Lieblingsplattefestival: Blumfeld – Ich Maschine – Zakk, 16.12.2017
Das Lieblingsplattefestival geht in die zweite Runde. Diese steht in der Auswahl der Alben und Künstler der erste Ausgabe im letzten Jahr in nichts nach. Für den Abschluss der sechs Konzerte haben sich die Macher ein ganz besonderes Bonbon aufbewahrt, was so ziemlich jeden, der sich in den letzten Jahren mit (indie)-populärer Musik aus deutschen Landen beschäftigt hat, aufhorchen lässt. Die Helden und Mitbegründer der Hamburger Schule Blumfeld spielen ihren 92er Erstling ICH-MASCHINE in der Originalbesetzung Jochen Distelmeyer, Eike Bohlken und André Rattay. Die Vorzeichen sprechen dafür, dass der Weihnachtsmann in 2017 am Heiligen Abend frei hat, um sich mit Christkind und Osterhasen mächtig einen hinter die Binde kippen zu können, da er seinen Job schon erledigt hat.
Nachdem am Abend zuvor Tom Liwa´s Flowerpornoes mit RED‘ NICHT VON STRAßEN, NICHT VON ZÜGEN im Club des Düsseldorfer Zakk´s eine elitäre Runde in Verzückung gebracht hat, findet der letzte Abend in einem vollends anderen Rahmen statt. Das Konzert ist restlos ausverkauft, der große Saal randvoll, einige der Besucher in den 40ern sind wieder Teil einer Jugendbewegung und leben sich exzessiv am Bierstand aus. Das Feld ist abgesteckt als die Band die Bühne betritt. Das Publikum versprüht eine Euphorie und Vorfreude, die von Distelmeyer freudig aufgenommen wird. Zur Eröffnung wird die Replik Tom Liwas vom Vorabend aufgenommen, womit dieser Bogen geschlossen wäre. Als erster Titel von ICH-MASCHINE wird der Opener „Ghettowelt“ gespielt. Das Publikum hat die Band vollends auf ihrer Seite und der Song wirkt trotz seiner 25 Jahre so taufrisch wie zu dem Zeitpunkt, als er das erste Mal zu Beginn der Oberstufe gehört wurde. Das hohe Niveau, was Blumfeld zum Einstieg gesetzt haben, halten sie bei den folgenden Songs, die anders als auf dem Album gespielt werden. Dieses steht im Widerspruch zu der Aussage Distelmeyers, dass sich die Band vor dem Auftritt eigentlich nicht getroffen habe, um zu proben oder sich abzusprechen. Es freut, dass die Songs trotzdem nach der Zeit noch so verinnerlicht sind, dass mit einer gewissen Leichtigkeit improvisiert werden kann.
Leider geht diese Leichtigkeit im weiteren Verlauf des Konzerts verloren. Nach dem starken Beginn sackt das Niveau der Band ab, so herrscht zwischen den Musikern auf der Bühne kaum noch eine spielerische Interaktion. „Zeittotschläger“ – eigentlich ein Paradestück um beim Spielen aufeinander einzugehen – wirkt seltsam statisch, die Musiker spielen für sich ihre Parts, aber nicht gemeinsam. Das irritiert umso mehr, da Blumfeld eigentlich bei den Auftritten in den letzten Jahren immer ein Lehrbuchbeispiel für Interaktion und exzellentes Live-Zusammenspiel waren. Auch bei dem Auftritt im Sommer 2015, als sie L ´TAT ET MOI in der Kölner Live Music Hall spielten, war selbiges eine Stärke der Band. Der Eindruck, dass der Flow verloren gegangen ist, verstärkt sich bei weiteren Songs, wie z.B. „Aus den Kriegstagebüchern“ und „Ich-Maschine“. Hinzu kommt die durchaus polarisierende Art Distelmeyers, wirken seine Ansagen doch sehr abgebrüht, fast schon arrogant und nur scheinbar offenherzig. Am Ende verabschiedet sich die Band vom Publikum und schreitet stante pede hinter die Bühne. Der Jubel bei vielen Besuchern ist frenetisch, es gibt aber ebenso Besucher, welche die hier skizzierte, eher kritische Wahrnehmung teilen.
Den Nikotinhaushalt aktiv ausgleichend, bittet Distelmeyer zur Zugabe Tobias Lewin zur Band auf die Bühne. Damit vollzieht sich eine wiederholte Wandlung im Zusammenspiel, die noch einmal mehr überrascht, da Levin scheinbar den Haken und Aufhänger gibt, den die Band als Orientierungspunkt im Zusammenspiel benötigte. Paradoxerweise fluppt es auf der Bühne. Blicke werden ausgetauscht, es wird interagiert und eine neue Dynamik gefunden. Das Set endet nach insgesamt drei Zugaben mit „Verstärker“. Es muss lobend erwähnt werden, dass die Band lediglich Stücke aus den beiden Alben spielt, die sie in der Besetzung aufgenommen hat. Als abschließendes Fazit ist festzuhalten, dass der Blumfeld-Abend der eigenste bei den bisherigen Lieblingsplatte-Festivals war und sich am besten unter dem Motto Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten zusammenfassen lässt. Es ist aber tröstlich, dass die Band in den Zugaben noch einmal die Kurve bekommen und das Publikum sehr zufrieden aus dem Abend entlassen hat.
(Karl Otto Ferdinand)