Protomartyr – Relatives in Descent
Auch wenn RELATIVES IN DESCENT bereits das vierte Album der Detroiter Postrocker von Protomartyr ist, verblüfft der Mut der Band um Sänger Joe Casey und Gitarrist Greg Ahee erneut.
Eigentlich ein kompletter Wahnsinn ein solches Album aufzunehmen. Ohne eingängige Refrains und ohne große Showeffekte kommt die Platte daher. Ganz zugeschnitten auf die lyrischen Erzählungen von Joe Casey, in denen er sich mit seinem eigenen Unbehagen vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Unsicherheit auseinandersetzt. Und man muss wirklich Erzählung sagen, denn singen tut er nicht groß, er erzählt, erzählt und erzählt, um im letzten Drittel der Platte, die mit zunehmender Spieldauer an Intensität gewinnt, manchmal zu schreien. Ein wenig wie früher bei Six by Seven oder den wunderbaren Madrugada. Nach Aussage der Band sollte es keine dunkle Platte werden, aber insgesamt bleibt die Stimmung der Songs düster, die sich in einem Mix aus Postpunk, Wave und Indiepop unter die Lyrics schieben und mit dem zweitem Hören langsam an Struktur gewinnen.
Der Opener „Private Understanding“ gibt bereits die Richtung vor, schwankt zwischen schrammeligen Lärmausbrüchen und komplett reduzierten, fragilen Gitarrenthemen. Diese leben über die ganze Platte in symbiotischer Koexistenz mit Caseys Stimme und Stimmungen. Egal ob sie eher erzählenden Charakter hat, wie im rythmischen „In the things“ oder dem dunkelromantischen „My Children“, in dem er stark an Nick Cave erinnert oder aber am Rande des Wahnsinns steht, wie in den wavig-noisigen „Up the Tower“ und „Windsor Hum“. Sie folgt ihm stoisch und legt ihre Melodien um ihn herum. Ein schizophrenes Werk, was aber gerade aus dem Hörbuchcharakter seinen Charme bezieht, scheinen doch die Erzählungen und die Stimmung der Songs wunderbar aufeinander abgestimmt zu sein, jenseits vom üblichen Strophe-Refrain Muster wie im treibenden „Night-Blooming Cereus“, wo sich erst ganz schüchtern und dann immer fordernder der Bass unter die Stimme legt und den Song auf links zieht bis er letztendlich in einem Indiegaragenkracher explodiert. Schöne, aber gewöhnungsbedürftige Platte, die das Warten auf die nächste Nick Cave verkürzen sollte. Die Verlassenheit ist manchmal schon sehr traurig, wird aber ähnlich wie bei Cave immer wieder durch kleine, euphorische Momente aufgehellt.
VÖ: 29. Septeber 2017, Twisted Records, http://www.protomartyrband.com/
Ohr d’Oeuvre: Windsor Hum/ Night-Blooming Cereus/ A private Understanding
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: A private Understanding/ In the things/ The Chuckler/ Catriona/ Windsor Hum/ Don’t go to Anacita/ Up th Tower/ Night-Blooming Cereus/ Male Plague/ Corpses in the regalie/ Half sister
(pd)
Wooden Arms – Trick of the Light
Mit gestrafftem Songwriting und einer spielerischen Verknüpfung von Indiepop, Folk und Klassik überzeugen Wooden Arms auf ihrer neuen Platte TRICK OF LIGHT.
Wenn es eine Gegend gibt, wo man sich einerseits mit Schwermut auskennt, andererseits einen Himmel im Breitwandformat hat, dann ist das sicherlich der Niederrhein, zumindest ab Mitte Oktober. Es scheint als habe sich das Butterfly Collectors Label aus dem ebenso verschlafenen wie berüchtigten Haldern bei den Briten von Wooden Arms den Soundtrack für die kommenden, dunklen Monate bestellt. Dieser liegt in Form des neuen Albums TRICK OF THE LIGHT nun vor.
Ein breitflächiges Epos, das munter zwischen den Genren Pop, Folk und Klassik wechselt. Diese Mischung gab es in den letzten Jahren des Öfteren, gerade in der Singer-Songwriter Bewegung wurde munter mit klassischer Instrumentierung experimentiert. Hierzulande fällt einem eventuell der Name Get Well Soon ein, der diesen Breitwandsound auf seinem letzten Album LOVE zur Perfektion führte. So ist der Sound von Wooden Arms denn auch im ersten Moment nichts außergewöhnliches, allerdings überrascht die Homogenität und das Selbstverständnis mit dem das Trio größtenteils die verschiedenen Ansätze miteinander kombiniert. Vereinen „Yawning at the Apocalypse“ oder „Milk Teeth“ zurückhaltende Gitarrenskizzen mit eingestreuten Pianomelodien zu fragilen, wunderschönen Songgebilden, gehen andere Songs wie der Titeltrack „Track of light“,„Restless“ oder „Twenty Thousands Street under the Sky“ fast in eine Trip Hop Richtung, kombinieren Elektrobeats mit Streichern zu einem melancholischen Schwoofer, welcher der Band bereits Vergleiche mit Größen wie Portishead in England einbrachte. Dagegen bieten Songs wie „Lost in your Home“ mit treibenden Schlagzeug und sich dramatisch in die Höhe schraubenden Streichern wunderbarsten Dramapop, der durch seine Arrangements die ganze Klasse der Band aufzeigt.
In diesen Momenten ist TRICK OF LIGHT stimmig, vereint auf natürliche Weise das Beste aus den Welten Indiepop und Klassik zu Indiekammerpop. Das geht einher mit einem geänderten Songwritingansatz, der die Stärken aller drei Mitglieder mit einbezieht und sich nicht allein auf Eingebungen von Pianist Alex Carson verlässt. Allerdings gelingt diese Geschlossenheit nicht immer, an einigen Stellen buttern die Streicher mit ihren dramatisch, romantischen Melodien alles nieder, verschwimmen die Songstimmungen hinter einem aufgesetzten Pathos, der auch vielen Robbie Williams Songs innewohnt. Allerdings sind das einzelne Momente, einzelne Songs, die den positiven Gesamteindruck nicht wirklich ankratzen können. Stattdessen überzeugt TRICK OF LIGHT weitgehend mit handwerklich gut gemachten, durchdachten Songs, die flüssig zwischen den Genres wandeln.
VÖ: 06.Oktober 2017, Butterfly Collectors, www.woodenarms.co.uk/
Ohr d’Oeuvre: Yawning at the apocalypse /Twenty Thousand Streets Under the Sky/ Restless
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Trick of light/ Restless/ Twenty Thousands Streets Under the Sky/ Cole Porter/ Bells/ Lost in your home/ Burial/ Movie Stall/ Encrypted/ Brevity/ Yawning at the Apocalypse/ Milk Teeth
(pd)