Isolation Berlin – Vergifte dich
Das zweite Album ist ja bekanntlich das schwerste. Isolation Berlin meistern diese Hürde mit VERGIFTE DICH beispielhaft und haben sogar ein kleines Ablenkungsmanöver eingefädelt: 2016 erschien fast zeitgleich neben dem Debüt UND AUS DEN WOLKEN TROPFT DIE ZEIT auch die EP-Sammlung BERLINER SCHULE/PROTOPOP. So verschmelzen die Grenzen zwischen den Werken und man könnte VERGIFTE DICH schon fast als drittes Album bezeichnen.
Textzeilen wie: „Wenn ich eins hasse, dann ist das dieser Hass, der sich schmerzvoll schmatzend durch die Gedärme frisst und mich noch umbringen wird, ich bin schrecklich verwirrt“ (WENN ICH EINS HASSE, DANN IST DAS MEIN LEBEN), wecken beim Hören den Drang sich mit einer Flasche Wein vor ein Kaminfeuer zu setzen, sich von eben diesem hypnotisieren zu lassen und ein wenig melancholisch gestimmt über sein Leben zu philosophieren. Und wenn es scheint, dass alles keinen Sinn mehr hat, so ist immerhin noch auf die vier Berliner Verlass. Denn wo Isolation Berlin drauf steht, ist auch Isolation Berlin drin – VERGIFTE DICH reiht sich nahtlos in das bisherige Repertoire der Band ein und überzeugt mal wieder auf ganzer Linie.
Zunächst können die Songs, die schneller nach vorne preschen mehr überzeugen, als die ruhigeren. Doch bei häufigerem Hören, gewinnen diese immer mehr an Kraft. Wo anfangs die Vorab-Single KICKS der Favorit zu sein schien, stellt sich nun VERGEBEN HEIßT NICHT VERGESSEN in den Vordergrund. Und auch IN DEINEN ARMEN wartet mit einem grandiosen Arrangement auf. Egal, ob man sich nun mit Alkohol oder anderen Substanzen vergiftet und schließlich in einem fremden Bett aufwacht, „mit dem Morgen schleicht die Einsamkeit auf leisen sanften Sohlen in das kühle Loch in meiner Brust zurück, rollt sich dort zusammen und schnurrt ganz wehmutsvoll. In deinen Armen finde ich kein Glück.“ (IN DEINEN ARMEN).
VÖ: 23.02.2018, Staatsakt (Universal Music), https://www.facebook.com/ISLTN.BRLN/
Ohr d’Oeuvre: Vergeben heißt nicht vergessen / Kicks / In deinen Armen
Gesamteindruck: 9,0/10
Tracklist: Serotonin / Vergifte dich / Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben / Melchiors Traum / Vergeben heißt nicht vergessen / Marie / Antimaterie / In deinen Armen / Die Leute / Kicks / Mir träumte
(ht)
Ought – Room Inside The World
Auf ihrem dritten Album entsagen die Exil-Montrealer Postpunker den vertrackten Strukturen ihrer beiden ersten Platten, zuliebe mehr Zugänglichkeit.
Aufgenommen mit dem Produzenten Nicolas Vernhes (Deerhunter, Animal Collective) gibt Sänger Tim Darcy im ersten Track „Into the sea“, immer noch den kühlen Wiedergänger von Lou Reed. Danach erinnert sein Gesang bei den meisten Stücken jedoch sehr an das Gecroone von Kevin Rowland (Dexys Midnight Runners). Die Ähnlichkeit ist teilweise geradezu gespenstisch.
Über die dritte Auskopplung „Desire“ sagt Bassist Ben Stidworthy: „Sade meets Bruce Springsteen“. Wer jetzt denkt, Ought wären Formatradio-Rock befindet sich aber auf dem Holzweg. Davon sind sie immer noch Lichtjahre entfernt. Die meistens Songs parken immer noch vor der Kunsthochschule und nicht vorm Stadion.
Die neue Zugänglichkeit läuft leider auch ein wenig Gefahr, dass Ought dadurch eben auch ein Stück gewöhnlicher werden. Ob sich das gelohnt hat, wird sich noch zeigen.
VÖ: 16. Februar 2018, Merge Records, https://internetought.com/
Ohr d’Oeuvre: Disgraced in America / These 3 Things / Desire
Gesamteindruck: 7,0 /10
Tracklist: Into the Sea / Disgraced in America / Disaffectation / These 3 Things / Desire / Brief Shield / Take Everything / Pieces Wasted / Alice