Seit heute gibt es zwei neue Lieder der Gruppe Tocotronic. Die Produktion ist eine Abkehr vom glatten Sound der letzten Platte, dem roten Album. Und es wird politisch. Bei „Hey Du“ handelt es sich um eine tagespolitisch ebenso brisante wie interessante Milieustudie. Dirk von Lowtzow singt in dem Lied von dem großen Thema, welches die westlichen Gesellschaften der Spätmoderne bewegt: es geht um den Konflikt zwischen der neuen und alten Mittelklasse. Im ZEIT-Interview vom 04. Oktober beschreibt Soziologe Andreas Reckwitz die „Entwertungsgefühle“ der alten Mittelschicht, die in der Regel keine Universität besucht hat und in der Kleinstadt, finanziell abgesichert zu Hause ist, gegenüber der neuen Mittelklasse und ihrem „Kosmopolitismus und Selbstverwirklichungsinteresse“ oder – wie in dem neuen Tocotronic Titel – gegenüber einem genderauflösenden Fashion Statement. In „Hey Du“ heißt es dazu: „Bin ich etwas, das du nicht kennst, dass du mich Schwuchtel nennst? Ist mein Stil zu ungewohnt für den Kleinstadthorizont? Oder mache ich dir Angst?“ Von Lowtzow kommt abschließend zur gleichen Erkenntnis wie der Soziologe: „Doch es zieht dich zu mir hin, weil ich auf der anderen Seite bin“. In dem anderen Stück „1993“ geht es dann um die biographische Erfahrung von Lowtzows, in dem Milieu der „Schwarzwald-Hölle“ und um seinen Umzug nach Hamburg. Das ganze neue Album DIE UNDENDLICHKEIT soll sehr biographisch sein. Leider müssen wir noch bis zum 26. Januar 2018 auf dessen Veröffentlichung warten.