Wenn die Tage langsam merklich kürzer werden, die Sommerferien auf die Zielgrade zugehen und sich morgens der erste Nebel über die hochstehenden Maisfelder am Niederrhein legt, beginnt für Musikfreunde und einen kleinen Ort an eben jenem Niederrhein die aufregendste und schönste Zeit des Jahres. Das Haldern Pop Festival öffnet seine Pforten und einmal im Jahr wird aus dem beschaulichen Lindendorf Haldern ein Hotspot für Freunde großartiger Live Musik und vor allem des gemütlichen Zusammenkommens fernab vom oftmals so hektischen Alltag. Ja, Festival und Entschleunigung kann funktionieren. Gerade dann, wenn die Mischung aus Musik, toller Umgebung, einer Dorfgemeinschaft, der man anmerkt, dass sie die Besucher als gerngesehene Gäste versteht und einem äußerst entspannten Publikum stimmt. Und genau diese Mischung stimmte bereits 33. Mal und so wird es auch beim 34. Haldern Pop Festival sein. Den musikalischen Grundstein haben Festivalmacher Stefan Reichmann und seine vielen Mitstreiter durch ein wiedermal beeindruckend gutes Line Up gelegt. Da dem Gros der Festivalbesucher die Cluesos, AnnenMayKantereits, Get Well Soons und Bilderbücher bestens bekannt sein dürften, haben wir uns mal durch das Line Up gewühlt und den – unserer Meinung nach – ein oder anderen Geheimtipp aufgetan, welchen man am zweiten Augustwochenende auf keinen Fall verpassen sollte.
Im letzten Jahr war insbesondere beim Auftritt der Indierock Bengel von The Strypes zu sehen, dass das Haldern Publikum nach wie vor große Freude an etwas raueren Gitarrenklängen hat. Alle die, die sich angesprochen fühlen, werden auch in diesem Jahr auf ihre Kosten kommen.
Sløtface aus Norwegen spielen irgendwas zwischen Indierock und Punkrock. Neben der mitreißenden Musik steht bei der Band aus Stavanger der gesellschaftspolitische Auftrag ganz weit oben auf der Agenda. Ihr Video zur Single „SPONGE STATE“ entstand während des Protests von Umweltaktivisten gegen ein Unternehmen, das jährlich über 250 Tonnen Chemikalien im Førde Fjord verklappt. Ihr Protest und die anschließende Strafe gegen die Band und die Aktivisten lösten eine große Kontroverse in Norwegen aus. Also, alle ins Dorf und Augenzeuge werden, wie Sløtface die Pop Bar auf links ziehen!
Samstag 12.August, Pop Bar, 13 bis 13.45 Uhr
Aus Island kommen MAMMÚT an den Niederrhein. In ihrer Heimat gehört die Band um Frontfrau Kata Mogensen, Tochter des ehemaligen Bassisten von Björks Postpunk Band Kukl, Birgin Mogensen, zu den bekanntesten Bands. MAMMÚT spielen sphärischen, manchmal experimentellen Indie Rock, wobei die Songs in englischer und ihrer Landessprache gesungen werden. Einen Eindruck über ihre Live-Qualitäten konnte man sich schon 2015 mittags auf der Hauptbühne machen. Wer dieses Konzert gesehen hat, wird sich ganz besonders auf das wahrscheinlich noch intensivere Live Erlebnis im Spiegelzelt freuen.
Freitag 11.August, Spiegelzelt, 17 bis 17.45 Uhr
In eine ganz andere Kerbe als MAMMÚT schlagen The Inspector Cluzo aus Frankreich. Die Band spielt derart furztrockenen Groove’N’Roll, dass Josh Homme wahrscheinlich eine Stauballergie bekommen würde. Und jetzt kommt’s: das Ganze nur zu zweit! Schlagzeug, E-Gitarre und ab geht die wilde Fahrt. Haben Royal Blood 2014 in gleicher Besetzung und ähnlichem Sound bereits Maßstäbe im Spiegelzelt gesetzt, werden The Inspector Cluzo diese mit Leichtigkeit mit dem Allerwertesten einreißen. Alle, die mit einem kühlen Bier in der einen und der Luftgitarre in der anderen Hand zum wohl groovigsten und lautesten Act des Wochenendes selig mit dem Kopf wackeln wollen, sollten sich frühzeitig am Spiegelzelt anstellen und sich auf Schweiß, Hitze und Groove’N’Roll at it’s best freuen.
Freitag 11.August, Spiegelzelt, 0.30 bis 1.30 Uhr
Messer aus Münster zählen inzwischen zur Speerspitze des Postpunk Revivals in Deutschland. Dabei sind sie weniger noisig als ihre Kollegen von Die Nerven, sondern haben gerade mit ihrem großartigen 2016’er Album JALOUSIE eher die tanzbare Version lyriclastigen Postpunks geschaffen. Im Mittelpunkt dabei stehen immer die abstrakten, lasziv-dunklen Texte von Sänger Hendrik Otremba. Messer fordern, Messer nehmen einen mit und Messer lassen einen – so man sich denn auf die Band einlässt – so schnell nicht mehr los. Zu sehen und zu erfahren auf der Hauptbühne des alten Reitplatzes.
Samstag 12.August, Hauptbühne, 13.45 bis 14.30 Uhr
Nachdem Teile der Redaktion die finnischen Shoegazer von Mumrunner auf einem Konzert in Köln gesehen hatten, war man sich noch während des Konzerts einig, dass dieses Genre ganz hervorragend ins Spiegelzelt nach Haldern passen würde. Es wäre jetzt ein wenig anmaßend zu behaupten, der Wunsch wäre mit der Verpflichtung Nothings erhört worden. Nichtsdestotrotz freuen wir uns, dass Shoegaze den Weg ins Spiegelzelt nach Haldern findet und das auch noch in Form der großartigen, bereits erwähnten Nothing aus Philadelphia. Wer Nothing schon mal live gesehen hat, dem wird aufgefallen sein, dass der Shoegaze weniger vom Dreampop der 80’er beeinflusst wurde, sondern an der ein oder anderen Stelle klassische Hard- bzw. Emocore Elemente besitzt. Eine Nuance, die das Live Erlebnis besonders intensiv macht.
Donnerstag 10.August, Spiegelzelt, 17 bis 17.45 Uhr
An The Amazons aus Reading scheiden sich ein wenig die Geister. Wie in England üblich wurden sie von den britischen Musikmagazinen zunächst zum nächsten großen Ding erklärt, um dann im Anschluss nicht mit Kritik am selbstbetitelten Major Debut zu sparen. Sicherlich gehen die Jungs um den charismatischen Frontmann Matt Thomson bei dem ein oder anderen Titel ein wenig zu offensichtlich auf Nummer sicher, trotzdem handelt es sich bei The Amazons um eine dieser Bands, die man sich unbedingt nochmal im kleinen Rahmen des Spiegelzeltes angucken sollte, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies in Zukunft nicht mehr möglich sein wird.
Freitag 11.August, Spiegelzelt, 18.30 bis 19.15 Uhr
Sind wir mal ehrlich, Faber als Geheimtipp zu bezeichnen wäre eine freche Untertreibung, hat der Schweizer doch schon bevor sein neues und erstes Album „SEI EIN FABER IM WIND“ veröffentlicht wurde, sämtliche Clubs landauf, landab ausverkauft. Warum schmuggeln wir ihn dann trotzdem in unseren kleinen Empfehlungskatalog? Weil wir das Glück hatten, bei zwei der ausverkauften Shows anwesend zu sein und ob der Livedarstellung des Albums ganz schön begeistert waren. Sei es Faber selbst, der die zum Teil textlich recht derben Stücke mit einem derart sympathischen Schmäh rüberbringt, dass auch der Letzte versteht, wieviel sarkastische Kunstfigur in dem jungen Züricher steckt, oder der Posaune spielende Schlagzeuger, der irgendwie an das Tier und die Bläserfraktion der Muppet Show in Personalunion erinnert. So viel sei versprochen: Faber wird den alten Reitplatz zum Tanzen bringen und spätestens nach dem Wochenende in aller Munde sein.
Freitag 11.August, Hauptbühne, 16.15 bis 17 Uhr
Wer es etwas ruhiger mag, aber nicht gänzlich auf verstärkte Gitarren verzichten will, ist bei Matthew And The Atlas genau richtig. In den vergangenen Jahren hat das Haldern Pop schon mit The Bronze Medal und vor allem mit The Slow Show Bands ins Spiegelzelt geholt, die es geschafft haben, dort eine Stille beim Publikum zu erzeugen, die das Konzerterlebnis jeweils zu einem ganz besonderen gemacht hat. Diesen Part könnten in diesem Jahr Matthew And The Atlas aus der britischen Grafschaft Hampshire übernehmen. Wer die Band bei einer ihrer Supportshows für Mumford and Sons oder Bear‘s Den gesehen hat, weiß um die unfassbar einnehmende Intensität, welche die Band vermag auf die Bühne zu zaubern. Dabei steht vor allem die tiefe, in den lauteren Momenten sonore Stimme von Mastermind und Sänger Matt Hegarty im Vordergrund. Man darf gespannt sein, ob Matthew And The Atlas in ähnliche Sphären der Intensitätsskala vordringen können wie Rob Goodwin und seine Slow Shows vor drei Jahren an gleicher Stelle. Zuzutrauen wäre ihnen das allemal.
Freitag 11.August, Spiegelzelt, 23 bis 23.45 Uhr
Besonders stark vertreten ist auf dem 34. Haldern Pop Festival die Fraktion der Singer-/Songwriter. Stark im quantitativen und vor allem im qualitativen Sinne. Da fällt es uns besonders schwer, einige wenige herauszupicken, denn es gilt wie immer auf dem Haldern: Versucht möglichst viel, vor allem in den kleinen Locations, mitzunehmen! Entschieden haben wir uns letzten Endes für Joseph J. Jones und Tom Grennan – zwei Musiker, die trotz des gleichen Genres doch sehr unterschiedlich sind.
Joseph J. Jones wird vielen ein Begriff sein, ohne dass sie dies wissen. Spätestens, wenn er im – Obacht! – Katholischen Jugendheim seine aktuelle Single Gospel Truth zum Besten gibt, werden nicht wenige denken: „Ach, der ist das?“ Richtig, der ist das! Jones‘ Single läuft aktuell nämlich bei einschlägigen Radiostationen rauf und runter. Diejenigen, die Jones und seine neue Single nicht kennen, werden sich denken: „An irgendwen erinnert mich die Stimme.“ Bei der Suche nach dem „Irgendwen“ wird man irgendwann darauf kommen, dass es eine Melange aus einigen Stimmen der neuen Schublade Neo Soul ist. So fühlt man sich an der ein oder anderen Stelle an Rag’n’Bone Man, manchmal an Kaleos Jökull Júlíusson und in den ruhigeren Momenten an Hozier erinnert. Dabei verliert der eingefleischte West Ham United Fan, Sohn eines englischen Amateurboxers und Enkel eines begnadeten Jazzmusikers nie seine Eigenständigkeit. Eins ist sicher, wenn ihr euren Freunden später mal erzählt, ihr hättet Joseph J. Jones am tiefsten Niederrhein in einem Katholischen Jugendzentrum gesehen, wären handfeste Beweise nicht schlecht, denn glaubwürdig klingt das in spätestens einem halben Jahr nicht mehr wirklich.
Samstag 12.August, Jugendheim, 13.50 bis 14.20 Uhr
Es hat nicht viel gefehlt, dann würde Tom Grennan heute nicht mit seiner Gitarre die Bühnen der Welt beackern, sondern Woche für Woche die Strafräume der englischen Premier League. Für uns Musikliebhaber und für seine potenziellen Gegenspieler gut, dass sich der junge Brite – trotz großem Talent –gegen das runde Leder und für die Musik entschieden hat. Musikalisch schlägt Tom Grennan in eine andere Kerbe als Joseph J. Jones. Er bedient eher das klassische Singer-/Songwriter Genre, wobei die Besonderheit bei ihm die Stimme ist, die manchmal an Paolo Nutini erinnert und genau dann am stärksten ist, wenn sie sich in soulige Gefilde vorwagt. Bekannt wurde Grennan, nachdem er seine Stimme dem weltweit erfolgreichen Dubstep Duo Chase&Status für ihren Hit „All Goes Wrong“ geliehen hat. Wir freuen uns auf Tom Grennan im Spiegelzelt und vielleicht danach auf ein kleines Fußballmatch im Biergarten.
Samstag 12.August, Spiegelzelt, 23.30 bis 0.15 Uhr
Dass Hip-Hop auf dem Haldern Pop funktioniert, haben die Lytics aus Kanada im letzten Jahr eindrucksvoll bewiesen. Dabei liegt es aber zweifelsohne auch an der äußerst stilsicheren Auswahl der Künstler aus diesem Genre, die auf dem Festival auftreten. Hip-Hop kann mit all seinem Mackertum , künstlich aufgeblasenen Beef und seinen sextischen Anspielungen mächtig nerven. Nicht so die Acts, die wir euch ans Herz legen wollen.
Loyle Carner aus dem Südosten Londons schafft es mit seiner Art des Hip-Hops, sofort ein wohliges Gefühl beim Zuhörer zu schaffen. Die Smoothness, mit der die Worte aus ihm heraussprudeln, erinnern in manchen Momenten an NAS in der Hochphase seines Schaffens, die musikalische Untermalung an die goldenen Zeiten der P-Funk Ära. Auch die Ausstrahlung von Loyle Carner, der eigentlich Coyle Larner heißt, bei seinen Live-Auftritten versprüht so eine positive Energie, dass es nie lange dauert, bis Carner das gesamte Publikum auf seiner Seite hat. Auch wenn Hip-Hop in unserem kleinen, aber feinen Magazin nicht zu den Steckenpferden gehört, freuen wir uns, mit Loyle Carner und dem Rest des Spiegelzeltes bouncend „Ain’t Nothing Changed“ zu droppen.
Freitag 11.August, Spiegelzelt, 20.15 bis 21 Uhr
Last, but not least wollen wir euch noch Emmsjé Gauti empfehlen. Ebenfalls Hip-Hop, ebenfalls äußerst geschmackssicher ausgewählt, begeistert bei dem 28jährigen Isländer, dass er in seiner Landessprache rappt. Das verleiht den Songs – hört sich doof an, ist aber so – eine gewisse Exotik, die fasziniert. Nicht ganz so smooth wie Loyle Carner, pumpen die Bässe etwas lauter und die Art zu rappen ist etwas aggressiver als bei dem eher zurückgelehnten Hip-Hop des Engländers. Nichtsdestotrotz oder sogar gerade deshalb dürfte Emmsjé Gauti diejenigen, die es in die Pop Bar geschafft haben, ordentlich zum Schwitzen bringen.
Freitag 11.August, Pop Bar, 14.10 bis 15 Uhr
So, das sind sie, unsere Tipps für das 34. Haldern Pop Festival. Zugegeben, in diesem Jahr ist uns die Auswahl sehr schwer gefallen, da es im Line Up so viel zu entdecken gibt, dass es schier unmöglich ist, im Zuge eines Vorberichts alle Perlen, die sich dort verstecken, vorzustellen. Haltet die Augen und Ohren offen, lasst im Zweifel auch mal eine Band für ein nettes Gespräch sausen und lasst euch – wie in den letzten Jahren vorbildlich geschehen – nicht von dem ein oder anderen Schauer abschrecken! Es wird auf dem diesjährigen Festival einige kleine Neuerungen geben. Eine wichtige davon ist, dass mit dem Katholischen Jugendheim eine weitere Spielstätte dazukommt. Also, nach dem Grillteller im Doppeladler oder dem ausgedehnten Frühstück bei Bäcker Janssen einfach noch ein wenig im Örtchen verweilen und sich einen der vielen tollen Künstler in Kirche, Pop Bar oder Jugendheim angucken! Die anderen Neuerungen verraten wir nicht, denn gibt es Schöneres, als nach der Ankunft am Donnerstag erstmal auf Entdeckungsreise zu gehen? Wir finden nicht und wir wünschen allen ein tolles Festival. Man sieht sich am zweiten Augustwochenende auf dem alten Reitplatz.