeklärten Stimmung der Songs passen. Diese pendeln zwischen romantisch-kratzig wie „Perlen“ oder „Bergauf“, dessen „Oh, Oh, Oh“ – Chöre man erst peinlich und dann genial findet und lässig – verquert wie in „Lass mich fallen“ oder „Kreuz und quer“, in welchem die Gitarren nach vorne preschen, um dann von luftigen „La, la, la“ – Chören wieder abgekühlt werden.
Er funktioniert einfach am besten als leicht distanzierter, zynischer Betrachter, der mal mehr, mal weniger bilderreich die zwischenmenschliche Kämpfe und die eigene Unvollkommenheit dokumentiert („Kreuz und Quer“). Weniger gut funktioniert er, wenn die Sprache und Zynik zu gegenständlich wird, wie in dem Folkstück „Mein Job ist gut“. So bleibt Hans Maria Richter der Champ des wunderschönen Ungefähren, in dem man manchmal so gerne verweilt, weil zu viel Klarheit die Träume nur zerstört. Und es sei seinem Schöpfer Stenert zu gönnen, dass er niemals aufgeben muss wie in der kleinen Ballade „Gute Nacht“ besungen, sondern weitermacht und weitermacht und weitermacht….
VÖ:09.06.2017,Chateau lala, https://www.facebook.com/HansMariaRichter/
Ohr d’Oeuvre: Hey Hey Hey/ Unter dem Schirm/ Perlen
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Hey, hey, Hey /Das ist neu/ Lass mich fallen/Kraehen/ Perlen/Bergauf/Mein Job ist gut/ Die Synchrosation beginnt/Kreuz und Quer/Gute Nacht/ Unter dem Schirm
(pd)