Vizediktator – KINDER DER REVOLUTION
Seinen Anfang machte die Punkband Vizediktator als Folkpunk-duo in einem Fabrikgebäude in Berlin-Moabit. Mit zwei Mitgliedern mehr und einer EP später, erscheint nun ihr Debütalbum KINDER DER REVOLUTION via Sportklub Rotter Damm.
Der dekonstruktivistische Name der Band deutet bereits ihr Programm an; die drei (mit Songwriter und Gründungsmitglied Hannes eigentlich vier) Berliner dichten gegen jeden an, der sich über andere stellt und verweisen ihn zurück auf seinen Platz, inmitten – und nicht über – seinen Mitmenschen. Dabei reicht das Spektrum von Menschen, die meinen, ein Land sei besser als ein anderes bis zu tatsächlichen Diktatoren wie dem in Pjöngjang.
Den Titel des Albums, KINDER DER REVOLUTION, kann man wegen der musikalischen Referenzen der Band sogar wörtlich verstehen. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere an die deutsche Punkband Ton Steine Scherben, die in den 70ern ihr Unwesen trieb. Zeilen wie “wir sind gebor’n um kaputt zu sein/ wir haben euch belogen/ wir waren nie allein” (Schall & Rauch) von dem Vizediktator-Debüt können als deutliche Anspielungen auf die deutschen Punkpioniere verstanden werden: “Wir sind gebor’n um frei zu sein, wir sind zwei von Millionen, wir sind nicht allein” (Ton Steine Scherben – Keine Macht für Niemand).
Der Sound reicht von (Post-)Punk bis hin zu Powerpop – “Straßenpop“ nennt die Band das selber. Ihr lebenslustiger Sound macht eigentlich mehr Lust auf Tanzen als auf Politik. Im Kontrast dazu, stehen Benjamin Heps Lyrics wie: “Die Hand deiner Mörder wird deine Eigne sein. Denn ein Land voller Mörder, lässt dich allein” (“Stimme der Verfolger”). Der bereits vorab veröffentlichte hymnische Track “Hallelujah” kommt schon fast sanft daher, mit Zeilen wie: “Keine Ahnung, wer gesagt hat, dass es was wert ist, für eine Grenze unsere Liebe zu riskieren”. Gleichzeitig ist die ironische, subversive Bedeutung des Satzes nicht schwer zu erkennen. Im Refrain heißt es dann: “Wir sind immer noch da/ wir sind immer noch viele/ wir sind immer für die Liebe“, wodurch das zentrale Thema die Gemeinschaft des Songs, und ja auch des Albums, deutlich gemacht wird. Es ist gerade dieses Spannungsfeld zwischen der tanzbaren Eingängigkeit der musikalischen Elemente und behandelten Themen, das die Ironie, die sich durch das gesamte Album zieht, erzeugt und eben das ist, was Vizediktator so gut und so hörenswert macht.
VÖ: 16. Februar 2018, Sportklub Rotter Damm, http://vizediktator.de
Ohr d’Oeuvre: Stimme der Verfolger/ Hallelujah/ Stadt aus Gold
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Hollywood Europa/ Schall & Rauch/ Stimme der Verfolger/ Hallelujah/ Das Letzte Haus/ Kreuzbergs Scherben/ Kinder der Revolution/ Porta Romana/ Tränen im Gesicht/ Hamburg Schmerzt!/ Ritalin & Alltag/ Stadt aus Gold
(rl)
Johannes Falk – Von Mücken und Elefanten
„Habt ihr auch schon immer versucht Euren Träumen zu folgen? Es ist gar so nicht leicht, sie nicht aufzugeben. Beim Tanz auf dem Seil gibt es keinen doppelten Boden. Leben ist leben. Und du tanzt. Du tanzt weil dich das Leben liebt.“
So ähnlich klingen die neuen Zeilen, die Böhmermanns Affen aus dem Gelsenkirchener Zoo für die neue Industriemusikplatte von Columbia, dem Unterlabel von Sony Music Germany, zusammengestellt haben. Ursprünglich war anlässlich des Release sogar ein Dinner mit anschließendem Konzert, für geladene Musikjournalisten angekündigt. Das Essen wurde jedoch wieder abgesagt. Vielleicht wollte man sich und den Künstler vor kritischen Fragen beschützen. Stattdessen wird die Platte jetzt still und leise in die Radiosender gedrückt. Und es wird funktionieren. Bis zu vier verschiedene Autoren stehen bei manchen Songs des Songwriters (ja wohl eher nicht), sagen wir doch einfach Sänger, in den Credits. Und es handelt sich tatsächlich um diese eklige, unfassbar fett produzierte Kackmusik, die den ganzen Tag aus den kommerziellen Radiosendern dudelt. Die Texte bestehen aus den üblichen Floskeln und Kalenderspruchweisheiten.
Jetzt könnte man noch weiter auf den armen Kerl mit der, anscheinend in seinem Business (Industrieschlagersänger) notwendigen, Wischmoppfrise* einhauen und sich darüber lustig machen, um was für einen Schrott es sich bei seiner dritten Platte „Von Mücken und Elefanten“ handelt. Aber wie eben angedeutet, die Produktion ist, wenn man denn deutsche Kommerzpopmucke mag, absolut in Ordnung. Das ganze Album kann man wirklich am Stück durchhören ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Sein Gesang ist auch wirklich gut. Die Texte sind halt echt voll belanglos. Aber wer ist jetzt schuldig? Der Interpret, der/die Produzent/en oder die Plattenfirma? Oder der Konsument? Schwierig! Aber eigentlich auch voll egal….
Das Potential für Größeres wäre auf jeden Fall vorhanden. Die Stimme ist wirklich gut. Und die Biographie von Johannes Falk ist wirklich interessant. Er wuchs als jüngster Bruder von zwölf Geschwistern einer Aussiedlerfamilie aus Russland auf und hat sich, bevor er sich der weltlichen Popmusik zuwandte, hauptsächlich an der Produktion von christlicher Musik beteiligt. Allein der Weg von dem deutschen christlichen Buch- und Musikverlag Gerth Medien zu Sony Music böte den Inhalt für eine spannende Platte.
VÖ: 16. Februar 2018, Columbia (Sony Music Germany), https://www.johannesfalk.de
Ohr d’Oeuvre: Intro (Weil Instrumental und nur 40 Sekunden lang)
Gesamteindruck: 3,0 /10
Tracklist: Intro / Leben ist Leben / Dein Herz / Heimweh / Elefanten / Gute Zeiten / Wortlos / Alles andere als federleicht / Bitte lieb mich / Keine Heimat / Granaten / Kino / Narben / Tu dir nicht weh / Blauer Planet / Leuchtraketen / Ich zieh Dich
*würde der Autor dieser Zeilen auch bestimmt tragen, wenn er noch die ausreichende Haarpracht dazu mitbringen würde
(bk)