88 Fingers Louie – Thank You For Being a Friend
Wir schreiben das Jahr 1992. Die Musiksozialisationsphase ist in vollem Gange und hat mit den Scorpions, Warlock und Guns’n’Roses ihren ersten Höhepunkt erreicht, als der damals für eben jene Sozialisation beauftragte coole Cousin mit einer CD um die Ecke kommt, die für die nächsten Jahre prägen wird.
GENERATOR von Bad Religion vereinigt zu diesem Zeitpunkt alles, was einem der Heavy Metal nicht gibt und kitzelt zusätzlich noch die nicht wirklich stark ausgeprägten revolutionären Synapsen der Dorfjugend der niederrheinischen Provinz. In den Folgejahren wurde sämtlichen Outputs kalifornischer und schwedischer Punkrockbands entgegengefiebert, es wurden bunte, recht hässliche und meist viel zu große Bandshirts getragen und den Weg zur Zeche Carl kannte man besser als jedes Navi heutzutage.
Wie bei jeder Musiksozialisation üblich, kommt irgendwann eine neue Phase, die trotz aller Einfältigkeit und der nicht überhörbaren Redundanz jedoch unverhältnismäßig lange auf sich warten ließ. Dafür, dass man sich nicht ganz aus den Augen verloren hat, haben die Descendents mit ihrem Comeback und junge aufstrebende Bands wie die Gnarwolves oder Idle Class aus Münster gesorgt.
Und genau dasselbe tun nun 88 Finger Louie mit ihrem ersten Album nach knapp 19 Jahren. Anfang der Neunziger immer etwas unter dem Radar durchgerutscht bzw. maximal auf irgendwelchen Samplern aufgefallen, setzt die Band aus Chicago mit THANK YOU FOR BEING A FRIEND ein kleines bis mittelgroßes Ausrufezeichen. Man merkt der Band um Sänger Denis Buckley an, dass sie ihr Handwerk versteht. Die Songs klingen genauso frisch wie die Songs Anfang der 90er, die einen geprägt haben. Mal hört man die Descendents heraus, mal blutet einem das Punkrock-Herz, weil ein Song ungemein an Tony Sly und No Use for A Name erinnert. Bewundernswert ist der schmale Grat zwischen mitreißendem und routiniertem Punkrock, den die Band hier förmlich entlangschlendert.
88 Fingers Louie liefern mit THANK YOU FOR BEING A FRIEND den perfekten Soundtrack für all diejenigen, die zu alt sind, sich drei Tage auf irgendwelchen Punk Festivals im Schlamm zu suhlen, sich aber zwischendurch immer mal ganz gerne in die viel zu engen Punkrock-Shirts von früher schießen, um mit Dosenbier und geschlossenen Augen auf der Terrasse sitzend, den alten, wilden Zeiten hinterher zu trauern.
VÖ: 30 Juni 2017, Bird Attack Records, http://www.88fingerslouie.net
Ohr d’Oeuvre:
Gesamteindruck: 7,5/ 10
Tracklist: Meds/ Advice Column/ Knock It Off/ All The Right Words/ Turned To Grey/ Here’s To That Innocence/ Catastrophe Awaits/ The Violence of Denial/ 2810/ Our Tired Vices/ November’s Big Mistake/ My Final Story
(at)
Von Spar – Garzweiler
Nachdem Von Spar in 2014 ihr letztes reguläres Album STREETLIFE veröffentlichten, herrschte längere Zeit Funkstille um die Band. In diesem Sommer verfolgen sie wieder die Tradition, ihre Songs zwischen den regulären Longplayern auf EP ´s an die Hörerinnen und Hörer zu bringen. So geschieht es in diesem Juni auch mit GARZWEILER. Die EP enthält 4 wunderbare Songs und ist ein Highlight elektronisch angehauchter Musik für den Sommer.
Die Kölner verbinden auf GARZWEILER gekonnt die elektronische Basis ihrer letzten Alben, die im wesentlichen von eingängigen Samples geprägt waren mit einem Beat, der den Songs trotz seiner Seichtheit kontinuierlich einen Flow verpasst. Dazu gesellen sich von analoger Seite her, eingängige Gitarrenriffs, Schlagwerkstücke und die Melodien von Tasteninstrumenten, was den Stücken eine unterschiedliche Färbung gibt.
Dabei beweist die Band einmal mehr, dass sie mit ihrer Musik den Hörer aus dem Hier und Jetzt zu reißen vermag, was vor allem für die beiden Stücke „Garzweiler II“ und „Garzweiler III“ gilt. So zeichnet die Band musikalisch die Landschaft der Bergbaunarbe Nordrhein-Westfalens nach. Der Hörer wird mit auf eine klangliche Reise entlang des Tagebaus genommen, als wanderte er entlang der verformten Landschaften oder flöge über sie hinweg. Die Musik wird zu einem transzedenten Medium. Bei beiden Garzweiler-Stücken stellen die Instrumente, der Beat und die Samples musikalisch die unterschiedlichen, abgetragenen Bodenschichten dar. Dadurch gelingt es das Relief der Landschaft darzustellen. Dagegen wirkt die Band im ersten Stück „Metaxourgio“ wie auch im letzten „Omónia“ eher kantig, aufgrund der verzerrten Stimmsequenzen.
Die EP gewinnt mit jedem erneuten Abspielen an Stärke. Die Songs verweilen dabei charmant, prägnant wie auch unprätentiös – unaufdringlich im Ohr des Hörers und verführen ihn zunehmend dazu, die Playtaste des Abspielgerätes erneut zu drücken.
VÖ: 23.06.2017, Altin Village & Mine, http://www.vonspar.net
Ohr d’Oeuvre: Garzweiler III/ Garzweiler IV
Gesamteindruck: 7,0 /10
Tracklist: Metaxourgio/ Garzweiler III/ Garzweiler IV/ Omónia
(kof)