Müßiggang…Feiertage, von denen keiner mehr weiß, warum man frei hat. Leider blieben auch wieder ein paar Platten ungehört, weshalb die Wochen nach dem Feiertagsstress nur um so länger wurden, aber auch um so erfreulicher…
All we are – Sunny Hilly
Liverpool, Hafenstadt und Meltingpot und immer noch irgendwie popkulturelle Metropole. Das Trio All We Are spielen handwerklich gut gemachten Indierave, den sie geschickt, wie in „Animal“ oder „Down“, mit Electronicelementen auffrischen. Dies geht ordentlich nach vorne, wirkt aber ein wenig als hätte das schon 2005 in der Indiedisko laufen können. Trotzdem beeindruckt der Brückenschlag zwischen der Klarheit und Kühlheit von The XX und dem tanzbaren Gefühlswave a la New Order. Am besten funktioniert dies, wenn der Bass und die Stimme von Bassistin Guro Gikling die Richtung vorgeben. Dann entwickelt die Band ihre ganz eigene Note, die zwischen den verschiedenen Polen liegt. Dabei lebt die Band, die sich an der Universität der Merseymetrolpole kennlernte, mehr von der Geschlossenheit denn von einzelnen Hits. Trotzdem verdeutlichen Songs wie „Punch“, welches fast Lambmäßig beginnt und sich zu pathosgeladenen Höhen schraubt oder die Auskopplung „Human“, die sich von einem Joy Divison typischen Beginn, zu einem Uptempo Indiepopkracher mausert, die Vielschichtigkeit der Band. Vielleicht will sie an einigen Stellen zu viel, packt zu viele Ideen in die einzelnen Songs. Trotzdem sollten man die Tanzschuhe einepacken
VÖ: 19.5 2017, Cargo Records, https://www.facebook.com/thisisallweare
Ohr d’Oeuvre: Down/ Waiting/ Human
Gesamteindruck: 6,5/10
Es war Mord – Unter Kannibalen
Es gibt wenige rote Fäden in der Musik. Deutschpunk gehörte in den letzten Jahren auch nicht mehr dazu. Zu melodiös, zu verschnörkelt in den Texten und viel zu gut frisiert! Es war Mord verfolgen dagegen einerseits eher einen altvertrautren Ansatz: Straight, dynamisch und ohne Kompromisse! Andererseits beweisen sie auf UNTER KANNIBALEN, dass es durchaus einen roten Faden von der Kompromisslosigkeit der 1990er zur Melodiösität von heute gibt. Die Musik ist weit entfernt vom Dreiakkord 4/4 – Geschrammel, sondern überzeugt durch Dynamik, Tempiwechsel und Texte, die auch eher verschroben denn direkt sind, wobei nach Eigenbeschreibung diese eh als phonetisches Beiwerk gelten. Trotzdem untermalen sie die düstere, teils klaustrophobische Stimmung der Songs. Man könnte sagen, die Urgesteine der Berliner Punkszene (ú.a. Jingo de Lunch..) sind sich ihren Wurzeln treu geblieben und haben trotzdem ein Ohr am Puls der Zeit. Jenseits aller Melancholie, funktioniert das am besten wie in „Es war Mord“ oder „Unterwegs“, wenn die Dynamik mit Melodie gepaart wird. Live sicher spannend!
VÖ: 23.6 2017, Sounds of Subterrania, https://www.facebook.com/eswarmord.official/?fref=mentions
Ohr d’Oeuvre: Unterwegs/ Es war Mord/ Das Blut an den Fahnen
Gesamteindruck: 6,0/10
Nicotine Nerves – Nicotine Nerves
Wut, Schweiß, verzerrte Gitarren und ganz viel Lärm. Junge Männer aus Aarhus spielen klassischen 80/90er Gitarrenindie mit deutlichem Grunge- und überdeutlichem Nirvanaeinschlag. Dabei kultiviert das Duo die klassische „Rock’n’Roll Angepisstseinattitüde“. Dies ist nicht besonders neu, aber junge Männer dürfen, nein vielleicht müssen sie das auch so machen. Dementsprechend denkt man an den jungen Mark Arm bei „Redwine and Cigarette Butts“ und denkt machmal jetzt treiben sie es aber etwas zu bunt mit dem Epigonentum. Aber was soll es? NICOTINE NERVES ist ein ehrliches, kurzweiliges Stück Musik, das wieder die ungefilterten Wurzeln von diesem ganzen Indiescheiß offen legt. Vor dem Hintergrund des wiedererstarkten Grungehypes wird es seine HörerInnen finden.
VÖ: 05.5 2017, Middle Ear Recordings, https://www.youtube.com/watch?v=TYs-RLEzusY
Ohr d’Oeuvre: Redwine and Cigarette Butts/ Nervous/ Melted Waves
Gesamteindruck: 6,0/10
Shirley Holmes – Schnelle Nummern
Shirley Holmes sind gewitzt, ironisch, haben das Herz am rechten Fleck und haben vor allem den richtigen Wums. Das Trio spielt Pop Punk irgendwo zwischen der Rioteinstellung von L7 und einer Pipi Langstrumpf auf Speed. Die beiden Sängerinnen Mel und Miss Ziggy haben einen reflektierten, aber niemals zu ernsten Blick auf die Welt um sie herum. Sei es zum Internetsex („Total Digital“), in dem die wunderbare Sookee ein Feature hat oder den Partybekanntschaften der letzten Nacht („Machst Du Frühstück“). Meist überzeugen die Songs durch schmutzige Gitarren, welche die zuckersüßen Gesangsmelodien vor sich hertreiben. Gerade live dürfte dies eine schwitzige und bewegungsreiche Sache werden. Trotzdem stecken Shirley Holmes in dem Dilemma, es manchmal doch auf Teufel komm raus mit der Ironiekeule packen zu wollen oder dann doch noch mal den einen oder anderen Kraftausdruck in Szene setzen zu wollen. Ein wenig als wolle man „auf Teufel komm raus“ ins Rampenlicht kommen, was an der ein oder anderen Stellen ziemlich anstrengend ist. Insgesamt ist SCHNELLE NUMMERN, ein eingängiges und trotzdem doppelbödiges Vergnügen, was allen, die auf direkte Texte und Musik stehen, ans Herz gelegt sei.
VÖ: 12.5 2017, Pearl Division / Broken Silence, https://www.facebook.com/shirley.holmes.berlin
Ohr d’Oeuvre: Total digital feat. Sookee /Smells lile Team Spirit/ Machst Du Frühstück
Gesamteindruck: 6,5/10
Beach Fossils – Summersault
Es dauert eine Minute bis SUMMERSAULT jeden packen dürfte, der ein offenes Herz für sommerleichte Indiemelodien hat und die letzte Woche träumend am Baggersee verbracht hat. Im Opener „This Year“ verbinden die Beach Fossils leichtlebige Gitarren a la Real Estate oder den alten Ride, mit Streichern und treibenden Beats a la Phoenix oder The Shins. Ähnliches wiederholt sich bei „St Ivy“, das schon fast verrückt macht mit der zwingenden Schönheit seiner Streicher. Ähnlich sieht es bei „May 1st“ oder „Sugar“ aus. Sowieso klingen Beach Fossils im ersten Teil wie My Bloody Valentine auf einem Strandurlaub. Glücklicherweise kann die Band diese Qualität denn auch fast über die ganze Länge von SUMMERSAULT halten. Locker rausgeschüttelte Melodien, der hypnotische Gesang, alles hier und da verfeinert mit ungewöhnlichen Instrumenten wie dem Cembalo in „Closer everywhere“, aber alles fügt sich zusammen zu einem großen Sommernachtstraum. Tolle Platte für die drückenden Tage, an denen es zu warm ist sich zu bewegen oder nassgeschwitzte Tanzabende, wo die Temperatur irgendwann egal geworden ist.
VÖ: 02.6 2017, Bayonet Records, http://www.beachfossils.com/
Ohr d’Oeuvre: St Ivy / May 1st/ Closer everywhere
Gesamteindruck: 8,0/10
Broadside – Paradise
Oh, woher kenne ich diese Stimme? Woher kenne ich die abgehakten Rhythmen und Powerchords? Sind das Panic at the Disco? Sind das Taking Back Sunday? Sind das gar Wheatus? Nein leider (oder zum Glück), aber trotzdem wird man ganz wundervoll abgeholt von Broadside und Sänger Ollie Baxxter und dem Emo Teenage Soundtrack für den nächsten Festivalbesuch, mit anschließendem Dosenstechen und betrunkem-melancholischen Hinterherschauen der Girls. Broadside sind cheesy und fangen alle Leute ab, die immer eine vertraute Melodie brauchen, um warm zu laufen. Sie haben genug Emohibbelparts, um die Angesprungenen auch bei Laune zu halten. Irgendwie wie ein amerikanischer Collegefilm, der aber meistens funktioniert. Teilweise steigern sie sich sogar bei „Lose your way“ oder „Disconnect“ und seinen hymnischen Chorus in Richtung Coheed & Cambria und haben damit fast auf ganzer Linie überzeugt, um dann wieder mit „Who cares“ einen so zuckersüßen, peinlichen Songs rauszuhauen, dass man wieder in die Ecke läuft. Broadside bewegen sich auf dem schmalen Pfad zwischen Pop und Emo. PARADISE schwankt dabei wie ein Betrunkener zwischen beiden Richtungen hin und her und so schwanken wir auch, um die Band in einem Moment ins Herz zu schließen und im nächsten mit Popcorn bewerfen zu wollen. Wahrscheinlich werden wir aber eh beim nächsten Konzert die „Oh Oh“ Hooks aus „Puzzle Pieces“ mitsingen und mit Popcorn verklebten Haaren in der ersten Reihe stehen.
VÖ: 16.6 2017, Victory Records, https://www.facebook.com/broadsideva
Ohr d’Oeuvre: Puzzle Pieces / Disconnect/ Lose your way
Gesamteindruck: 8,0/10