Mudhoney – Lie
Mudhoney, diese 1980er Schmuddelversion der Stooges, dieses dampfende Energiebündel aus Bluesrock und Punk, welches immer noch als ein Begründer der Grungebewegung Anfang der 1990er in Seattle gilt, ohne selber enorm davon profitiert zu haben, hat zum 30. Geburtstagstag ein Livealbum hervor gebracht.
Auf LIE finden sich Aufnahmen aus der 2016er Europatour des Grunge – Urgesteins aus Seattle. Ein Dokument, welches die Band als zeitloses, immer noch kraftvolles und schweißtreibendes Bluespunkmonster zeigt. Wären die Stooges in den 1980ern gegründet worden, sie hätten sich Mudhoney genannt. Steve Turners endlose Gitarrensolos torkeln immer noch wie ein Haufen betrunkener Matrosen durch den Raum, während die Band ohne Verluste auf das Publikum einknüppelt und Sänger Mark Arm scheinbar seine knarzig-prägnante Stimme wiedergefunden hat, mit der er selbst einen hungrigen Löwen in die Flucht schlagen könnte. Das war auf der 2014er Tour noch anders, wo die Band sich als gutgelauntes Garagenrockpaket zeigte, das den Grungesound mit einer psychedelischen Sixtiesnote verfeinert hat, Arms Stimme allerdings nicht mehr in die Höhen kam, was einen etwas wehmütig werden ließ, dachte man doch der Zahn der Zeit hätte auch diesen, stets Positiv – Verrückten, glatt genagt. Vergessen, auf LIE zeigt er wieder sein altes Gesicht. Die Songauswahl umfasst vor allem die mittlere Phase der Bandgeschichte, von den Klassikern wie „Suck you Dry“ („Ich lutsche Dich trocken“), über Songs von den Postgrungehype Alben wie „Fuzz Gun“ („Furzpistole“) zu aktuelleren Sachen wie „I Like It Small“ („I mag es klein“) vom großartigen VANISHING POINT. Eigentlich komisch, dass diese exzellente Liveband erst im 30. Jahr ihres Bestehens ein Livealbum veröffentlicht. Egal, jetzt muss man nicht mehr auf Bootlegs mit zweifelhafter Tonqualität zurückgreifen. Schade ist an LIE, dass es so wenig Liveatmosphäre zwischen den Liedern rübergebracht wird, nur kurz werden Ansagen oder Zuschauerreaktion angeschnitten. Insgesamt ist die Platte das Dokument einer Band, die sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruht, die nie so groß waren wie die anderer Grungehelden, die jetzt aber meistens tot sind. Mudhoney leben, im Hier und Jetzt und spielen ihren bluesgetränkten Grungerock nach wie vor. Wie die großartige Dokumentation I AM Now Mudhoney zeigt, war dies immer das Motto, genau jetzt zu leben und zu machen, wonach einem der Sinn steht.
VÖ: 19.Januar 2018, Sub Pop, http://mudhoneysite.com/
Ohr d’Oeuvre: What to do with the neutral/ Get into yours/ I’m now
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Fuzz Gun ‘91/ Get Into Yours/ Poisoned Water/ The Final Course/ What to Do With the Neutral/ I’m Now/ Judgement, Rage,Retribution and Thyme/ I Like It Small / Suck You Dry / Editions of You / Broekn Hands
Goodbye, old me – Schade, dass Beton nicht brennt
Wofür steht eigentlich das Münsterland? Denkt man in erster Linie nicht an Wildpferde und hirnverbrannte Tatortkomik? Richtig, für grandiosen Punkrock, meist amerikanisch geprägt, ausufernd, wütend und unbedingt melodiös.
Goodbye, old me knüpfen an Bands wie Idle Class oder Great Escapes an und spielen dynamischen Post-Hardcore zwischen Wut und Melancholie, mit einer gehörigen Portion Punk. Dabei machen sie eigentlich einen Kardinalfehler, zumindest aus marketingtechnischer Sicht, sie singen englisch und deutsch. Nein, nicht kombiniert in einem Lied, wie man dies von Andreas Spechtl gewohnt ist, sondern kombinieren englisch- und deutschsprachige Songs auf einer Platte. Aber das funktioniert letztendlich, weil das Songwriting in sich stimmig ist, die einzelnen Parts, ob temporeduziert oder durchgeknüppelt, harmonisch ineinander greifen wie in „Distanz“ oder „Konsum“. Die englischsprachigen Stücke wirken dagegen etwas direkter, hardcorelastiger und erinnern ein wenig an die großartigen The December Youth, auch wenn an manchen Stellen die eingestreuten Schreie etwas übertrieben wirken. SCHADE, DASS BETON NICHT BRENNT ist ein Stück engagierter und durchdachter Postcore, dem man anmerkt, wie viel Herzblut und Detailliebe darin steckt, sei es in den Melodiegitarren oder den Tempiwechseln, die den Stücken eine eigene, treibende Dynamik verleihen. Goodbye, old me sind eine weitere Frischzellenkultur für den münsterländischen Punkrockkosmos und seien willkommen auf den Bühnen der Republik.
VÖ: 03.November 2017, Eigenvertrieb,https://goodbyeoldmemusik.bandcamp.com/releases
Ohr d’Oeuvre: Truth/ Distanz/ Konsum
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: Intro / Konsum/ Only Memories will remain/ Alles was bleibt/ Distanz/ Way back home/ Truth/ Zeit steht still