Erdmöbel – Hinweise zum Gebrauch
Was sich bereits auf der letzten Platte „Kung Fu Fighting“ abzeichnete, wird mit dem neuen ERDMÖBEL Release „Hinweise zum Gebrauch“ leider deutlicher: Bei der einstigen Vorzeigeband der deutschen Popmusik ist im Moment die Luft ziemlich raus. Während auf dem letzten Album zumindest noch kompositorische Großtaten, zum Beispiel das wunderbare „Gefäße“, die bereits vorhandenen Mängel überdeckten, kann man beim achten echten Studioalbum (die „Retrospektive“, das „Fotoalbum“, die lustigen Elektro-Variationen auf „Erdmöbel versus Ekimas“ und die Weihnachtsplatten mal nicht berücksichtigt) nicht mehr einfach zur Tagesordnung übergehen.
Bereits beim ersten Durchhören fällt auf, dass bis auf ein wirklich furchtbares Stück gegen Ende („Party Deines Lebens“) der Sound der Band immer noch haargenau so klingt, als hätte man die Einstellungen im Studio seit der Produktion vom 2010er Album „Krokus“ nicht mehr verändert. Das kann man jetzt richtig gut finden und sagen, die Band hätte eben IHREN Sound gefunden. Mir persönlich gehen unter anderem die Bläser (bei fast jedem Stück) und ihr Einsatz mit der immer gleichen Dramaturgie inzwischen unfassbar auf die Nerven.
Fairerweise muss man festhalten, dass die Platte richtig gut startet. Bei „Ich bleibe jung“ steht der Text von Markus Berges klar im Vordergrund. Die Musik hilft ein wenig aus. Dann folgt, wie das im Popbusiness halt so ist, das beste Lied der Platte. Die Vorabsingle „Hoffnungsmaschine“ begeistert durch einen Basslauf, der direkt in die (Tanz-) Beine geht. Eine ihrer stärksten Nummern ever. Hätten die Rotation-Verantwortlichen der nationalen gebührengestützten Popwellen Eier und/oder noch etwas Würde, wäre die Holofernes-Kollaboration ein Hit. Was anschließend folgt, ist ein Anwärter auf den Fremdscham-Award 2018. Nach gelungen gesprochenen Stücken wie „Busfahrt“ und Eins-zu-eins-Übersetzungen wie dem ganzen „No-1 Hits“ Album überspannt Berges den Bogen diesmal mit der Übersetzung einer Youtube Acting-Class Lesson. Bald liest er noch das Telefonbuch vor und freut sich über seine Exzentrik. Das ist übrigens das Hauptproblem von ERDMÖBEL. Mit weniger Cordhosigkeit in der Attitüde und Styling aus dem Restefundus von Charlotte Roches „Fast Forward“-Garderobe, könnte das Unternehmen ERDMÖBEL sicherlich schnell neue Fans generieren. Apropos Telefonbuch vorlesen: Im letzten Lied der Platte „Barack Obama“, das nicht vom sympathischen Ex-Präsidenten und der Stilikone gleichen Namens handelt, sondern vom verstorbenen Jazzsänger Al Jarreau, macht Berges dies schon wieder. Diesmal singt er einen Text, der auf dem Papier wie eine adaptierte dpa-Meldung klingt. Die Sambanummer „Veloso Bar“ klingt fett, ist jedoch textlich, zumindest wenn man die bisherigen Arbeiten von Berges als Maßstab nimmt, völlig belanglos und nur noch bemüht geschmackvolles Kunsthandwerk. „Erschlagt die Armen“ mit dem Baudelaire-Zitat soll der Versuch eines gesellschaftskritischen Songs sein. Das Ganze ist leider ähnlich bereichernd wie eine Tischgesellschaft in der Bio-Burgerbraterei in einem endgentrifizierten Stadtteil, die sich gegenseitig die Notwendigkeit der Mietpreisbremse und der Reduzierung von CO2-Emissionen bestätigt. Gut, dass wir drüber gesprochen haben, dann hätten wir das auch erledigt. „Hinweise zum Gebrauch“ bedient sich zumindest musikalisch geschmackssicher bei Graham Coxon (bei „Svenja & Raul“ könnte gut Elliot Smith Pate gestanden haben).
Dass die Bandmitglieder etwas auf dem Kasten und einen ausgefallenen Geschmack haben, wurde verstanden. Es war nicht zu überhören. Jetzt macht bitte endlich wieder eine gute Platte! Die muss ja nicht jedes Mal in der Krokus-Liga spielen – im Delfingasthaus würde schon reichen. Und genug Musik für die Weihnachtstage haben wir inzwischen auch.
VÖ: 23. Februar 2018, Jippie! (Rough Trade), http://erdmoebel.de
Ohr d’Oeuvre: Hoffnungsmaschine
Gesamteindruck: 5,0 /10
Tracklist: Ich bleibe jung / Hoffnungsmaschine / Tutorial / Veloso Bar / Erschlagt die Armen / Hinweise zum Gebrauch / Rasenmäher / Party deines Lebens / Svenja & Raul / Barack Obama
(bk)
Antje Schomaker – Von Helden und Halunken
Wann war eigentlich der Zeitpunkt, ab dem jeder ein wildes Herz hatte, ab dem jeder immer tanzte, am besten mit Tränen in den Augen und Konfetti in den Haaren? Wann war der Moment, als alles immer Glanz und Gloria sein musste? Seit wann musste jedes Lied durch „Oooooohs“ und „Uuuuuhs“, ein hysterisches und pathosgeladenes „Sommermärchen Feeling“ a la Andreas Bourani kredenzen?
Spätestens nach dem dritten Lied „Für einen Funken Euphorie“ von Antje Schomakers Debüt VON HELDEN UND HALUNKEN und der Zeile „Das Leben ist kein Tomte Song, vergiss die Poesie“ möchte man die Musik einfach abstellen und sich seinem Tagesgeschäft zuwenden. Wird hier doch teilweise ein klebriger Pathos mit einer Künstlichkeit kreiert, den der Springsteen aus der nordddeutschen Tiefebene nie nötig hatte.
Das Abstellen wäre leicht, würde Antje Schomaker aber nicht gerecht werden, denn im Gegensatz zu oben genannten Künstlern und man könnte hier jetzt noch eine Menge andere nennen, entwickelt VON HELDEN UND HALUNKEN mit zunehmender Spieldauer und Songs wie „Ganoven“, „Mein Herz braucht eine Pause“ oder „Gotham City“ eine gewisse Authentizität, die sich zwischen Spelunken und dem einsamen Tatortschauen auf dem Sofa am Sonntag abspielt, nach Abenden, für die man sich im Nachhinein schämt oder die immer noch euphorisieren. Kurz gesagt, Momente, die jeder kennt, die für ein gewisses, zerrissenes Lebensgefühl stehen und die Schonmaker in Teilen glaubhaft vertont. Musikalisch ist das zwar auch gefälliger Pop mit leichtem Folk – Einschlag a la Namika, aber hey, es sind gute Melodien. Dann entwickelt die Platte diese Marmeladenmomente, welche die Künstlerin gerne kreieren will. Und da gibt es auch die DIY – Biographie der Künstlerin, die mehr zufällig als gewollt ihr Team kennen lernte, die sich als Straßenmusikantin durchschlug und irgendwie bei Columbia gelandet ist. Da vergisst man dann so ein Stück wie „Glanz und Gloria“, was einem wirklich die Nackenhaare zu Berge stehen lässt
VÖ: 23.Feburar 2018, Columbia, http://www.antjeschomaker.de/
Ohr d’Oeuvre: Gotham City/Bis mich jemand findet/ Ganoven
Gesamteindruck: 5,5/10
Tracklist: Aller guten Dinge/ Bis mich jemand findet/ Für einen Funken Euphorie/ Auf und Davon/ Mein Herz braucht eine Pause/ Von Helden und Halunken/ Ganoven/ An für Dich/ Gotham City/ Glanz und Gloria
(pd)