Bernd Begemann & Kai Dorenkamp (Piano) – Die Stadt und das Mädchen
Das neue Album von Bernd Begemann besteht nur aus Gesang und Piano. Das neue Album von Bernd Begemann enthält nicht ein einziges neues Stück. Das neue Album von Bernd Begemann und dem Pianisten Kai Dorenkamp…ist irre gut.
Das Einzigartige der Songs von Bernd Begemann besteht nun einmal aus zwei Dingen: Das ist zum einen die Geschichte, die Begemann darin erzählt. Und das ist zum anderen seine Persönlichkeit, diese großartige Ambivalenz eines tiefgründigen Independent-Künstlers, gefangen im Körper einer notorischen Rampensau, und umgekehrt. Das ebenso einfache wie geniale Konzept von DIE STADT UND DAS MÄDCHEN besteht nun darin, auf alles andere, also auf die Bandinstrumentierung, zu verzichten. Stattdessen wird Begemann ausschließlich vom Piano begleitet. Das Piano besetzt Kai Dorenkamp, der nicht nur Keyboarder der Begemann-Band Die Befreiung ist, sondern auch als komponierender Theatermusiker aktiv ist. Seine Relevanz wird am besten beschrieben durch ein Zitat auf Begemanns Internetseite: „Kai ist der allererste Mensch der Welt, dem es gelang, Bernds Show vom Monolog zum Dialog zu führen.“ Ihm gehören die ersten 60 Sekunden der Platte vollständig alleine, und wenn sich Bernd Begemann freiwillig eine ganze Minute in den Hintergrund stellt, muss es sich um etwas Besonderes handeln. Die Pianobegleitung bereichert die Songs in einer ausdrucksstarken und gleichberechtigten Art und Weise, wie sie Gitarre, Bass und Schlagzeug im Singer/Songwriter-Kontext niemals erreichen können. Beispiele hierfür sind „Vielleicht hatten Deine Eltern Recht“ und „Runter in den Keller und reiss Dich zusammen“. Bemerkenswert ist auch die Falsett-Version von „Ich frage mich, was es war“, in der sich Begemann überzeugend zwischen Antony Hegarty und Jimmy Sommerville einpendelt. Dass die Auswahl der Stücke hintereinander gereiht die Geschichte einer Frau in der Großstadt erzählt, trägt zur eindringlichen Atmosphäre des Werks bei.
Das Cover der Platte zeigt Begemann als versonnenen Chansonnier im glänzenden Smoking. Passend dazu starten Begemann und Dorenkamp ihre Tour nicht in einer kleinen Livekaschemme auf St. Pauli, sondern in der Elbphilharmonie. Die Güte von DIE STADT UND DAS MÄDCHEN rechtfertigt diese Spielstätte allemal. Dorthin kann es also führen, wenn man in den 80er Jahren noch mit seiner Punkband die Fußgängerzone von Bad Salzuflen verunsicherte. Die künstlerische Qualität von Begemann und Dorenkamp gibt das auf jeden Fall her. Alle, die mehr an Begemann schätzen, als seine Songs über Ute, Judith und das Kelly-Family-Feeling, sollten diese Platte nicht verpassen. Die Wertung beinhaltet bereits einen Punktabzug für fehlende Neukompositionen.
VÖ: 19.Januar 2018, popuprecords, http://bernd-begemann.de
Ohr d’Oeuvre: Was macht Miss Juni im Dezember …?/ Runter in den Keller und reiß dich zusammen/ Du wirst mein Süden sein
Gesamteindruck: 7,5/10
Tracklist: Weg aus dem Tal und nach München/ Die neuen Mädchen sind da/ Vielleicht hatten deine Eltern Recht/ Teil der lebendigen Stadtteilkultur/ Runter in den Keller und reiß dich zusammen/ Immer wieder überrascht/ Ich frage mich, was es war/ Die Nacht vor der Abtreibung/ Ich spiel’ mit dem Gedanken/ Was macht Miss Juni im Dezember …?/ Du wirst mein Süden sein/ Sie gehört den Sternen
(tj)
Feine Sahne Fischfilet – Sturm & Dreck
Vom Verfassungsschutzbericht 2011 in die Tagesthemen 2018 – Die Entwicklung der einst kleinen Band aus Meck`Pomm ist erstaunlich und doch folgerichtig. Mit ihrem fünften Studioalbum zementieren Feine Sahne Fischfilet ihren Status als eine der wichtigsten aktuellen Punk-Kapellen Deutschlands.
Sieben Jahre ist es her, dass die Band im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern erstmals ausführliche Beachtung fand, und wahrscheinlich war es genau diese Tatsache, die der Band medial den letzten Schub gab. Heute steht die Band nicht mehr im Verfassungsschutzbericht, ist ihrer Haltung jedoch trotzdem immer treu geblieben und veröffentlicht mit STURM & DRECK ihr nun fünftes Studioalbum. Ein Umstand, der sogar den Tagesthemen vor einigen Tagen ein Interview mit der Band wert war.
Feine Sahne Fischfilet bleiben auf STURM & DRECK ihrer musikalischen Linie treu: Punk with Trumpets. Bemerkenswert ist, dass erstmals der Studiosound auch die überragenden Live-Qualitäten in die heimische Musikanlage transportieren kann. So unmittelbar und direkt klangen Feine Sahne Fischfilet dank der Produktion (Tobi Kuhn, u.a. Thees Uhlmann, Die Toten Hosen) bisher noch auf keinem Album, und man fühlt sich vor die Festivalbühne mit einem Bier in der Hand versetzt. Natürlich dürfen die obligatorischen „Wohooo“s für die Mitsing-Parts nicht fehlen, die dann doch etwas zu häufig Teil der Lieder sind. Dennoch: die Gitarren krachen, das Schlagzeug treibt, die Stimme des Frontsängers Jan „Monchi“ Gorkow ist explosiv und energiegeladen, die Trompeten tragen die Band oder sorgen je nach Lied für Party – Herz was willst du mehr?
Zudem überzeugt das Album auch textlich: Sehr persönlich werden Geschichten und Erlebnisse der Band erzählt, wie beispielsweise in „Angst frisst Seele auf“, die Auseinandersetzung mit massiven Drohungen einer rechtradikalen Band gegenüber einer Freundin der Musiker oder in „Suruç“, Monchis Verarbeitungen eines Selbstmordattentats, miterlebt in seiner Zeit als Flüchtlingshelfer in Kobane. Die Vollgas-Nummer „Dreck der Zeit“ bringt so treffend, scharf und wütend die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen auf den Punkt, dass es schmerzt. Dazwischen funkelt immer wieder das Wir-gegen-Die der politischen Auseinandersetzung. In der Mitte des Albums wird auch dem zweiten Mann am Mikro, Christoph Sell, in der herrlichen Punk-Schmonzette „Alles anders“ der Platz eingeräumt, den er verdient. Ein Highlight von STURM & DRECK ist das persönliche und intime „Niemand wie ihr“, ein Lied das Monchi über die Beziehung zu seinen Eltern geschrieben hat.
Die bandeigene Kampagne Noch nicht komplett im Arsch. Zusammenhalten gegen den Rechtsruck, das selbstorganisierte Wasted in Jarmen-Festival und nicht zuletzt die Entscheidung, die Release-Shows für das neue Album in kleinen Städten in Mecklenburg-Vorpommern zu spielen (und nicht wie für das Geschäft üblich in Berlin) zeigen, dass diese sechs Jungs vielleicht besser verstanden haben als mache Politiker, wie man Spaltung und Gefühlen der Abgehängtheit, Frustration oder auch Fremdenhass begegnet und in diesem Klima mit Engagement etwas bewirkt. Dies schaffen Feine Sahne Fischfilet nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Trompeten, Punk, Spaß und Herz.
VÖ: 12. Januar 2018, Audiolith, http://feinesahnefischfilet.de/
Ohr d’Oeuvre: Dreck der Zeit/ Wir haben immer noch uns/ Niemand wie ihr
Gesamteindruck: 9.0/10
Tracklist: Zurück in unserer Stadt/ Alles auf Rausch/Angst frisst Seele auf/ Schlaflos in Marseille/ Zuhause/ Alles anders/ Dreck der Zeit/ Ich mag kein Alkohol/ Suruç/ Wo niemals Ebbe ist/ Wir haben immer noch uns/ Niemand wie ihr
(ml)