Mogwai – Every Country’s Sun
„Ach, komm hör auf, das gleiche wie immer! Mal laut, mal leise und dann noch ohne Gesang, brauch ich nich, kenn ich schon!“ So reagieren manche Zeitgenossen auf eine neue Mogwai Platte, verpassen dabei aber, dass die Schotten auf EVERY COUNTRY’S SUN die nächste Stufe in ihrer Klang- und Songwritingevolution nehmen.
Kann man etwas greifen auf einer Mogwaiplatte? So ohne Gesang? In diesen endlosen Soundlandschaften, in denen sich auf der neuen Platte kaum noch die gewohnten laut, leise Schemata finden lassen? Spätestens, wenn man die drei Songs „Don’t believe the fife“, „Battered at a Scramble“ und „Old Poisons“ hintereinander durchgehört hat, kann man diese Frage nur mit einem breiten „JA“ beantworten. Von einem auswuchernden Spacerock mit Retrosynthies, prügelt sich die Band durch einen ungeschliffenen Garage-Retrosound zum Seventies Psychedelicrock mit leichten Schweinerockanleihen, ohne bei diesem Stilritt ihre ganz eigene Mogwaiische Erhabenheit, die sich gerade aus dem fehlenden Gesang speist, zu verlieren. Stattdessen erklimmt sie immer neue Höhen und flutet den Kopf des Hörers mit Endorphinwellen. In dem postrockigen Abschluss- und Titelstück „Every Country’s Sun“ wird diese dann schließlich auf den euphorischen Höhepunkt durch die verzerrten Gitarrenmelodien und die Feedbacks getrieben, die sich über eine stoische Melodie legen, die in sich zu ruhen scheint wie Captain Kirk auf der Brücke der Enterprise.
Ok, man sollte eine Plattenbesprechung nicht vom Ende her beginnen, aber diese Vielschichtigkeit bei gleichbleibend hohem Wiedererkennungswert durchzieht die ganze Platte, vielleicht abgesehen von den sich, im esoterischen und nichtssagenden verlierenden „1000 Foot Face“ und „Crossing the Road Material“. Dabei beginnt die Platte für Mogwaiische Verhältnisse mit dem Synthieanfang von „Coolverine“ und dem eingängigen Basslauf von „Party in the Dark“ fast poppig, dazu wird in letzterem auch noch gesungen. Ähnlich geht auf dem an Talk Talk erinnernden „Brain Sweeties“ weiter. Egal, diese Mischung aus Wucht und Größe, aus Dynamik und Erhabenheit durchzieht bis auf die angesprochenen Ausnahmen alle Songs der Platte und schafft dabei das faszinierende Hörgefühl, im Auge des (Gitarren-)sturms ruhen zu können, ohne von ihm weggeschleudert oder erdrückt zu werden. Mogwai kreisen mit EVERY COUNTRY’S SUN weiter in ihrer eigenen Sphäre um den Musikplaneten, vereinen Gegensätze weiter kunstvoll zu einem immer feingliedrig, eigenwilligem Ganzen, dass man nur die Kopfhörer überstülpen kann und das Mogwairaumschiff besteigen will. Eine überraschende Randnotiz für Leute, die immer noch sagen, dass sich die Band seit COME ON DIE YOUNG nicht wirklich verändert hat, ist vielleicht, dass die Band eben mit dem Produzenten ihrer vielleicht direktesten und berührendsten Platte wieder zusammen gearbeitet hat, nach 20 Jahren. Das Ergebnis? Komplett anders! Aber ähnlich einnehmend.
VÖ: 01.September 2017, A modern way, http://www.mogwai.co.uk/
Ohr d’Oeuvre: Every Country’s sun/ Party in the Dark/Don’t believe the fife
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Coolverine/ Party in the Dark/ Brain Sweeties/ Crossing the road material/ aka 47/ 20 feed/ Don’t believe the fife/ Battered at a scramble/ Old poisons/ Every Country’s sun
(pd)
Minden – Sweet Simple Things
Mit SWEET SIMPLE THINGS, ihrem zweiten Album, kreuzen die Synthiepopper von Minden geschickt Disco- und Funksounds mit dem zurzeit angesagten Dreampop. Zum Glück vermeiden sie dabei eine Überzuckerung.
Viele Leute waren wirklich bestürzt als Prince letztes Jahr starb und sicherlich gehörten die Amerikaner von Minden dazu. Ebenso werden sie bedauern kaum nochmal Gelegenheit zu bekommen mit den Bee Gees oder Sly Stone die Bühne teilen zu können. Aber keine Angst, Minden sind keine zurückgebliebenen WDR 2 Hörer, sondern mischen nur Dinge, die im ersten Moment wenig miteinander zu tun haben zu einem stimmigen und tanzbaren Popmix. Oberflächlich kann man SWEET SIMPLE THINGS sicherlich unter der Rubrik Dreampop einordnen, verträumte Melodien, die in leicht entrückten Sphären schweben. Darunter legen sich jedoch funkige Discostrukturen, die immer wieder mit semierotischen Phantasien gezuckert werden, wie in dem Softfunkkracher „All the Girls“. Somit führen Minden zwei Sphären zusammen, die im ersten Moment so gar nicht zusammen wollen oder vielleicht doch? Vergleicht man die letzten beiden Arcade Fire Veröffentlichungen oder die Veränderungen beispielsweise eines Ariel Pink, kommt der Verdacht auf, das vielleicht die nächste Ausfahrt in die Retrodisco führt, um dort die Erlösung zu finden. Aber Songs wie „Bad Love“, „Sheila“ oder die Single „Real Sugar“ sind so zuckersüß, tanzbar und doch so verträumt melodiös, dass man den nächsten Mittelstufenball damit eröffnen will.
Dass das Ganze trotzdem nicht zu einem oberflächlichen Popkonstrukt verkommt, liegt an den trockenen, teils abgeklärt wirkenden Gesangsmelodien und der reduzierten Instrumentierung der Stücke, sowie den unerwarteten Wendungen der Songs, die jedes konventionelle Popsongwriting über den Haufen werfen. So als schreckten die Amerikaner ein wenig vor sich selbst und ihrer Poppigkeit zurück, was aber die Faszination an SWEET SIMPLE THINGS ausmacht, auf jede zuckersüße Versuchung folgen die Zahnschmerzen, auf jede durchtanzte Nacht folgt der ernüchternde Morgen. Die Band ist für alle etwas, die beides im Blick haben und troztdem der Versuchung erliegen immer wieder raus zu gehen oder zu naschen.
VÖ: 01.September 2017, Hit City, http://www.minden.bandcamp.com/
Ohr d’Oeuvre: Sheila/ Never Spayed/ The Middle
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: Real Sugar / Artist Statement/ Love is Bad / The Middle/ Sheila/ Never Spayed/ Sweet Simple Things/ Alle the girls/ Like That’s Okay
(pd)