The Front Bottoms – GOING GREY
Wer auf eine Rückbesinnung auf die folkig-akustischen Klänge des grandiosen „Twin Size Mattress“ von 2013 gehofft hatte, den muss ich leider gleich zu Beginn enttäuschen. GOING GREY greift vielmehr die bereits 2015 auf seinem Vorgänger BACK ON TOP begonnene Entwicklung zu poppigeren Tönen auf und führt diese noch viel weiter.
Ich muss zugeben, ich hatte doch einige Schwierigkeiten als ich die neue Platte von Brian Sella und Mat Uychich gehört habe. Ich habe sie nach dem ersten Hören erstmal ein paar Tage lang ignoriert, weil ich mich weigerte, einen Verriss über die Band zu schreiben, denen wir „Twin Size Mattress“ und „Swimming Pool“ zu verdanken haben. Als ich mich schließlich nochmal an GOING GREY heran getraut habe, wurde es nach dem ersten Schock dann doch besser.
Da sind zum Beispiel „Peace Sign“ und „Vacation Town“, die zwar viel Neues enthalten, dieses jedoch mit vertrauten und altbekannten Akustikgitarrenmelodien und weniger hochpolierten Songstrukturen mischen. Das stimmt zumindest die Nostalgikerin in mir etwas versöhnlicher in Anbetracht solcher Elektro-Pop-Experimente wie „You Used to Say (Holy Fuck)“ oder „Trampoline“. Mit Ersterem konnte ich mich nach mehrmaligem Hören schließlich gut anfreunden. Bei Letzterem greife ich in Zukunft wahrscheinlich des Öfteren einfach auf die Skip-Taste zurück. Dafür kommt bei „Bae“, dessen Bassriff definitiv zu den Höhepunkten der neuen TFB-Platte gehört und dem wunderschön melodischen „Raining“ die Repeat-Taste zum Einsatz. Ein relatives ausgeglichenes Verhältnis würde ich sagen.
Insgesamt gefällt mir GOING GREY entgegen meiner eigenen Erwartungen ganz gut. Es kommt für mich zwar nicht an TALON OF THE HAWK oder das selbstbetitelte THE FRONT BOTTOMS von 2011 heran, schafft es aber in den meisten Tracks vom neuen Sound her zu überzeugen. Zumindest wenn man sich darauf einlässt und – wie so oft im Leben – dazu bereit ist das Alte und Bekannte hinter sich zu lassen.
VÖ: 13. Oktober 2017, Fueled by Ramen, http://www.thefrontbottoms.com
Ohr d’Oeuvre: Vacation Town / Peace Sign / Raining
Gesamteindruck: 6,0/10
Tracklist: You Used To Say (Holy Fuck) / Peace Sign / Bae / Vacation Town / Don’t Fill Up On Chips / Grand Finale / Trampoline / Raining / Far Drive / Everyone But You / Ocean
(rl)
Die Sonne – Aber die Landschaft
ABER DIE LANDSCHAFT, das zweite Album von Die Sonne, schmeckt ein wenig wie das letzte Glas Champanger auf der Titanic. Im Ballsaal spielt das Orchester unter glänzenden Kronleuchtern, während das Wasser schon ins Schiff eindringt und es langsam zu sinken beginnt.
Das Kölner Quintett passt so richtig in keine Schublade. Für die Indieseite zu melodisch, zu poppig, für den Deutschpop zu doppeldeutig, vielleicht etwas zu dunkel, um einfach nur so konsumiert zu werden. Auch auf ihrem zweiten Album breitet das Qunitett einen wohltemperierten Popteppich aus, der von seiner Dichte noch ein wenig an den Kammerpop der Vorgängerband Wolke und an das Debütalbum aus dem Jahr 2014 erinnert, aber einen Schritt darüber hinausgeht. Es scheint als wolle die Band ihre gesamte Bandbreite zeigen. Statt eines spröden Charmes, bestechen die Songs durch eine opulente Instrumentierung, durch Melodien, die immer neue Bögen schlagen und durch wunderbare Momente, die einzelne Songs aus dem dichtgewebten Teppich herausstechen lassen. Sei es die einsetzende Trompete in „Realität“ oder das stoische Piano zu Beginn von „Liebe“. Das hat alles nicht mehr mit Indiepop zu tun, sondern erinnert an 80er Mainstreampop von Bands wie Crowded House. Ausnahme sind die wenigen gitarrenlastigen Ausflüge wie der hymnische Abschlusssong „Für Alle“, der zum Ende des Albums nochmal die Arme ausbreitet und wie der Titel sagt, den Hörer in diese schließt. Eine ambitionierte Platte, die musikalisch am besten funktioniert, wenn eher reduzierte Strophenparts wie in „Unzufrieden“ in breitinstrumentierten Refrains aufgehen. Aufgrund seines hohen Wohlfühlfaktors könnte die Platte als idealer Erwachsenenpop funktionieren, würde diese Süße nicht mit dem bitteren Beigeschmack konterkariert, den Sänger Oliver Minck über seine Texte der Musik beimischt. Das langsame und unbemerkte Absterben von Liebe und Zuneigung ist das zentrale Motiv, was an mehreren Stellen aufgegriffen wird, wie in der ersten Auskopplung „Aber die Landschaft“ oder in „Das Universum“. Das andere Motiv ist vielleicht das Älterwerden, beziehungsweise die Veränderungen, die damit einhergehen, dass das gewohnte und liebgewonnene wegspült wird, nicht zu halten ist, wie in „Kein Rock ’n‘ Roll“. Ein zentraler Song ist noch „NRW“, den man aus dem Liveprogramm der Band kennt und der ihr bereits einen Artikel im Zentralorgan niederrheinsicher Bräsigkeit – der Rheinischen Post – eingebracht hat. Aber im Nordrhein – Westfälischen Horrorroadtrip durch 18 Städte bringt die Band ihre durchaus humorvolle Seite zum Ausdruck. Auch wenn wir als Besserwisser kritisieren müssen, dass Osnabrück nicht in NRW liegt. ABER DIE LANDSCHAFT ist das Werk einer hochmusikalischen und in ihrer Mischung sicherlich einzigartigen Band in hiesigen Gefilden, die gekommen ist um zu bleiben. Sie sei allen empfohlen, die auch gerne mal etwas Bittersüßes zum Abschied trinken und allen, die trotzdem weiter tanzen, auch wenn das Schiff schon untergeht.
VÖ: 03.November 2017, Die Sonne/Tumbleweed, http://www.diesonne.org
Ohr d’Oeuvre: Realität / Für alle / Das Universum
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Unzufriedenheit/ Aber die Landschaft/ Kriege/ Alles muss wachsen/ Kein Rock ’n‘ Roll/ NRW/ Realität/ Das Universum/ Dreh Dich /Untergehen/ Liebe/ Für alle
(pd)