Kamikaze Girls – Seafoam
Mit ihrem Debütalbum SEAFOAM bestätigen die Kamikaze Girls die Versprechen, die sie mit ihrer letztjährigen EP SAD gaben. Großartiger und unmittelbarer UK DIY – Punk, der für die richtigen Gänsehautmomente sorgt.
Es gibt so Momente, da wirkt alles ganz einfach und trotz der Einfachheit großartig und fantastisch. Die Kamikaze Girls haben viele solcher Momente auf ihrem ersten, regulären Longplayer SEAFOAM, die von der Struktur so einfach und direkt wirken und trotzdem für einen Moment alles überstrahlen: Alltag, Sorgen und vielleicht den Kater des letzten Abends. Wenn Gitarristin und Sängerin Lucinda Livingstone zum Ausklang von „Good for nothing“ „I am good for nothing, good for nothing, I am wasted..“ singt, meint man die Verlassenheit und Desillusion geradezu greifen zu können. Eine Gänsehauterfahrung, die man ebenso bei Songs wie „Berlin“ oder der choruslastigen Ballade „Weaker than“ hat. Ein wenig erinnert dies an Muncie Girls oder an die ehrwürdigen Pretty Girls make Graves, wobei die Musik des aus London und Leeds stammenden Duos zwischen Power Pop und Post Punk mit einer Prise Wave pendelt und sich phasenweise dem Grunge nährt. Dabei bleibt sie durchgehend direkt, unmittelbar und greifbar, so dass der Hörer sofort abgeholt und nicht mehr losgelassen wird. Das liegt an diesen speziellen Momenten, die oft dadurch kreiert werden, dass Lawson ihre Texte ziemlich direkt hält und ihre Wut, ihre Zweifel und Trauer der Welt ungefiltert entgegen schleudert. Daneben ist die Musik, trotz aller Direktheit und Punkattitüde, vielfältig und vereint die verschiedensten Stile und Querverweise, dass SEAFOAM mit fast jedem eine neue Wendung nimmt. Sind „Berlin“, „One young man“ und „Unhealthy love“ schnörkellose Power Pop Kracher, wirken Kamikaze Girls in den eher Wave – lastigen Stücken, wie dem träge, beschwörenden Finisher „I don’t want to be sad forever“, eher wie die unverkopfte Version der Savages. Der Mittelpart der Platte verströmt dagegen ein 1992 Grunge Gefühl, mit dem sie als die Söhne und Töchter von Mudhoney durchgehen könnten.
In UK hat sich die Band bereits durch umfangreiches Touren einen Namen gemacht und ist fester Bestandteil der DIY – Punkszene. Erste Aufmerksamkeit konnte man durch die letztjährige EP „Sad“ einheimsen. Diese Erfahrungen merkt man SEAFOAM an, ist die Platte trotz der unterschiedlichen Songwritingansätze doch ein geschlossenes Werk. Great, hopefully soon in Germany!
VÖ: 09. Juni 2017, Big Scary Monsters (Alive), https://www.facebook.com/kamikazegirlsuk/
Ohr d’Oeuvre: Berlin / I don`t want to be sad forever / Teenage feelings
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: One young man/ Berlin/ Teenage Feelings/ Good for nothing/ KG go to pub/ Light & Sounds/ Deathcap/ Weaker than/ Unhealthy Love/ I don’t want to be sad forever
(pd)
ELDER – Reflections of a Floating World
Wer dachte mit ihrem 2015’er Album LORE seien ELDER auf dem Höhepunkt ihres Schaffens angekommen, sieht sich mit REFLECTIONS OF A FLOATING WORLD eines Besseren belehrt.
Die Band aus der Nähe Bostons gehört nicht zu den Bands, die es einem leicht machen. Bereits ein Blick auf die Tracklist lässt erahnen, dass man es mit Songs zu tun hat, die man möglichst laut und aufmerksam mit dem Kopfhörer hören sollte. Sechs Songs mit einer Gesamtspielzeit von über 60 Minuten gilt es im wahrsten Sinne des Wortes zu entdecken. Das kann nicht nach einmaligem Hören gelingen. Zu abwechslungsreich sind die Songs. ELDER schaffen es wie momentan kaum eine andere Band verschiedene Stile in ein Lied zu packen, ohne dass das Lied überfrachtet wirkt oder die Struktur des Songs verloren geht. Das macht es auch nicht ganz einfach die Band in eine stilistische Schublade zu stecken. Mal Stoner, mal Psychedelic Rock, mal klassischer Metal, ganz viel Prog und das alles innerhalb eines Songs. Zugegeben, dass ist beim ersten Hören nicht ganz einfach, erschließt sich jedoch bei jedem weiteren Hördurchgang und lässt einen ob des schier unglaublichen Facettenreichtum nicht mehr los.
Im Vergleich zum Vorgänger LORE, auf dem das Songwriting schon wahnwitzig gut und abwechslungsreich war, setzen ELDER dem ganzen auf REFLECTIONS OF A FLOATING WORLD die sprichwörtliche Krone auf. Da verwundert es auch nicht, dass die eigentlich dreiköpfige Band sich für die Aufnahmen Unterstützung von Michael Risberg und Michael Samos an Gitarre, Keyboard und Pedal Steel ins Boot geholt haben. Man könnte jetzt Song für Song besprechen und das Ganze mit der allseits beliebten Kritikerfloskel – „Bereits nach wenigen Sekunden des ersten Songs ist klar wo die Reise hingeht“ – beginnen, dies würde aber erstens nicht stimmen und zweitens dem Album nicht ansatzweise gerecht werden. Man hat selbst nach zweimaligem Hören von REFLECTIONS OF A FLOATING WORLD nicht ganz verstanden wo die Reise hingeht.
Genau das ist es jedoch was das Album der Mannen um Mastermind Nicholas DiSalvo so ungemein spannend macht und man kann sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass es genau das ist was ELDER wollen. Den Hörer fordern sich mit Geduld und Muße auf ihre Musik einzulassen, um dann am Ende nicht mehr von ihr loszukommen. Dies wird mit REFELCTIONS OF A FLOATING WORLD ganz ausgezeichnet klappen.
VÖ: 02.Juni 2017, Armageddon, Stickman Records, https://beholdtheelder.bandcamp.com/album/reflections-of-a-floating-world
Ohr d’Oeuvre: Sanctuary/ The Falling Veil/ Thousand Hands
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Sanctuary/ The Falling Veil/ Staving Off Truth/ Blind/ Sonntag/ Thousand Hands
(at)