Andreas Dorau – Die Liebe und der Ärger der Anderen
„Liebe ergibt keinen Sinn. Mal macht sie Freude, dann ist sie wieder sehr schlimm“. Diese typische Dorau-Lyrik ist die Einleitung für DIE LIEBE UND DER ÄRGER DER ANDEREN, eine 20-teilige Reise durch das Produktionswunderwerk des Andreas Dorau.
Dass Dorau weiß, wie man Platten macht, ist seit vielen (36!) Jahren bekannt. Zeugnis davon legt auch die neue Veröffentlichung ab, und zwar konstant. Die Länge von zwanzig Stücken lässt Durchhänger befürchten. Die bleiben aber aus, bis auch das letzte Stück mit „So etwas ähnliches wie Liebe“ durchgelaufen ist. Das Album beginnt mit Liebe, endet mit Liebe und trägt Liebe im Titel. Emotionalisiert klingt das Ganze deswegen nicht, Dorau geht die Sache eher analytisch an und so etwas Ähnliches wie Liebe findet sich erst, als der Protagonist alleine in der Bar sitzt und der Musik verfällt. Bis dahin erzählt Dorau in skizzenhaften Texten u.a. vom getöteten Punkerhund („Der Schweinebulle hat Hitler erschossen“), vom Versuch, Liebe portioniert im Geschäft zu erwerben („Was Sie suchen scheint es nicht zu geben, willkommen im realen Leben.“) und, sehr amüsant, von seiner markantesten Eigenheit: „Die Leute sagen, ich habe ein Radiogesicht. Die Stimme dazu hab ich leider nicht.“
Die Musik dekliniert in den ersten zehn Stücken abwechslungsreich verschiedene Spielarten des Elektropops durch. In der zweiten, nicht weniger ideenreichen Hälfte liegt der Schwerpunkt zunächst etwas deeper und dezent in Richtung Elektro verschoben. Insgesamt überzeugt das musikalisch auf ganzer Linie und ist besonders interessant, wenn Dorau dazu gegenwartskritische Themen kombiniert, wie etwa das Parteienspektrum („Ich sehe Farben“ bzw. „Ich sehe schwarz“), anonyme Brandleichen („Du bist nicht da“) oder Menschenschleuser („Dies ist nicht real“).
DIE LIEBE UND DER ÄRGER DER ANDEREN darf getrost als Konzeptalbum bezeichnet werden. Schön, dass es so etwas noch gibt. Laut Pressetext nimmt Dorau damit den erstmaligen Einzug in die Top100-Albumcharts ins Visier. Das sei ihm gegönnt und wäre angesichts der bewundernswerten Kombination aus Eleganz, Tiefgang und musikhandwerklicher Virtuosität nur verdient.
VÖ: 07. Juli 2017, Staatsakt/ Caroline International, http://de-de.facebook.com/andreasdorau/
Ohr d’Oeuvre: Ich sehe Farben/ Radiogesicht/ Liebe Kaputt
Gesamteindruck: 8/10
Tracklist: Liebe ergibt keinen Sinn/ Du bist nicht da/ Dies ist nicht real/ Ich sehe Farben / Ein trauriger Tag/ Liebe in Dosen/ Stadt aus Musik/ Ossi mit Schwan/ Das bist nicht du/ Radiogesicht/ Liebe Bürger/ Stern mit drei Zacken/ Du stehst auf meiner Liste/ Im Laufe einer Nacht/ Imitier mich/ Sybilla Maria Merian/ Liebe Kaputt/ Ein Pseudonym/ Ich sehe schwarz/ So etwas Ähnliches wie Liebe
(tj)
Broken Social Scene – Hug of Thunder
Kanadische Weiten scheinen eine sehr positive Wirkung auf die Schaffenskraft der musikalisch kreativen Köpfe in der Independent-Szene zu haben. Hinter der Speerspitze Arcade Fire sammeln sich Bands, welche jedwede Facette der Tonleitern im Alternativbereich abdecken können. Broken Social Scene gehören dazu, auch wenn sie in den letzten Jahren ihre Präsenz missen ließen. Ihr letztes Album präsentierten sie 2010. In diesem Sommer erscheint mit HUG OF THUNDER nach einer Pause ihr fünftes Studioalbum.
Und dieses überzeugt voll, ganz und ohne Einschränkung. Die Pause hat der Band, die sich eher als Musikerkollektiv versteht, sehr gut getan. Die Arbeiten an anderen Projekten, der neue Input, wie auch die vergangene Zeit spürt der Hörer auf dem Album. HUG OF THUNDER ist ein unglaublich frisches, lebhaftes und eingängiges Stück Musik geworden. Die Dynamik und die Energie der Musiker sind bei den Stücken zu spüren und es fällt nicht schwer zu glauben, dass die Aufnahmen eher ein Riesenspaß als eine anstrengende Arbeit gewesen sein müssen.
Die 12 Songs werden auf der Basis der Grundelemente Gitarre, Bass und Schlagzeug sehr abwechslungsreich ausgearbeitet, pointiert arrangiert und mit anderen Instrumenten wie z. B. Pianos, Bläsern oder Streichern eingespielt. Neben den Indieperlen, sind epische Hymnen, rockige Stücke wie auch Balladen auf dem Album zu finden. Die unterschiedlichen Stilmittel und Elemente von Pop bis Elektro werden auf dem Album genutzt und passend mit den Gesangssequenzen der Künstler verbunden. Obschon es in der stilistischen Breite ein sehr homogenes Album ist, weist es bei jedem Hören etwas Unerwartetes auf. Zudem machen die musikalischen Zitate großen Spaß.
Wenn zu einem ersten Anhören in Gänze die Zeit nicht ausreichen sollte, so geben „Halfway home“, „Hug of thunder“ sowie „Tower and Masons“ einen sehr repräsentativen Eindruck des Albums. Diese Songs sind eine Art Quintessenz des Albums und geben seinen Facettenreichtum wie auch die Eingängigkeit wieder. „Halfway home“ birgt sogar einen gewissen Indiehitcharakter und steht sicherlich auch den Tanzflächen der Clubs gut zu Gesicht.
Broken Social Scene haben mit HUG OF THUNDER – bis zum heutigen Zeitpunkt – eines der Indiepopalben für den Sommer veröffentlicht. Es wird dem Hörer auf Festivals, bei Reisen, am Strand wie auch zu Hause gute Laune bereiten. Es bleibt zu hoffen, dass die Kanadier ihr Album in diesem Jahr noch einmal live in Europa präsentieren. Vielleicht, um zu träumen, begleiten Sie ja eine andere kanadische Band, die Ende des Monats ihr fünftes Album veröffentlicht. Es wäre großartig, wenn beide die gemeinsamen, kanadischen Shows im Herbst in Europa fortsetzten….
VÖ: 07. Juli 2017, Arts & Crafts/ City Slang, http://brokensocialscene.ca/
Ohr d’Oeuvre: Halfway home/ Hug of thunder/ Tower and Masons
Gesamteindruck: 8,5 /10
Tracklist: Sol Luna/ Halfway home/ Protest Song/ Skyline/ Stay Happy/ Vanity Pail Kids/ Hug of Thunder/ Towers and Masons/ Victim Lover/ Please take me with you/ Gonna get better/ Mouth guards oft he apocalypse
(kof)